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Als er seine Wohnung erreichte, war es bereits ziemlich hell geworden, und der Portier, welcher öffnen mußte, machte darüber ein erstauntes Gesicht. Er hatte noch nicht bemerkt, daß dieser Hausbewohner ein solcher Nachtschwärmer sei.

Oben im Logis angekommen, begab er sich sofort nach dem Schlafkabinett seines Herrn. Dieser, welcher einen sehr leisen Schlaf besaß, erwachte, als er eintrat.

„Martin, du bist es?“ fragte er.

„Ja. Entschuldigung, daß ich Sie stören muß!“

„Ich lasse mich sehr gern stören, denn daß du mich weckst, gibt mir die Überzeugung, daß du mir etwas Wichtiges und Gutes mitzuteilen hast.“

„Sie haben es erraten. Nicht wahr, Sie können stenographieren?“

„Spaßt du schon wieder? Wir haben es ja beide zusammen gelernt und dann miteinander geübt!“

„Nun, so wollen wir diese Übung fortsetzen!“

„Muß das sogleich sein?“

„Sogleich!“

„Dann vermute ich, daß du mir ein Stenogramm zu lesen bringst. Ist es so, oder nicht?“

„Es ist so. Ich will die Lampe anzünden. Es ist zwar bereits Tag, aber durch die dichten Vorhänge kann das Morgenlicht doch nicht herein.“

Während er dieses tat, erhob sich Belmonte von seinem Lager. Über dem Ankleiden fragte der letztere nach der Depesche, und Martin erzählte, was er da erlebt hatte. Beide mußten herzlich darüber lachen.

„Aber, woher kommst du so spät?“ fragte dann Belmonte, als er nach der Uhr gesehen hatte.

„Das erraten Sie nicht? Sehen Sie mich doch einmal an!“

Er stellte sich stramm vor seinen Herrn hin. Dieser blickte ihm in das lachende Gesicht, zuckte die Achsel und meinte:

„Ich sehe an dir jetzt ebenso wenig wie sonst.“

„Das möchte ich nicht glauben! Bin ich nicht auf einmal ein ganz anderer Kerl geworden? Sehe ich nicht geradeso aus, wie das Männchen von einem glücklichen Schwalbenpärchen?“

„Unsinn!“ antwortete Belmonte. Dann aber, sich besinnend, lachte er laut auf und sagte:

„Ich glaube gar, du hast noch fester in die Angel gebissen, so daß du die Fliege, von welcher du gestern abend sprachst, vollständig verschluckt hast!“

„Getroffen!“ stimmte Martin in das Lachen ein.

„Du bist also der Liebste?“

„Ja, und sie ist die Liebste!“

„Ein Schwalbenpärchen habt ihr euch genannt?“

„Freilich! Und diesen trefflichen Vergleich hat die Schwälbin zusammengebracht!“

„Eine geistreiche Schwalbe! Gratuliere! Das mag ein Gezwitscher und Gepiepe gewesen sein!“

„Zum Entzücken!“

„Ich glaube es und hätte dabei sein mögen. Aber wo bleibt das Stenogramm? Wir vergessen es über dieser Schwalbengeschichte sonst ganz und gar.“

„Hier!“

Er zog die Blätter aus der Tasche hervor und reichte sie ihm hin. Belmonte setzte sich zum Lesen nieder, öffnete und warf den Blick zunächst auf die Überschrift. Als er diese erblickte, warf er einen erstaunten Blick auf Martin.

„Dieser Titel ist ja außerordentlich!“ sagte er.

„Das dachte ich auch, als ich ihn sah“, antwortete der Diener.

„Aber ob der Inhalt ihn rechtfertigen wird!“

„Vollständig! Bitte, lesen Sie nur, Monsieur Belmonte!“

Der Changeur begann zu lesen. Je weiter er kam, desto aufmerksamer wurde er, desto mehr Ausrufe des Staunens und der Verwunderung stieß er aus. Und als er zu Ende war, sprang er erregt vom Stuhl auf und rief:

„Mensch, wo hast du diesen Fund gemacht?“

„Sie meinen, wo ich diesen Diebstahl begangen habe!“

„Das ist mir einerlei. Antworte!“

„Bei der Schwälbin.“

„Wie? Bei diesem Mädchen? Ah, der Bruder ist ja Sekretär des Grafen Rallion. Erzähle!“

Martin berichtete nun von seinem Erlebnis. Belmonte schritt dabei im Zimmer auf und ab. Nachdem der Diener zu Ende war, blieb er vor demselben stehen und sagte:

„Kerl, du bist ein Glückspilz, ein wirklicher, wahrhaftiger Glückspilz! Dieser Fund wird dir reiche Früchte bringen. Hier gibt es kein Säumen. Das Schriftstück muß abgeschrieben und sogleich nach Hause gesandt werden. Einer braucht lange dazu; wir werden beide sofort beginnen. Vorwärts, zur Feder!“

Sie teilten sich die Blätter, und bald waren beide in die Arbeit so vertieft, daß sie für nichts anderes Augen hatten. Selbst als die Zeitungen kamen, wurden dieselben unbeachtet beiseite geworfen. Sie brauchten bis weit in den Vormittag hinein; dann wurde die Kurrentschrift sorgfältig eingepackt, und Belmonte trug sie selbst fort, um sie derjenigen Person zu bringen, welche für solche Fälle in Bereitschaft stand. Das Schriftstück hatte einen zu hohen Wert, als daß man es der Post hätte anvertrauen können. Es mußte durch einen sicheren, zuverlässigen Kurier überbracht werden.

Als Belmonte von diesem kurzen Gang zurückgekehrt war, bereitete er sich auf die Fahrt nach Meudon vor. Eben wollte er aufbrechen, als der Telegraphenbote eintrat. Er brachte bereits die Antwort auf das gestrige Telegramm. Dasselbe war in Mainz aufgegeben worden und lautete:

„Herrn Arthur Belmonte, Paris, Rue Richelieu 12.

Reichenberger Rotwein nicht gebraucht; bereits vortrefflich versorgt. Aber möglichst schnell Risparger Auslese und dann sofort Metzheimer Berg und Tal in bester Qualität.

Albrecht. Weingroßhandlung.“

Belmonte wußte, daß er dem braven Martin sein Vertrauen schenken könne. Er las ihm daher das Telegramm vor. Der Diener schüttelte den Kopf und meinte:

„Und das soll die Antwort auf unser chiffriertes Telegramm sein?“

„Natürlich!“

„Es kommt ja aus Mainz!“

„Das ist sehr klug gehandelt. Es kommt aus Berlin, hat aber in Mainz Station gemacht, damit die hiesigen Beamten irregeleitet werden und nicht daran denken sollen, daß beide Depeschen im Zusammenhange stehen.“

„Nun, das ist freilich zu begreifen; aus dem Inhalt aber werde der Teufel klug, ich nicht.“

„So muß ich ihn dir erklären. Von welcher Person handelte unser Telegramm?“

„Von dem alten Kapitän Richemonte.“

„Wie würdest du diesen Namen ins Deutsche übersetzen?“

„In das Wort Reichenberg.“

„Nun, hier steht, daß Reichenberger Rotwein nicht gebraucht werde und man bereits vortrefflich versorgt sei.“

„Donnerwetter! Ich beginne zu begreifen!“

„Was?“

„Man kennt diese Richemonte bereits und hat vortreffliche Maßregeln getroffen. Habe ich recht?“

„Ja. Aber nun weiter! Es wird möglichst schnell Risparger Auslese verlangt. Auslese bedeutet für uns natürlich eine Auswahl unserer Beobachtungen. Was aber soll das Wort Risparger?“

„Da steht mein Verstand am Ende der Welt!“

„So weit brauchst du gar nicht zu gehen. Bleibe nur in Paris, wo wir uns befinden. Also Paris. Wieviel Silben?“

„Zwei.“

„Setze die erste hinter und die zweite vor.“

„Rispar – ah, Risparger Auslese! Jetzt habe ich es endlich.“

„Schön! Das dritte Wort wird dir nicht so sehr viel zu schaffen machen wie die anderen.“

„Metzheimer? Ich denke, daß hier nur die erste Silbe gilt.“

„Das ist jedenfalls das Richtige: Metz. Und Berg und Tal, was soll das bedeuten?“

„Nicht bloß Stadt und Festung Metz, sondern auch Berg und Tal, die ganze Umgebung.“

„Wie würdest du also die ganze Antwort deuten?“

„Wir sollen uns um diesen Richemonte nicht kümmern, da man bereits vortrefflich dafür gesorgt hat, daß dieser Mann nicht mit der Nase in den Wolken hängen bleibt. Wir sollen möglichst schnell mitteilen, was wir über Paris wissen, und endlich sollen wir dann sofort nach Metz gehen, um uns dieser guten Festung nebst ihrer Umgebung liebevoll anzunehmen.“