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„Du vergißt, Vater Main, daß er sich nicht direkt und offen einen Changeur genannt hat. Er hat es uns nur ahnen lassen und duldet es nebenbei, daß wir ihn so nennen.“

„Das ist egal. Mein Freund bei der Polizei hat mich in den Besitz von einigen Marken gesetzt. Ich gebe dir eine davon. Du wirst dich bei dem Portier also als Geheimpolizist legitimieren können, und er ist infolgedessen gezwungen, dir Rede und Antwort zu stehen.“

„Wie? Du hast Marken?“ fragte der Einbrecher freudig erstaunt. „Welch ein Glück! Im Besitz einer solchen Medaille ist man ja sicher, niemals ergriffen zu werden.“

„O doch! Und dann würde man entdecken, von wem die Marken stammen. Ich wende sie daher nur zu ungefährlichen Zwecken an. Du wirst also dem Changeur nachschleichen, dann aber sofort nach hier zurückkehren, um mir die Marke wieder zu überbringen.“

„Wann soll das geschehen? Heute noch?“

„Ja. Ich mag nicht länger im unklaren über ihn sein.“

„Aber wir haben ja heute mehr zu tun.“

„Vielleicht sind wir fertig, wenn er geht. Wir haben noch anderthalb Stunden bis zum Schluß der Oper. Es ist also möglich, daß er sich bereits vorher entfernt. Er wird heute nämlich nicht spielen; denn ich habe dafür gesorgt, daß diejenigen, mit denen er oben sein Spiel zu machen pflegt, heute gar nicht kommen.“

„Wieder schlau.“

„Oh, ich mußte das nicht bloß seinetwegen tun, sondern auch unseres Unternehmens wegen. Ich erleide dadurch, da mir das Spiel viel einbringt, allerdings eine Einbuße; aber wenn heute unser Coup gelingt, so werden wir ein horrendes Geld einnehmen.“

„Ist der alte General wirklich so reich?“

„Er besitzt Millionen. Die Dame ist seine einzige Verwandte, seine Enkelin. Er hat sie außerordentlich lieb und wird ganz in Verzweiflung sein, wenn er hört, daß sie verschwunden ist. Hunderttausend Franken wird er zahlen, um sie wieder zu bekommen.“

„Eine ungeheure Summe!“ meinte Dietrich, indem seine Augen begierig leuchteten. „Aber das Unternehmen ist auch gefahrvoll.“

Der Bajazzo hatte bisher schweigend zugehört. Jetzt fragte er:

„Alle Teufel! Ihr wollt doch nicht etwa die Enkelin eines Generals entführen?“

„Warum nicht?“ antwortete der Wirt.

„Sprechen wir lieber nicht davon!“ riet Brecheisen. „Wer garantiert uns, daß dieser alte Bajazzo uns nicht verrät!“

Der Wirt machte eine eigentümliche Handbewegung und sagte in einem höchst selbstbewußtem Ton:

„Keine Sorge! Der Alte ist uns sicher. Ich garantiere für ihn, ich selbst! Ist das genug?“

„Diese Bürgschaft nehmen wir an, Vater Main. Aber bist du seiner auch wirklich sicher?“

„So sicher, wie meiner selbst. Nicht wahr, Hanswurst? Denkst du noch an den Knaben mit dem Löwenzahn damals? Das kann uns auch noch ein schönes Geld einbringen.“

Der Bajazzo antwortete schnell und mit ängstlicher Miene:

„Still, still! Ich mag jetzt davon nichts hören. Wir sprechen später darüber. Ich bin deswegen nach Paris gekommen. Redet lieber von eurer heutigen Angelegenheit. Das scheint mir wichtiger zu sein.“

„Hast recht, Alter!“ nickte der Wirt. Und sich wieder zu den anderen wendend, fuhr er fort: „Ein jeder von euch hat seinen Posten, und ich habe mich überzeugt, daß sie wirklich nach der Oper fährt. Das ist eigentlich alles, was zu sagen ist. Du, Brecheisen, machst den Fiakerkutscher. Das Geschirr wird zur rechten Zeit bereitstehen. Die Nummer ist bereits aufgeklebt und wird dann wieder abgemacht. So wird die Polizei irregeführt. Haartouren und Bärte findet ihr im hinteren Zimmer, und an der Mauer wird die Pforte zur rechten Zeit offen sein. Gelingt der Streich, so teilen wir; gelingt er nicht, so werdet ihr erwischt, ich aber habe nichts riskiert, denn mir wird niemand etwas nachweisen können. Es liegt also in eurem eigenen Interesse, euch Mühe zu geben. Jetzt genug davon.“

Er erhob sich und trat zu den Gästen, welche zuletzt angekommen waren. Dabei warf er einen Blick nach dem Changeur. Er fühlte sich beruhigt, denn der Fälscher saß mit dem Rücken gegen den Tisch, an welchem er erst gesessen hatte, und war in das Damespiel vertieft, mit welchem er sich die Zeit vertrieb. Er hatte also jedenfalls auf den Wirt und die anderen gar nicht geachtet.

Und doch täuschte sich Vater Main.

Als der Changeur sich zu Sally gesetzt hatte, war diese herangerückt und hatte, ihn liebevoll in die Augen blickend, gesagt:

„Endlich! Endlich habe ich dich allein bei mir! Du Böser! Warum wolltest du nicht gleich zu mir kommen?“

Sie war früher jedenfalls ein sehr schönes Mädchen gewesen. Sie war jetzt noch hübsch und verführerisch, allerdings nur für einen, welcher sich über die Zeichen hinwegsetzt, welche ein unkeuscher Lebenswandel im Wesen einer jeden Gefallenen zurückläßt.

Er schüttelte leise den Kopf und antwortete:

„Was hast du für ein Recht dazu, mich bei dir zu haben?“

„Das Recht der Liebe!“

„Pah! Mir machst du nicht weis, daß du mich liebst!“

Sie zog erstaunt den Kopf zurück, sah ihn forschend an und sagte in vorwurfsvollem Ton:

„Du glaubst nicht, daß ich dich liebe? Hast du Gründe dazu?“

„Ja“, antwortete er kurz und ernst.

„So nenne sie!“

„Vor allen Dingen einen: Du spielst mit Vater Main unter einer Decke!“

„Pst! Nicht so laut! Er könnte es hören!“

Da aber traten eben jene neuen Gäste ein, und die laute, lebhafte Unterhaltung, welche diese führten, gaben dem Changeur Gelegenheit, in dem Thema fortzufahren:

„Er hört es nicht. Also antworte mir.“

„Ich stehe in seinem Dienst, also muß ich ihm gehorchen.“

„Auch gegen mich?“

„Gegen dich, Arthur? Was habe ich gegen dich getan?“

„Er wollte, daß ich dort fortgehen sollte. Er winkte dir, und du riefst mich hierher. Du hilfst ihm gegen mich. Ist das nicht so?“

„Nein.“

„Was sonst?“

„Es war das nur eine Geschäftsrücksicht. Er hat mit den anderen irgendein Geschäft zu besprechen. Du solltest nichts davon hören. Das ist alles.“

„Was für ein Geschäft ist es?“

„Ich weiß es nicht.“

„Ah, du bist zurückhaltend. Und da soll ich an Liebe glauben!“

Sie liebte den schönen Mann mit der ganzen Glut, welche Mädchen dieser Art fühlen, wenn sie einem ihnen moralisch überlegenen Menschen eine tiefere und dauerndere Teilnahme widmen. Sie sah sich in die Enge getrieben und sagte:

„Arthur, ich habe dich so lieb, daß ich für dich sterben könnte. Das würde mir nicht schwer werden, denn dieses Leben ist mir doch zur Last. Es passiert allerdings sehr viel in diesem Haus, was niemand wissen und erfahren darf; selbst ich weiß nicht alles; aber das Wenige, was ich weiß, würde ich dir nicht verschweigen, wenn ich sähe, daß ich dir nicht zuwider wäre. Du aber kannst mich nicht leiden!“

Sie hatte das im Ton so ehrlicher Aufrichtigkeit, so innigen Bedauerns gesprochen, daß er sich des Mitleides nicht erwehren konnte.

„Warum denkst du denn, daß ich dich nicht leiden kann?“ fragte er freundlicher, als er bisher mit ihr gewesen war.

„Das fragst du noch? Wie oft sind wir allein gewesen, und selbst, wenn das nicht der Fall ist, bekümmert sich kein Mensch um das, was wir tun. Hast du mich jemals vermuten lassen, daß du ein Interesse für mich hast? Du kommst herein und setzt dich zu anderen, wenn Gäste da sind. Und bin ich allein, so suchst du dir einen fernen Stuhl. Berühre ich dich mit der Hand, so zuckst du zusammen, gerade wir vorhin. Hast du mich jemals mit einem Finger berührt? Nein! Und als ich dich kürzlich um einen Kuß bat, da wurdest du so zornig, wie ich es dir bei deinem stillen Wesen gar nicht zugetraut hätte.“

„Sally, ein Mädchen darf nicht um einen Kuß bitten!“