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Nach einiger Zeit trat der Telegraphist wieder ein und fragte:

„Wer ist denn dieser Herr Walther, an welchen die Depesche gerichtet ist?“

„Ich weiß es nicht, werde es aber schleunigst erfahren.“

„Wieso? Sie telegraphieren an jemand, den Sie gar nicht kennen? Das ist mir unbegreiflich!“

„Mir nicht. Ich hörte vor einer Viertelstunde, daß in Berlin auf der Behrenstraße ein Mann wohnt, welcher Walther heißt. Ich habe niemals etwas von diesem Herrn gehört; das machte mich wißbegierig. Und da ich ahnte, daß auch Sie neugierig würden, so beschloß ich, ihn zu fragen, was und wer er eigentlich sei. Ich hätte das mit viel weniger Kosten brieflich tun können; um aber Ihre Neugierde schleunigst zu befriedigen, zog ich es vor, zu telegraphieren. Nun werden Sie wohl begreifen.“

Jetzt endlich sah der Beamte ein, daß er es mit einem überlegenen Kopf zu tun habe. Er wollte in eine zornige Bemerkung ausbrechen, befürchtete aber eine nochmalige Zurechtweisung und sagte daher nur kurz:

„Sie täten weit besser, Ihre Gedanken bei sich zu behalten. Ich werde sofort telegraphieren.“

„Ich bitte darum, da bereits zwanzig Minuten über die Zeit vergangen sind, welche Sie mir hier auf der Bescheinigung angegeben haben.“

Der Beamte trat an den Apparat und setzte ihn in Bewegung. Das Ticken und Klappern begann und wurde einige Male durch das Glockenzeichen unterbrochen. Nach einer Weile hörte es auf. Der Telegraphist trat auf Martin zu und sagte in stolz verächtlichem Ton:

„So, jetzt ist es getan! Sie können sich entfernen!“

„Ich muß mir noch eine Frage erlauben“, meinte Martin in dem gleichmütigsten Ton der Welt.

„Ich habe keine Zeit mehr für Sie. Gehen Sie.“

„Ich bleibe. Wenn Sie für mich nicht zu sprechen sind, so werde ich unter Ihren Vorgesetzten doch einen finden, welcher Zeit für meine Beschwerde hat.“

„Beschwerde? Was fällt Ihnen ein. Sie haben keine Veranlassung zur mindesten Beschwerde.“

„O doch! Ich habe vielmehr Veranlassung zur größten Beschwerde. Ich werde anfragen, ob der Apparat dieser Station den Zweck hat, Lügnern und Fälschern als Mittel ihrer Unterschlagungen zu dienen.“

„Herr!“ brauste der Beamte auf.

„Übernehmen Sie sich nicht im Atmen. Sie haben meine Aufgabe gar nicht depeschiert!“

„Wie können Sie das sagen!“

„Sie haben nicht nach Berlin, sondern nach Epernay telegraphiert. Das ist die Station, bis zu welcher die Leitung augenblicklich offen war.“

Der Telegraphist machte ein verlegenes Gesicht. Er konnte gar nicht begreifen, wie Martin das so genau wissen könne. Dennoch nahm er schnell eine strenge Miene an und entgegnete in drohendem Tone:

„Monsieur, Sie beleidigen mich! Sie haben ferner vorhin von Lügnern und Fälschern, von Unterschlagung gesprochen. Ich habe das Recht, Sie sofort arretieren zu lassen!“

„Tun Sie das“, antwortete Martin kalt. „Das würde der beste und kürzeste Weg sein, Genugtuung für mich und Bestrafung für Sie zu erlangen. Ich will an Herrn Walther eine Depesche aufgeben, um ihm, der ein bedeutender Bankier ist, zu sagen, welche Papiere er morgen früh auf der Börse kaufen soll; es hängen Hunderttausende, ja viele Millionen davon ab, daß er die Depesche frühestens erhält, und Sie weigern sich, sie aufzugeben. Sie sollen Ihren Willen meinetwegen haben, aber wir werden wissen, an welcher Stelle wir uns den Ersatz des Schadens, welchen wir erleiden, auszahlen lassen.“

Jetzt wurde der Mann in Wirklichkeit verlegen, so verlegen, daß er es nicht verbergen konnte.

„Aber, wie kommen Sie denn zu der wunderbaren Ansicht, daß Ihre Depesche nicht abgegangen ist?“ fragte er.

„Soll ich Ihnen etwa sagen, was Sie telegraphiert haben?“ entgegnete Martin, sich zornig stellend.

„Nun? Ich bin begierig es zu hören.“

„Ja, Sie sollen es hören! Zunächst haben Sie angefragt, ob die Strecke frei sei, und dann lauteten Ihre Worte: ‚Lieber Kollege. Hier steht einer, welcher nach Berlin telegraphieren läßt und nicht eher fortgeht, als bis er mich in Tätigkeit gesehen hat. Seine Depesche ist chiffriert, ich muß sie zum Entziffern einsenden. Um ihm nun glauben zu machen, daß sie abgeht, will ich mich mit Ihnen unterhalten.‘ Ah, Sie werden blaß. Ich brauche also nicht weiter fortzufahren.“

Der Beamte stand da, als hätte ihn der Schlag gerührt.

„Mein Gott, wie können Sie das wissen?“ stammelte er.

„Das ahnen Sie nicht?“

„Nein.“

„Sie dauern mich. Daß ich Ihre Worte dem Apparat abgelauscht habe, muß Ihnen doch sagen, daß ich selbst ein erfahrener Kenner des Telegraphen bin, vielleicht ein besserer als Sie. Ich frage Sie ernstlich, ob meine Depesche abgehen wird, oder ob ich mich augenblicklich an die Behörde wenden soll!“

„Warten Sie.“

Er wollte sich wieder in das Nebenzimmer begeben, aber Martin hielt ihn mit den Worten auf:

„Halt. Sie wollen Erkundigungen einziehen. Sagen Sie bei dieser Gelegenheit, daß ich, während der Apparat in Tätigkeit ist, dabeistehen werde, um die Worte genau zu kontrollieren.“

Der Mann zog es vor, keine Antwort zu geben und entfernte sich. Bereits nach kurzer Zeit trat er mit einem anderen Beamten ein. Dieser warf einen finsteren, forschenden Blick auf Martin und fragte dann:

„Sie sind selbst bewandert im Telegraphieren?“

„Ja“, lautete die Antwort.

„Wer sind Sie?“

„Monsieur, befinde ich mich gegenwärtig im Telegraphen- oder im Polizeibüro?“

„Im ersteren natürlich. Ich wollte nur gern wissen, wer der Mann ist, welcher uns so viel Stoff zur Unterhaltung gibt. Handelt es sich wirklich um eine rein geschäftliche Depesche?“

„Ich habe keine Veranlassung, mich abermals darüber zu äußern.“

„Gut. Sie sollen Ihren Willen haben. Treten Sie näher und hören Sie. Ich werde die Depesche selbst abgehen lassen.“

Martin zog seine Abschrift hervor und verglich aufmerksam, während der Apparat arbeitete. Als es zu Ende war, fragte der Beamte in ironischem Ton:

„So. Sind Sie nun zufrieden?“

„Ja.“

„So werden Sie nun endlich gehen.“

„Allerdings. Zuvor jedoch mache ich die Bemerkung, daß ich Ihre Bescheinigung, welche übrigens bereits jetzt nicht stimmt, sofort brieflich nach Berlin senden werde, um von dort aus Recherchen zu veranstalten, ob die soeben abgegangene Depesche vielleicht unterwegs noch, nachdem ich mich von hier entfernt habe, von Ihnen aufgehalten und kassiert wird. Ich warne Sie hiermit, dies zu tun. Gute Nacht!“

Er ging.

„Ein entsetzlicher Mensch!“ hörte er hinter sich, noch bevor er die Tür wieder zugemacht hatte.

Draußen stellte er sich gegenüber in den Schatten eines Torweges, um aufzupassen.

„Sie haben“, dachte er, „meine Depesche unentziffert absenden müssen; nun aber werden sie den Zettel schleunigst nach dem Büro des Grafen Rallion bringen, um doch noch zu erfahren, um was es sich handelt. Haha, vergebliche Mühe. Unser Schlüssel ist so kompliziert, daß selbst ein Meister der Deschiffrierkunst ihn nicht finden kann.“

Er hatte noch nicht zwei Minuten gestanden, so kam ein Mann drüben heraus und lief eiligen Schrittes davon.

„Ah, das ist der Bote, der den Zettel hat. Viel Glück, ihr armen Leute! Ihr werdet euch vergeblich die Köpfe zerbrechen.“

Er ahnte nicht, wie bald er seine Schrift wieder vor die Augen bekommen werde, und wie wenig es demjenigen, der sie hatte, einfiel, sich den Kopf darüber zu zerbrechen.

Jetzt entfernte auch er sich. Beschleunigten Schrittes kam er durch zwei Straßen und blieb da auf dem Trottoir stehen. Seine Blicke suchten die Fenster der zweiten Etage eines Hauses, welchem er gegenüberstand.