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Dies waren lauter Worte und Satzteile, welche für ihn keinen Zusammenhang hatten. Er konnte nicht unterscheiden, ob etwas Vergangenes erzählt oder etwas Zukünftiges verabredet werde; aber doch machten die Worte den Eindruck auf ihn, daß sie wert seien, gemerkt zu werden.

Der Wirt hatte sich erhoben, trat erst an den anderen Tisch und nachher zu ihm mit der Bemerkung:

„So ist's recht, Changeur! Spiele mit der Sally. Nach dem Spielzimmer wirst du ja heute doch nicht kommen.“

„Warum nicht?“

„Weil heute nicht gespielt wird. Die Kameraden haben abgesagt.“

„Mir recht. Ich hatte überhaupt gar nicht die Absicht, lange hier zu bleiben. Ich gehe heim.“

„O nein; bleib noch hier!“ bat Sally.

„Bis diese Partie zu Ende ist; dann gehe ich. Ich bin müde vom letzten Geschäft und muß schlafen.“

„Aber morgen kommst du wieder? Ganz bestimmt?“

„Ja.“

Der Wirt war an das Buffet getreten. Niemand blickte jetzt her. Da ergriff sie seine Hand, drückte die an ihre Lippen und flüsterte:

„Diesen Kuß, diesen einzigen, mußt du mir erlauben! Er ist besser als derjenige, den ich immer von dir haben wollte.“

Er bezahlte seine Zeche und ging. Kaum war er zur Tür hinaus, so trat der Wirt vom Buffet, wo er in einem Kästchen gesucht hatte, zu Brecheisen und sagte halblaut:

„Hier ist die Polizeimarke. Schnell nach!“

„Gibt es denn genug Zeit dazu?“

„Vollständig! Nur spute dich, daß du ihn nicht aus den Augen verlierst!“

Der Einbrecher steckte die Marke zu sich und eilte dem Davongegangenen nach.

Der Changeur schritt ziemlich langsam die Straße entlang. Zwischen zwei Laternen angekommen, wo die Beleuchtung nur eine sehr spärliche war, da in diesem entlegenen Stadtteil die Lampen weiter auseinander waren als im Inneren der französischen Metropole, warf er, ohne halten zu bleiben, einen raschen Blick zurück. Ungefähr fünfzig Schritte hinter sich bemerkte er einen Mann, mit einer Bluse bekleidet und einem breitkrempigen Hut auf dem Kopf. Der Mann kam gerade an einer Laterne vorüber, deren Schein hell auf ihn fiel.

„Das ist Levier, Brecheisen!“ murmelte der Changeur. „Er wird mir folgen, um zu sehen, ob ich wirklich an dem Ort wohne, welchen ich angegeben habe.“

Seinen Weg weiter verfolgend, machte er an den Ecken die Bemerkung, daß Brecheisen sich wirklich hinter ihm hielt. So gelangte er in die Rue de Paradis und an das Haus, in welchem er wohnte. Vor demselben brannte eine Laterne, und auch der Flur war beleuchtet. Er grüßte den Portier, welcher an seinem offenen Fensterchen saß, und begab sich dann nach dem Hof. Im Hinterhaus schritt er die beiden Treppen, welche auch beleuchtet waren, empor, und stand nun vor zwei unweit nebeneinander liegenden Türen. An beiden waren je eine Visitenkarte befestigt. Auf der einen stand ‚Arthur Valley, Schreiber‘, und auf der anderen war ‚Guillaume Fredoq, Statist‘ zu lesen.

Er zog einen Schlüssel und öffnete die erstere Tür. Das Zimmer, in welches er trat, war finster, bald aber hatte er ein Licht angebrannt. Jetzt zog er den Schlüssel von außen ab und verriegelte die Tür von innen. Das Stübchen war nur spärlich möbliert. Aus demselben führte eine verschlossene Seitentür nach dem zweiten Zimmer, an dessen Tür der andere Name gestanden hatte. Er öffnete diese Seitentür und trat in den anderen Raum.

„So!“ lächelte er vor sich hin. „Jetzt war ich der Schreiber Arthur Valley, und nun will ich der Statist Guillaume Fredoq werden. Niemand im Haus ahnt, daß diese beiden Personen ein und derselbe Kerl sind. Auf diese Weise führe ich jeden Beobachter irre.“

Er öffnete einen Kleiderschrank, zog einen anderen, höchst eleganten Anzug an, setzte eine schwarze Haartour auf und legte sich einen ebenso schwarzen Backenbart an. Eine Brille vollendete die Verwandlung. Nachdem er einen nach der neuesten Fasson gearbeiteten Hut aufgesetzt und ein zierliches Stöckchen genommen hatte, nahm er vom Fensterbrett zwei kleine Kieselsteine und steckte sie sich in den Mund, den einen rechts, den anderen links.

Nun löschte er das Licht aus und verließ das Zimmer, dasjenige nämlich, an dessen Tür der Name Fredoq stand. Als er diese letztere hinter sich verschlossen hatte, waren seit seinem Eintritt durch die erste Tür kaum fünf Minuten vergangen.

Mit fast unnachahmlicher Nonchalance schaukelte er sich die Treppe hinab und über den Hof hinüber. Als er den Flur erreichte, stand Brecheisen noch am Fenster des Hausmannes.

Der Einbrecher hatte nämlich erst einige Minuten verstreichen lassen, ehe er eingetreten war. Dann hatte er den Hausmann in dem selbstbewußt höflichen Ton, welcher der Polizei eigen zu sein pflegt, begrüßt und die Frage ausgesprochen:

„Ach, mein Lieber, kennen Sie vielleicht den jungen Mann, welcher vor drei Minuten von der Straße kam?“

„Ja“, antwortete der Gefragte, indem er den Blusenmann mit nicht sehr großer Ehrfurcht musterte. „Warum sollte ich ihn nicht kennen? Er wohnt ja in diesem Haus.“

„Im Vorderhaus?“

„Nein, sondern hinten.“

„Wie ist sein Name?“

„O Monsieur, wollen Sie mir nicht vorher sagen, wer Sie sind? Ich habe die Pflicht, zu erfahren, wer sich nach den Bewohnern dieses Hauses erkundigt.“

Brecheisen zog gravitätisch seine Marke hervor, hielt sie dem Hausmann vor das Gesicht und fragte:

„Genügt Ihnen das?“

Sofort verbeugte sich der Hüter des Einganges und antwortete in einem um vieles höflicheren Ton als vorher:

„Gewiß genügt das, gewiß, Monsieur! Ich bin natürlich zu jeder Auskunft, welche ich zu geben vermag, sehr gern bereit. Bitte, fragen Sie!“

„Wie also heißt der junge Mann?“

„Arthur Valley. So steht hier auf der Bewohnerliste.“

„Was ist er?“

„Schreiber.“

„Seit wann wohnt er hier?“

„Seit vielleicht zwei Wochen erst.“

„Hat er viel Verkehr im Haus?“

„Nein. Er erhält nie Besuch und hält sich stets allein.“

„Aber er geht viel aus?“

„Täglich einmal.“

„Ist er des Nachts oft außer dem Haus?“

„Nie. Er kommt um die jetzige Zeit oder noch früher, und geht erst am andern Tag zur Zeit der Dämmerung aus, ganz entgegengesetzt seinem liederlichen Nachbar, diesem Statisten Fredoq, welcher um die gegenwärtige Zeit ausgeht und des anderen Tages zur Dämmerzeit erst wiederkommt. Ich hoffe nicht, daß Sie einen unlieben Grund haben, sich nach dem höchst soliden jungen Mann zu erkundigen!“

„O nein. Er ging an mir vorüber, und eine Ähnlichkeit verleitete mich, ihn mit einem anderen zu verwechseln.“

In diesem Augenblick tänzelte der Changeur an ihnen vorüber und zum Tor hinaus. Er pfiff ein Liedchen vor sich hin, schien sich gar nicht um sie zu kümmern, kam aber nach zwei Augenblicken wieder bis an das Tor zurück und sagte:

„Heda, Alter! Wenn jemand nach mir fragen sollte, ich bin fort!“

„Sehr wohl, Monsieur Fredoq!“

Keiner hatte den Passierenden erkannt. Auch seine Stimme hatte infolge der Kieselsteinchen anders geklungen. Als er verschwunden war, meinte der Hausmann zu dem scheinbaren Polizisten:

„Das war der Statist. Heda, Alter! ruft er mich. Wie freundlich dagegen dieser brave Monsieur Valley grüßt!“

„Nicht ein jeder hat die gleiche Bildung, mein Lieber“, antwortete Brecheisen. „Nehmen Sie meinen Dank für Ihre freundliche Auskunft. Gute Nacht!“

„Gute Nacht!“

Der Einbrecher begab sich nach der Taverne zurück und setzte sich wieder bei seinen Genossen nieder. Der Wirt kam herbei, um seine Marke zurückzunehmen, und fragte:

„Nun, was hast du erfahren?“

„Daß wir ihm trauen können. Er kommt an jedem Abend regelmäßig nach Hause und geht erst bei Dämmerung des nächsten Tages wieder aus. Das könnte er nicht, wenn er ein Polizist wäre. Er hält sich ganz einsam, und ich denke, daß er diese Abgeschiedenheit zur Anfertigung seiner gefälschten Dokumente benutzt.“