Belmonte errötete ein wenig und gebot:
„Nun so sprich!“
„Ich habe nämlich ganz genau erfahren, wer eine gewisse Dame ist, welche gewöhnlich in der Loge neben derjenigen dieses gewissen Herrn zu sitzen pflegt.“
„Ah, wirklich? Ich gab dir diesen Auftrag, weil ich Gründe habe, mich nicht selbst nach ihr zu erkundigen. Wer ist sie?“
„Eine Gräfin, oder vielmehr eine Komtesse.“
„O weh!“
„Ja. Der gewisse Weinagent ist nur Baron!“ lachte Martin.
„Ihre Eltern?“
„Hat keine.“
„Geschwister?“
„Auch keine! Sie hat nur einen einzigen Anverwandten, welcher ihr Großvater ist.“
„Was ist er?“
„General, aber pensionierter.“
„O weh!“
„Ja. Der gewisse Weinagent ist aber nur Husarenrittmeister.“
„Wie ist der Name?“
„Sie heißt Ella, Komtesse de Latreau. Ihre Wohnung wissen Sie ja bereits. Reich sind diese Leute, steinreich sogar. Aber einen Fehler, einen sehr großen Fehler hat diese Dame leider.“
„Wirklich? Welcher Fehler wäre das?“
„Sie ist verlobt.“
Belmonte entfärbte sich. Man merkte es ihm an, daß er bei dieser Gelegenheit mehr als oberflächlich erschrocken war.
„Verlobt ist sie?“ sagte er fast tonlos. „Weißt du mit wem?“
„Mit einem gewissen Bernard de Lemarch, Chef d'Escadron.“
„Also ein Offizier! Weißt du etwas Näheres über diese Sache?“
„Nun, der alte General, Graf von Latreau hat einen Schwager, den Grafen de Lemarch. Ferner hat der erstere eine Tochter und der letztere einen Sohn. Als Sohn und Tochter noch Kinder waren, spielten sie zusammen öfters Mann und Frau, sie waren ja Cousin und Cousine. Und das hat die Alten auf den Gedanken gebracht, sie später miteinander zu verheiraten. Man weiß es gar nicht anders, als daß sie Mann und Frau werden.“
„Sind sie denn einverstanden?“
„Hm! Von einer Verlobung im strengen Sinne des Wortes weiß man allerdings noch nichts; sie sind eben, wie es ja öfter vorzukommen pflegt, bereits in ihrer Jugend miteinander versprochen worden. In gewissem Sinne kann man das ja auch eine Verlobung nennen.“
„Eine unangenehme, sehr unangenehme Geschichte.“
„Unsinn, Monsieur Belmonte!“ lachte Martin. „Verlieben und Verloben ist zweierlei. Warten wir das Ding nur ruhig ab.“
„Wo steckt denn dieser Bernard Lemarch?“
„Sie werden sich wundern, daß ich auf einmal so ziemlich allwissend geworden bin. Aber ich habe eine wunderbare Kneipe entdeckt, wo meist nur Bedienstete großer Herren zu verkehren pflegen. Da tut eine Flasche Wein die beste Wirkung. Da saß zum Beispiel der Leibdiener des alten Grafen Lemarch und erzählte mir in seiner Weinlaune, daß der junge Lemarch plötzlich zum Grafen Rallion nach Metz berufen worden sei. Und da saß ferner der Oberkoch des Grafen Rallion und erzählte mir, daß sein Herr nach Schloß Ortry gereist sei, also der junge Lemarch wohl mit ihm.“
„Ortry? Das ist ja derselbe Name, welchen wir nach Berlin telegraphierten!“
„Das fiel mir eben auch auf. Ferner erzählte mir dieser dicke Oberkoch, daß der Graf Rallion auf Befehl des Kaisers, welcher der Polizei nicht zu trauen scheint, in seinem Hotel ein Büro für die Entzifferung aller zwischen Frankreich und Deutschland hin und her fliegenden Depeschen errichtet habe. Wird die unserige beanstandet, so geht sie in dieses Büro, aber nicht nach der Polizei. Und sodann erzählte er mir, daß in der Hand Rallions, der ja ein erklärter Günstling des Kaisers ist, Fäden zusammenlaufen, von denen selbst die Minister keine Ahnung haben.“
Belmonte machte ein ganz erstauntes, ja betretenes Gesicht.
„Welch eine Nachricht!“ rief er. „Wenn das wahr wäre.“
„Es ist wahr!“
„Sei nicht zu sicher. Was kann ein Koch wissen.“
„Hm. Oft sehr viel. Vielleicht zuweilen mehr als der Herr selbst. Wenn der Herr ein Gourmand ist, so beeinflußt der Koch den Magen des Herrn, der Magen den Kopf und der Kopf die Gedanken und Handlungen. Das ist bei Graf Rallion und seinem Koch der Fall. Letzterer hat einen Neffen, und dieser hat wieder eine Schwester, ein großes Glück für uns.“
„Wieso? Ich verstehe dich nicht.“
„Nun, der Neffe ist vor einigen Jahren infolge des Einflusses seines Küchenonkels Geheimsekretär des Grafen geworden. Er kennt also alles, was im Büro des Grafen vorkommt.“
„Ah! Wir müssen die Bekanntschaft dieses Neffen machen.“
„Wer von uns beiden, Herr Belmonte? Sie oder ich?“
„Du natürlich.“
„Das tue ich nicht.“
„Warum nicht?“ fragte Belmonte, die Brauen ein wenig zusammenziehend.
„Weil ich eine bessere Bekanntschaft vorgezogen habe.“
Dabei machte Martin wiederum eine seiner verschmitzten Gesichter, daß Belmonte lachend sagte:
„Kerl, du hast jedenfalls wieder, wie so oft, alles bereits in das beste Geleis gebracht, ehe ich dir nur einen Wink gab.“
„Möglich“, nickte Martin. „Ich sagte doch bereits, daß dieser Neffe eine Schwester habe.“
„Allerdings.“
„Nun, diese Schwester ist ein nettes, sauberes Mädchen, geradezu zum Anbeißen, Monsieur Belmonte!“
Dabei schnalzte er mit der Zunge, als ob er eben die feinsten Delikatessen verschlungen habe. Belmonte lachte, drohte ihm mit dem Finger und sagte:
„Martin, du bist ein sauberer Patron! Fast bereue ich, den Sohn meines alten, braven Gutsinspektors eine solche Laufbahn eröffnet zu haben, weil er einst mein Lern- und Spielkamerad war. Du treibst alle möglichen Sorten und Arten von Allotria, und ich beginne sogar zu vermuten, daß du jetzt zu allen andern noch angefangen hast, den Mädels nachzulaufen.“
„Hm. Einmal muß doch angefangen werden“, lachte Martin munter. „Ich habe ja leuchtende Beispiele vor mir. Meine Spielkameraden laufen ihrer Schönheit wegen in die große Oper; da ich aber nicht die Mittel besitze, mir eine teure Loge zu mieten, so muß ich meiner Passion auf minder glänzende Weise Rechnung zu tragen suchen.“
„Der Hieb war gut pariert. Ich konstatiere, daß ich mich getroffen fühle. Also du hast mit der Schwester dieses Geheimsekretärs bereits Bekanntschaft angeknüpft?“
„Ich mit ihr und sie mit mir. Es schien mir das vorteilhafter, als mich an ihn selbst zu machen. Er liebt den Wein, und da kommt es öfters vor, daß er sich einen Käfer, einen Aal, einen Spitz oder gar einen Affen holt.“
„In solchen Zeiten ist man mitteilsam. Du hättest also doch vielleicht besser getan, dich mit ihm bekannt zu machen.“
„Habe es versucht, aber mit dem vollständigsten Mißerfolg. Dieser Mensch wird nämlich, wenn die Geister des Weins über ihn kommen, nicht mitteilsam, sondern verschlossener, als er vorher schon war. Er spricht kein Wort und stiert nur so vor sich hin. Solche Menschen gibt es auch. Was ist da aus ihnen herauszuholen? Zudem brachte ich in Erfahrung, daß er sehr oft aus dem Büro des Grafen Rallion Konzepte, Pläne und dergleichen mit nach Hause nimmt, um sie während der Zeit außerhalb der Bürostunden zu mundieren. Der Kaiser verlangt, daß alle Eingaben an ihn kalligraphisch schön gefertigt sind, und da dachte ich, daß es wohl möglich sei, mit Hilfe der Schwester, aber natürlich ohne ihr Vorwissen, so etwas einmal in die Hand zu bekommen.“
„Schlauer Kerl. Dazu aber mußt du ja Eintritt in die Wohnung haben.“
„Hat ihn schon“, lachte Martin.
„Sapperlot! Wirklich?“
„Ja, ich war bereits einmal droben bei ihr, natürlich ohne Wissen des Bruders.“
„Wo wohnen sie?“
„Sie bewohnen vier Zimmer einer zweiten Etage. Im Haus gibt es keinen Portier und auch keinen Hausmann. Ein Dienstmädchen haben sie nicht, denn die gute Alice – so heißt sie nämlich – arbeitet und besorgt alles selbst, die alte, gute Haut! Erst kommt sein Arbeitszimmer, dann sein Schlafzimmer, dann der Miniatursalon meines Schätzchens. Die Küche hat sich in eine Ecke des Korridors verkrochen. Sonst noch etwas, Herr Belmonte?“