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„Danke, mein Lieber! In welchem Zimmer warst du mit ihr?“

„Sehr vornehm, im Salon!“

„Nicht in ihrer Schlafstube?“

„Fällt ihr nicht ein, mir aber auch nicht, da meine Absichten nur auf die Zimmer ihres Bruders gerichtet sind.“

„Wann sollst du wiederkommen?“

„Das ist ja eben die verteufelte Geschichte! Ich sollte heute punkt neun eintreffen. Ihr Bruder, der Geheimsekretär, wollte halb neun Uhr ausgehen, und da ließ sich erwarten, daß er erst zu später Stunde nach Hause kommen werde. Nun aber ist es zu spät.“

„Das tut mir wirklich leid! Bei deiner Schlauheit und Gewandtheit hätte sich vermuten lassen, daß dein heutiger Besuch einigen Nutzen gehabt hätte.“

„Vielleicht ist es doch noch Zeit!“

„So spät?“

„Ja. Wenn der Herr Sekretär einmal in der Kneipe sitzt, so sitzt er ordentlich. Und hat er gar zu tief ins Glas geguckt, so sitzt er nicht bloß, sondern er klebt.“

„So versuche es! Ich werde selbst nach dem Telegraphenamt gehen.“

„Bitte um Entschuldigung! Das mit der Depesche ist meine Sache. Ich bin Telegraphist, wenn ich auch jetzt diene, und so wird es den Beamten dort nicht leicht, mir ein X für ein U zu machen. Auf dem Rückweg kann ich ja doch einmal nach Alice sehen. Sie wohnt am Wege. Haben Sie vielleicht noch eine Verordnung für mich?“

„Nein. Gehe immerhin! Ich weiß, daß ich dich nicht zur Vorsicht zu ermahnen brauche.“

„Übel angebracht wäre es doch vielleicht nicht!“ meinte Martin, indem er ein komisch ernstes Gesicht machte.

„Also doch! Wieso?“

„Weil ich glaube, sehr unvorsichtig gewesen zu sein.“

„Ich will doch nicht hoffen, daß du irgendeinen Fehler begangen hast?“ fragte Belmonte, indem er die Brauen emporzog.

„Einen sehr großen sogar!“

„Alle Teufel! Ich hoffe, daß er zu verbessern sein wird.“

„Wohl schwerlich.“

Belmonte schwieg, betreten, wie er doch ein wenig war. Martin bemerkte das und fuhr daher sogleich fort:

„Der Fehler ist nämlich glücklicherweise nur ein privater; aber trotzdem meine ich, daß Ihre Warnung zur Vorsicht gar nicht übel angebracht gewesen wäre. Ich lernte nämlich diese Alice nur kennen, um sie nach ihrem Bruder auszuforschen, ich wollte sie und ihn fangen; nun aber – habe ich meinen eigenen Angelhaken mitsamt der ganzen Köderfliege verschluckt. Ich bin selbst gefangen.“

Da lachte Belmonte erleichtert auf.

„So also ist es! Das meintest du! Du bist wirklich verliebt?“

„Ich denke es. Ist man verliebt, wenn man den Krampf, das Schneiden und Grimmen im Herzen hat statt im Magen? Ich habe da keine Erfahrung. Vielleicht können Sie mir bessere Auskunft geben, Monsieur Belmonte.“

„Keine Anzüglichkeit! Frage deine Alice nach Auskunft; ich lehne es ab, Rat zu erteilen!“

„Nun wohl, so will ich meine Krankheit sich entwickeln lassen, ob zu meinem Heil oder Unheil, das wird sich zeigen.“

„Kerl! Du wirst doch nicht gar auf den Gedanken kommen, eine Französin zu heiraten?“

„Warum nicht? Will man einmal in das Unglück hineintappen, dann ist es ganz egal, ob es auf französische Manier oder auf deutsche Weise geschieht. Im Gegenteil! Heirate ich eine Französin, welche nicht Deutsch versteht, so zanke ich deutsch, wenn ich wütend werde, und verstehe Französisch nicht, wenn sie in ihrer Muttersprache antwortet. Das gibt viel Sujets zu Lustspielen; ich verkaufe dieselben halb an deutsche und halb an französische Dichter, stecke die Fünfzigtaler- und Hundertfrankenscheine ein und werde dabei ein reicher Mann, ein glücklicher Gatte und ein famoser Familienvater.“

„Du bist unverbesserlich! Mach, daß du fortkommst!“

„Dachte es mir! Gehen Sie heute noch aus?“

„Nein, ich schlafe.“

„So darf ich mir vielleicht Ihr kleines Laternchen einstecken, wenn Sie es nicht brauchen?“

„Wozu?“

„Das weiß ich noch nicht. Auf den Wegen, welche ich wandle, ist es oft vorteilhaft, seine Fußstapfen beim Schein einer Leuchte in den Pfefferkuchen zu drücken.“

„Nimm sie und gute Nacht, wenn wir uns nicht wiedersehen sollten.“

„Gute Nacht, Monsieur Belmonte!“

Der lustige Diener steckte die Depesche nebst der Abschrift zu sich, versah sich mit dem Laternchen und trat den Gang nach dem Büro des Telegraphen an. Dasselbe war jetzt allerdings geschlossen, aber gegen eine unbedeutende Erhöhung der Gebühr mußte der Nachtbeamte zur Verfügung stehen. Dieser blickte verwundert über die Ziffern hin und meinte mürrisch:

„Verdammte Arbeit! Können Sie nicht in Worten telegraphieren?“

„O ja, das kann ich. Können Sie es?“ antwortete Martin.

Der Mann blickte ihn grimmig an und sagte:

„Wie meinen Sie das, Monsieur?“

„Sie erkundigten sich nach meiner Fertigkeit, und da glaubte ich das Recht zu haben, auch in Beziehung auf die Ihrige Nachfrage zu halten.“

„Meine Fertigkeit steht über allen Zweifel erhaben, sonst hätte man mich nicht angestellt. Das lassen Sie sich gesagt sein. Übrigens, wenn Sie sagen, daß Sie sich auch der Worte hätten bedienen können, warum haben Sie das nicht getan?“

„Weil es mir freisteht, mich sowohl der Worte wie auch der Ziffern zu bedienen. Und wenn ich irgendeinem Bekannten zehntausend Gedankenstriche zusenden will, so müssen Sie dieselben auf den Apparat übertragen. Übrigens habe ich mich für die Ziffer entschieden, weil nicht jeder Telegraphenbeamte zu wissen braucht, wieviel ich meinem Wichslieferanten schuldig bin!“

„Sie führen eine hier sehr ungewöhnliche Sprache. Ich werde sofort die Gebühr berechnen und dann die Depesche abgehen lassen.“

„Ich bitte um eine Bescheinigung, daß sie abgegangen ist!“

„Die sollen Sie haben!“

Das Formelle der Sache wurde abgemacht; Martin bezahlte und erhielt die Bescheinigung ausgestellt. Aber anstatt sich zu entfernen, blieb er ruhig stehen. Der Beamte blickte ihm zornig in das Gesicht und fragte:

„Nun? Was stehen Sie noch? Warum gehen Sie nicht?“

„Weil ich mir eine ergebene Frage gestatten muß.“

„Sprechen Sie. Aber machen Sie es kurz. Ich habe für solche Querulanten keine Zeit übrig.“

Martin tat, als ob er das beleidigende Wort gar nicht vernommen habe. Er machte das ehrlichste, treuherzigste Gesicht, welches ihm möglich war, und fragte sehr freundlich:

„Ist die Depesche schon abgegangen?“

Da fuhr der Beamte zornig auf.

„Herr, was denken Sie!“ reif er. „Meinen Sie etwa, daß es nur der Übergabe dieses Papiers bedarf, um den Inhalt desselben nach Berlin zu übermitteln? Soweit haben wir es denn doch noch nicht gebracht.“

„Ah, ich dachte, sie wäre bereits fort“, meinte Martin unbefangen. „Hier, auf meiner Bescheinigung steht, daß die Depesche elf Uhr vier Minuten aufgegeben worden sei. Ich glaubte also, ein Recht zu meiner Frage zu haben. Aber Sie geben doch zu, daß diese Bescheinigung eine Lüge enthält, wenn meine Korrespondenz noch unerledigt sich in Ihren Händen befindet.“

Der Beamte richtete seine Augen mit einem Ausdruck auf ihn, aus welchem zu ersehen war, daß er sich in Ungewißheit darüber befinde, wie er ihn beurteilen solle. Er sah die Depesche noch einmal durch und sagte dann barsch:

„Warten Sie!“

Nach diesen Worten entfernte er sich nachdenklich und trat in ein Nebenzimmer. Martin nickte lächelnd vor sich hin und flüsterte, indem er eine sehr zufriedene Miene machte:

„Er wollte die Ziffern nach dem Büro des Grafen Rallion zum Dechiffrieren schicken, ehe er sie dem Apparat übergibt. Nun erkundigt er sich bei irgendeinem Vorgesetzten, was zu machen sei, da ich nicht von der Stelle gehe. Wie wird der Bescheid lauten? Natürlich wird man mich täuschen wollen und so tun, als ob man telegraphiere. Schön. Das gibt mir Spaß.“