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Sie errötete leise. Ihre Fingerchen glitten irr über die kleine Stickerei, welche sie zur Hand genommen hatte; ihr Busen hob sich unter einem tiefen Atemzug, und dann bemerkte sie:

„Gott ist es allerdings allein, den man um ein solches Glück zu bitten hat.“

Da ergriff er schnell ihr Händchen, zog es zu sich heran und fragte in innigem Ton:

„Würden Sie es wirklich für ein Glück halten, mit mir ein liebes Heim Ihr eigen nennen zu können?“

Da schlug sie die Augen groß zu ihm auf und antwortete:

„Monsieur Martin, ich habe keine Eltern mehr, und mein Bruder bekümmert sich um mich nicht. Ich bin fast nur auf mich angewiesen und sehne mich doch nach jemand, der gut zu mir ist, dem ich vertrauen kann und dem es eine liebe Beschäftigung wäre, sich ein wenig mit meinen kleinen Gedanken und Gefühlen zu bemühen. Das hat bis jetzt noch niemand getan. Ich lebte einsam, bis Sie kamen und mir sagten, daß Sie gern an mich dächten. Ich habe mir dann vorgestellt, wie schön es sein würde, wenn Sie mir Vater, Mutter und Bruder sein wollten. Ich würde glücklich sein. Ich sage Ihnen das aufrichtig und bitte Sie von ganzem Herzen, ebenso ehrlich zu mir zu sein. Ich fürchte mich vor dem Unglück des Lebens; aber an der Seite eines geliebten Mannes würde mich alles Leid und alle Sorge angstlos lassen. Ihm würde ich gehören, nur ihm: für ihn würde ich schaffen und arbeiten; mein Herz, meine Seele, mein ganzes Leben, mein Denken und Empfinden müßte wie ein Kristall sein, welchen er durchblicken könnte. Ich bin nicht schön; ich bin auch keine feine Dame; aber ich möchte stets so hübsch sein, daß er mich immer lieben möchte, und ich würde immer Mittel finden, mir sein Herz warm und offen zu erhalten. Würden Sie mit einer solchen Frau glücklich sein können, Monsieur Martin?“

Das war die Sprache eines reinen Herzens, eines warmen Gemütes. Martin fühlte sich davon so ergriffen, daß seine Augen feucht wurden. Er saß im nächsten Augenblick neben ihr, er wußte gar nicht, wie es gekommen war. Er schlang seine beiden Arme um sie, zog ihr Köpfchen an seine Brust und sagte:

„Ja, mit einer solchen Frau würde ich sehr, sehr glücklich sein. Und dieses Glück werde ich nur bei Ihnen finden. Alice, sagen Sie, ob dieses kleine, gute, reine Herzchen mir gehören möchte!“

Er legte ihr die Hand auf den leise sich bewegenden Busen, da wo unter demselben das Herz klopfte, von welchem er sprach. Sie duldete diese Berührung, schlug die Augen zu ihm auf und antwortete unter hervorquellenden Tränen:

„Ja, es soll Ihnen gehören, Ihnen allein, ganz allein! Wollen Sie es denn auch haben?“

„Ob ich es haben will. Ein solches Herz ist ja kostbar, so wertvoll, daß es mit allen Schätzen der Erde nicht zu erkaufen ist. Ja, ja, und tausendmal ja, ich will es haben. Und wenn ich es nicht bekommen sollte, so würde ich alles, alles tun, um es endlich doch noch zu erlangen!“

„So lieben Sie mich? Wirklich, wirklich?“

„Wie sehr, o wie sehr!“

Er legte ihr die Hand unter das zarte Kinn, hob ihr Gesichtchen zu sich empor und küßte sie auf die warmen Lippen, welche seinen Kuß leise und verschämt erwiderten. Dann aber legte sie plötzlich die Arme um seinen Nacken und sagte in bittendem Ton:

„Martin, laß dies keinen bloßen Scherz sein. Viele tausend Männer gibt es, welche solche Worte sagen, um für kurze Zeit eine Unterhaltung zu haben. Ich würde sterben und vergehen, wenn ich dir heute mein Herz und meine Seele schenkte, und du stießest sie dann wieder von dir.“

Da drückte er sie fest und innig an sich, so fest, daß beide gegenseitig ihre Herzen schlagen fühlten, und beteuerte:

„Alice, du sollst mein Leben, meine Wonne sein, und eher will ich alles meiden und alles von mir geben, ehe ich dir entsage. Willst du das glauben, Geliebte?“

„Ich glaube es!“ flüsterte sie, indem ein strahlender Blick durch Tränen hindurch ihn traf.

„Und wenn ich Paris verlassen muß und einige Zeit lang nicht wiederkommen kann, wirst du da immer an mich denken und mir treu bleiben?“

„Immer und immer! Ich werde nur an dich denken und täglich und stündlich zu Gott beten, daß er dich recht bald wieder zu mir bringen mag. Und dann –“

Sie stockte, und bei dem Gedanken an das, was sie, hingerissen von der Aufrichtigkeit ihres Herzens, noch hatte hinzufügen wollen, trat eine tiefe Röte in ihre Wangen.

„Und dann –?“ fragte er. „Willst du nicht weitersprechen?“

„Ich darf es nicht sagen!“ antwortete sie in holder Scham.

„Warum?“

„Kein Mädchen soll das sagen dürfen.“

„O doch! Versprachst du mir nicht, stets wie ein Kristall zu sein, dessen Klarheit ich durchschauen könne?“

„So meinst du, daß ich es wirklich sagen soll?“ fragte sie zagend.

„Ja. Bitte! Bitte! Und dann –?“

„Und dann, wollte ich sagen, wenn du zurückgekehrt bist, dann können wir die Schwalben sein, welche miteinander davon zwitschern, wohin sie ihre Nestchen bauen wollen.“

Er war ganz hingerissen von dieser kindlichen, natürlichen Naivität. Er küßte sie entzückt auf die Stirn, Mund und Wangen und antwortete:

„Ja, meine Alice, mein Schwälbchen, dann sprechen wir von dem Nestchen, welches wir bauen wollen. Groß wird es allerdings nicht werden!“

„Oh, groß soll es auch nicht sein, groß will ich es gar nicht haben. Es soll gerade so groß sein, daß zwei Vögel, welche sich lieben, Platz darin haben. Und wie schön würde ich es einrichten! Und wie sehr, wie sehr würde ich mich freuen, wenn es dir darin gefiele!“

So sprachen und flüsterten sie weiter. Für die Liebe hat ja selbst das sonst Wertloseste Bedeutung, wenn man nur die Stimme dessen hört, den man liebt. Sie achteten nur auf sich; sie hatten vergessen, daß die Zeit für den Unglücklichen Schneckenfüße, für den Glücklichen aber Flügel hat, bis Alice plötzlich aufhorchte.

Draußen an der Vorsaaltür wurde ein Schlüssel umgedreht. Das Mädchen wurde vor Schreck leichenblaß; es flog aus den Armen Martins fort, schlug die Hände angstvoll zusammen und flüsterte:

„Gott, mein Bruder! Was tun wir?“

„Ich verstecke mich!“

„Wohin aber so schnell?“

„Hierherein!“

Er raffte seinen Hut vom Stuhl und öffnete die nächste Tür.

„Um Gottes willen, da nicht! Das ist ja seine Schlafstube!“

Ihre Warnung kam bereits zu spät. Martin hatte die Tür schon hinter sich zugezogen. Der Raum war finster, aber beim öffnen der Tür war ein Lichtstrahl hereingefallen, und der junge Mann hatte die hier stehenden Möbel ziemlich deutlich erkennen können. Es befand sich hier ein Bett, ein Waschtisch, ein Spiegel, ein Kleiderschrank und außer drei Stühlen noch ein Tisch, welcher in der Mitte stand.

Martin meinte es ehrlich mit der Geliebten, er sagte sich also, daß er eigentlich keine Veranlassung habe, den Bruder derselben zu scheuen. Unter anderen Umständen wäre er demselben jedenfalls ruhig entgegengetreten, um ihm den Grund seiner Anwesenheit offen zu erklären. Hier aber war er nicht bloß der Geliebten wegen anwesend; er hatte sich nebenbei eine weitere Aufgabe noch gestellt.

Er hätte leicht in das Schlafzimmer Alices treten können, wohin zu kommen ihrem Bruder wohl nicht eingefallen wäre, aber einesteils war ihm die Geliebte zu rein und heilig erschienen, als daß er selbst aus Angst vor einer Entdeckung ihr Sanktuarium hätte entweihen mögen, und sodann kam es ihm darauf an, Zutritt zu dem Zimmer des Sekretärs zu finden. Daher hatte er es vorgezogen, in dasselbe zu treten.

Er probierte den Kleiderschrank. Er war verschlossen, und der Schlüssel steckte nicht an. Ob er in der nächsten Stube, dem Arbeitszimmer des Sekretärs, einen Zufluchtsort finden werde, war zweifelhaft; die Arbeitszimmer unverheirateter Männer sind gewöhnlich mit Möbeln nicht sehr überladen. Daher blieb ihm nur der Tisch und das Bett übrig.