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„Wenn das so ist, so habe ich mich allerdings in ihm geirrt. Aber macht, daß ihr mit eurem Absinth fertig werdet. Es wird bald Zeit, euch anzukleiden und euch auf eure Posten zu begeben!“

Unterdessen war der Changeur bis nach dem nächsten Halteplatz der Fiaker gegangen.

„Nach der großen Oper!“ befahl er, in einen der Wagen steigend, der sich sofort mit ihm in Bewegung setzte.

Er fuhr die Straßen des Faubourg Saint Denis hinab, bog dann rechts in die Boulevards Bonne Nouvelle, Poissonnière und Montmartre ein und hielt nun vor der großen Oper, welche sich mit der anderen Seite an die Straße Le pelletier lehnte und später, im Oktober 1873 leider vom Feuer zerstört wurde. Sie fand ihre Auferstehung in prächtiger Form am Boulevards des Capucines.

Nachdem er ausgestiegen war, den Kutscher bezahlt hatte und nun in das berühmte Gebäude trat, hatte er eine ganz andere Haltung angenommen als vorher dem Hausmann gegenüber. Der Kutscher hatte gar nicht bemerkt, welch eine Verwandlung mit seinem Fahrgast vorgegangen war. Dieser hatte nämlich die Perücke und den Vollbart wieder abgenommen.

Welchen Eindruck machte er jetzt gegen vorher, da er in der Bluse bei der Kellnerin gesessen hatte! Das feine Habit stand ihm ausgezeichnet. Er glich in seinem gemessenen, vornehmen Wesen ganz einem Mann, der sich bewußt ist, den bevorzugten Kreisen der Aristokratie anzugehören.

Im Inneren des Musentempels angekommen, bemerkte er, daß Zwischenakt sei, und begab sich sogleich nach dem Foyer. Dieses machte einen blendenden Eindruck. Zwischen reichbesetzen Buffets wandelten Herren und Damen, oder sie standen in Gruppen beisammen, um miteinander zu plaudern.

Sein Auge sah forschend umher, und dann flog ein Lächeln des Glücks und der Befriedigung über sein schönes Antlitz. Er hatte gefunden, was er suchte. Zwei Damen standen in einem lebhaften Gespräch beisammen, eine ältere und eine junge. Von der ersteren war weiter nichts zu sagen, als daß sie ein sehr vornehmes Aussehen hatte; bei der jüngeren aber mußte jeder Blick, der auf sie fiel, verweilen.

Sie war von Mittelgröße, eine echte Französin, dunkelblond und von Eleganz umflossen. Das dunkel rosenfarbige Seidenkleid, in eine schwere Schleppe auslaufend, schmiegte sich so eng um die Taille, daß man, mit dem Auge von den runden, vollen Hüften abgleitend, eine so seltene Schlankheit geradezu bewundern mußte, zumal der Oberkörper sich dann zu einer beinahe üppigen, entzückenden Büste aufbaute. An Brust und Schultern ging der seidene Stoll in kostbare Spitzen über, deren durchbrochenes Muster einen göttlichen Busen und einen schneeweißen Nacken hindurchschimmern ließen. Dieselben Spitzen drapierten sich in leichten Falten von der Achsel hernieder. Aus ihnen glänzten zwei Arme hervor, wie sie Canova nicht herrlicher hätte meißeln können. Fleischig und doch den Regeln der Schönheit über alle Beschreibung entsprechend, zeigten sie am Ellbogen die seltene Zierde eines Grübchens, welches sinnberückend wirkte, und gingen dann zu zwei Händchen herab, welche einem Kind anzugehören schienen.

Das Haar wurde einfach getragen und war nur mit einer Rose geschmückt, wie ebenso eine dunkle, zum Aufbruch bereite Knospe an dem Busen duftete. Und doch war an dieser Dame das Gesicht das allerschönste! Die geistvollen und doch kindlich frohen Augen, diese klare, reine, unschuldige Stirn, das feine Näschen, der schalkhaft geschnittene, süß lächelnde Mund, die zarte und doch volle Formung der leicht angehauchten Wangen, das alles war erhaben über jede Beschreibung.

Und während sie sprach, war jede Bewegung ihrer bezaubernden Gestalt, ihrer Arme und ihrer Hände so schön, so harmonisch, als hätte die Göttin der Anmut ihre oft so schwer zu befolgenden Gesetze in diesem einzigen Wesen zur unwiderstehlichsten Inkarnation gebracht.

Sie schien gar nicht zu merken und zu wissen, daß aller Augen sich an ihrer Schönheit weideten und mancher Blick begeistert und verlangend auf ihr haften blieb. Sie stand so unbefangen da, als ob es gar keine Herren in der Nähe gäbe. Aber doch, doch, zwei Augen hatte sie bemerkt, zwei Augen, welche sich mit einem großen, strahlenden Blicke auf sie gerichtet hatten, und da, da schlug sie leise errötend die langen, schweren Wimpern nieder.

Wem gehörten diese Augen? Keinem anderen als dem Changeur!

Er schritt langsam und nahe an ihr vorüber. Kein Mensch hätte sagen können, daß er sie sähe und sie ihn. Er hatte ja mit diesem herrlichen Wesen noch kein einziges Wort gesprochen. Er hatte sie nur hier gesehen, hier und in der Loge des ersten Ranges, welche an die seinige stieß. Er nahm am Buffet eine kleine Erfrischung und sie eine Minute später auch. Ihre Blicke trafen sich nicht. Sie kannten einander ja nicht; sie waren einander ja vollständig fremd! Dann ertönte das Zeichen, daß in kurzer Zeit der neue Akt beginnen werde. Sie ging, und er folgte ihr. Auf dem Korridore, welcher vom Foyer nach den Logen führte, sah er eine Knospe liegen. Es war diejenige, welche sie an ihrem Busen getragen hatte. Er bückte sich schleunigst und hob sie mit einer Hast auf, als sei er ein armer Diamantenwäscher und habe den größten Edelstein der Welt gefunden. Er drückte die Rose an seine Lippen; er sog ihren süßen, würzigen Duft ein, und es war ihm, als habe er damit einen Teil der Seele derer eingeatmet, an deren Brust die Blüte vorher geschimmert hatte.

Er trat in seine Loge. Seine Nachbarin befand sich ganz allein in der ihrigen. Sie schien nicht zu ihm herüberzublicken; er durfte sie ja auch gar nicht grüßen; aber warum flog gerade jetzt eine so tiefe, glühende Röte ihr über Stirn, Wangen und Nacken, so daß sie das Batisttuch mit einer unwillkürlichen Bewegung zu ihrem Gesichtchen erhob? Hatte sie vielleicht dennoch bemerkt, daß ihre Rose jetzt einen Platz an seiner Brust gefunden hatte? Hatte sie diese Rose ohne ihr Wissen verloren, oder war ihre Hand der Bewegung ihres Herzens gefolgt, da sie ihn hinter sich wußte, um ihm ein duftendes Zeichen zu geben, daß –

Da erhob der Dirigent den Taktstock, und der Akt begann.

Was die Musiker spielten und bliesen, was die Künstler und Künstlerinnen sangen, er hörte es nicht, er wußte es nicht. Wäre er später danach gefragt worden, so hätte er nicht zu antworten vermocht. Er vernahm Musik, ja, er hörte die Töne von Instrumenten und menschlichen Stimmen, aber es war ihm, als ob er über den Wolken fliege, und hoch, hoch über ihm klinge wie ein himmlisches Märchen jene Harmonie dahin, welche man die Musik der Sphären nennt, welche das menschliche Ohr nie wahrnehmen, sondern die der menschliche Geist nur ahnen kann.

Und neben ihm –! Er wagte es nicht, hinüber zu blicken zu ihr, aber er fühlte und bemerkte jede, auch die leiseste ihrer Bewegungen, gerade als ob seine Nerven mit denen ihres Körpers in einem magnetischen Rapport ständen.

Erst als ein stürmischer Applaus ihm sagte, daß die Vorstellung ihr Ende erreicht habe, gab er sich Mühe, den Seelenzustand von sich abzuwehren, für welchen er selbst gar keine Bezeichnung zu finden vermochte. Er erhob sich.

Drüben in der Nachbarloge war ein galonierter Diener eingetreten, welcher seiner jungen Herrin einen Umhang über die Schultern legte. Dann ging sie.

Hatte sie vorher einen Blick hinüber geworfen, einen flüchtigen, wenn auch ganz und gar flüchtigen und kurzen Blick? Er vermochte nicht, sich auf diese Frage eine bestimmte und sichere Antwort zu geben, und die Röte, welche er sich in die Wangen steigen fühlte, konnte ja nicht als eine deutliche Erwiderung gelten.

Als er hinaustrat, war sie bereits fort. Er ließ sich widerstandslos vom Gedränge des Publikums erfassen und die breiten Treppen hinunter auf die Straße treiben. Dort nahm er einen der bereitstehenden Fiaker, um sich nach seiner eigentlichen Wohnung, welche in der Rue Richelieu lag, bringen zu lassen.

Diejenige, welche einen solchen Eindruck auf ihn gemacht hatte, war unten in die auf sie harrende Equipage gestiegen, und der Diener hatte sich hinten aufgestellt. Im Galopp fuhr der Kutscher von dannen. Er bemerkte gar nicht, daß ein Fiaker ihm fast auf dem Fuße folgte. Das Pferd desselben konnte kein gewöhnlicher Droschkengaul sein, sonst hätte es nicht eine solche Schnelligkeit entwickeln können.