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„Sie treffen da Vorsichtsmaßregeln, denen ich auch die meinigen entgegensetzen möchte“, bemerkte Ella von Latreau.

„Sie? Vorsichtsmaßregeln?“ fragte er verwundert. „Welche könnten das sein?“

„Sie erhalten des Vormittags das Geld. Wer aber garantiert mir, daß ich dann des Abends auch wirklich auf freiem Fuß gesetzt werde?“

„Mein Wort.“

„Ah, das Wort eines Räubers!“

„Mademoiselle“, sagte er drohend, „ich wiederhole, daß Sie sich solcher Ausdrücke zu enthalten haben. Sogar der raffinierteste Spitzbube hat ein Ehrenwort, welches er zu halten pflegt.“

„Aber wer um Geldes willen eine Dame raubt, kann leicht auf den Gedanken kommen, noch mehr zu verlangen. Wie leicht ist es Ihnen gemacht, noch einmal die gleiche Summe zu fordern, wenn Sie die hunderttausend empfangen und mich noch in Ihrer Gewalt haben.“

„Ich habe eine bestimmte Summe gefordert und werde nicht weniger nehmen, aber auch nicht mehr verlangen.“

„Ich habe bereits gesagt, daß ich mich in Ihrer Gewalt befinde; ich kann leider nichts anderes tun als das, was Sie bestimmen. Wann soll ich schreiben?“

„Sogleich.“

„In Fesseln?“

„Ich werde Sie losbinden. Natürlich nur so lange, bis Sie mit dem Brief fertig sind.“

Er zog ein Fläschchen mit Tinte, eine Feder, Briefpapier und ein Kuvert hervor, legte das alles auf den Tisch und machte dann die Stricke los, mit denen Ella festgebunden war. Dabei sagte er:

„Ich mache Sie aber darauf aufmerksam, daß ich mit dem Messer in der Hand bei Ihnen stehen werde. Der geringste Versuch zur Flucht oder die kleinste drohende Bewegung gegen mich kostet Ihnen das Leben.“

FÜNFTES KAPITEL 

Die Depesche

Gleich nach Schluß der Oper hatte der Changeur sich nach seiner in der Rue Richelieu liegenden Wohnung begeben. Das Haus, in welchem er sich eingemietet hatte, war ein ziemlich neues und glich mehr einem Palast als einem Privatgebäude.

Als er eintrat, grüßte der Portier ehrerbietig. Eine Treppe hoch stand auf einem Porzellanschild der Name ‚Arthur Belmonte‘. Eine Bezeichnung des Standes war nicht zu lesen. Er zog die Glocke, und ein junger Mann von vielleicht dreiundzwanzig Jahren, in welchem man einen Diener vermuten konnte, öffnete. Als der Changeur sein Zimmer erreicht hatte und die Türen hinter ihm geschlossen waren, fragte er den, der ihm geöffnet hatte:

„Guten Abend, lieber Martin. War jemand da?“

„Nein, Herr Belmonte“, lautete die Antwort.

„Keine Anfrage gehalten?“

„Gar keine.“

„Briefe?“

„Ein einziger. Der Poststempel deutet auf Meudon.“

„Meudon?“ fragte Belmonte mit freudiger Miene. „Ah, vielleicht doch von dem Direktor der Geschützfabrik! Zeig her!“

Martin brachte den Brief, Belmonte öffnete ihn und las. Während des Lesens erheiterte sich sein Gesicht zusehends.

„Ja, er ist von ihm“, sagte er dann. „Unser Wein aus Roussillon tut Wunder.“

„Wird er welchen kaufen?“

„Wahrscheinlich. Zunächst soll ich ihn besuchen, um eine Probe durchzukosten. Morgen vormittag oder bereits früh reise ich nach Meudon.“

„Donnerwetter! Vielleicht läßt er Sie die Fabrik sehen, Herr Belmonte.“

„Ich hoffe es.“

„Dann bekommen Sie auch die famosen Mitrailleusen zu Gesicht. Ich wollte, daß ich dabei sein könnte.“

„Das überlaß mir allein. Übrigens muß einer von uns beiden zu Hause sein.“

Belmonte hatte seinen südfranzösischen Dialekt gesprochen, der Diener aber ein so reines Französisch, daß man hätte meinen sollen, er müsse unbedingt ein geborener Franzose sein. Sein Herr zog den Rock aus, legte dafür ein leichteres Hausjackett an und sagte dann:

„Du mußt heute abend noch auf das Telegraphenbüro.“

„So spät!“ meinte Martin, indem sein hübsches Gesicht den Ausdruck der Enttäuschung annahm. Doch war dieser Ausdruck von dem des Mißmutes weit entfernt.

„Ja, ich habe nämlich Wichtiges erfahren, was ich sogleich benachrichtigen muß.“

„Wohl in Beziehung des Krieges?“ fragte Martin rasch.

„Ja, es handelt sich um die Bildung von Franctireur-Corps und großen Waffenniederlagen.“

Martin nahm schleunigst an dem Schreibtisch Platz, zog einen Papierbogen hervor, griff zur Feder und fragte:

„Sie werden mir die Depesche wie gewöhnlich diktieren?“

„Allerdings. Brennen wir uns aber zuvor eine Zigarre an!“

Es schien ein eigentümlich freundliches Verhältnis zwischen diesen beiden zu herrschen, ein Verhältnis, welches man nur aus ganz ungewöhnlichen Umständen herzuleiten vermochte. Die Vertraulichkeit zwischen ihnen hatte dabei ganz und gar nicht den Anstrich jener Familiarität, welche man zwischen langjährigen Dienern und deren Herren zu beobachten pflegt.

Beide steckten sich eine Zigarre aus einem und demselben Kistchen an, Martin wartete schreibfertig, und Belmonte ging nachdenklich im Zimmer auf und ab. Dann begann das Diktat.

Wer aber geglaubt hätte, dasselbe verstehen oder gar belauschen zu können, der hätte sich geirrt, denn das, was Belmonte diktierte, waren keine Worte, sondern – Ziffern, und sogar sehr viele, lange, lange Reihen von Ziffern. Die Adresse bestand aus einem einfachen, bürgerlichen Vor- und Zunamen, lautend auf die Behrenstraße in Berlin.

Als Belmonte geendet hatte, sprang der Diener auf.

„Ah, also Kapitän Richemonte heißt der Mann?“ sagte er. „Waffenvorräte legt er an? Das ist von großer, von der allergrößten Wichtigkeit für uns.“

„Natürlich. Ich bin begierig, welche Instruktionen ich erhalten werde. Eigentlich ist es jetzt gefährlich, von Paris in Chiffren nach Berlin zu telegraphieren. Man wird die Depesche scheinbar aufgeben, faktisch sie aber erst dann befördern, wenn sie der Polizei zur Entzifferung vorgelegen hat. Doch kann ich mich da auf dich verlassen. Du bist ja ein sehr geschickter Telegraphist, lieber Martin.“

Der Diener machte ein überaus komisch pfiffiges Gesicht und antwortete:

„Ja, es soll diesen Franzosen etwas schwer werden, mich zu meiern, denn ich weiß mich zu –“

Er wurde von einer warnenden Gebärde seines Herrn unterbrochen. Dieser hatte selbst den Namen seines Dieners nicht deutsch, sondern französisch ausgesprochen. Martin aber hatte sich bei seinen letzten Worten der deutschen Sprache bedient.

„Pst! Pst! Nicht deutsch reden!“ meinte Belmonte. „Du sprichst dein gutes Französisch, und ich rede den südlichen Dialekt. Ich bin Agent eines Weingroßhauses und verkaufe am liebsten den in meiner südlichen Heimat wachsenden Roussillon, und du bist mein Diener, den ich während meiner Tour in Lyon engagiert habe. Dabei bleibt es. Französisch sprechen wir selbst dann, wenn wir unter vier Augen sind.“

„Verzeihung, Monsieur Belmonte! Ich hatte sagen wollen, daß Sie sich in Beziehung auf die Depesche ganz auf mich verlassen können. Ein guter Telegraphist liest sogar von fern die Depesche; er kennt das Ticken des Apparates sehr genau, und ich weiß, ohne bei demselben zu stehen, die Zeichen und Worte zusammenzusetzen. Ich werde eine Abschrift des Telegramms nehmen.“

„Wozu? Das ist gefährlich, wenn sie nun in falsche Hände kommt!“

„Das steht bei mir nicht zu befürchten. Es ist immerhin möglich, daß ich die Abschrift brauche, um den Telegraphisten zu überführen.“

„So nimm sie, aber vernichte sie später sofort!“

Martin setzte sich abermals nieder, um die Depesche zu kopieren. Als er fertig war, sagte er, sich erhebend:

„So, das ist gemacht. Vorher aber, ehe ich gehe, habe ich Ihnen etwas mitzuteilen, Herr Belmonte.“

„Etwas Wichtiges?“

„Ja, wichtig, nämlich für einen gewissen Besucher der großen Oper in der Straße Le pelletier.“