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„Ja, das ist die Instruktion, welche wir zu befolgen haben. Nur in einem Stück werde ich ein wenig abweichen.“

„Ist diese Abweichung gefährlich?“

„Gar nicht. Ich werde mich nämlich um diesen Richemonte doch ein wenig kümmern.“

Martin nickte mehrere Male sehr eifrig und sagte lachend:

„Ja, ja. Ich verstehe!“

„Was denn?“

„Ein gewisser Weinagent möchte sich um diesen alten Kapitän ein wenig kümmern, weil es gestern ruchbar geworden ist, daß sich bei dem Alten ein gewisser Bernard de Lemarch befindet, welcher verlobt ist mit einer gewissen dritten Person, der die Ehre geworden ist, in der großen Oper neben dem erwähnten Weinagenten zu sitzen.“

„Schlingel!“

„Oh, der Wahrheit muß man die Ehre stets geben!“

„Ich leugne ja auch nicht.“

„Sie wollen also doch einen Abstecher nach Ortry machen?“

„Hm! Wenn wir von hier nach Metz reisen, ist es ja gar nicht so weit nach Ortry. Einige Stunden abseits werden uns in der Erfüllung unserer Pflichten nicht sehr hinderlich sein. Und sodann habe ich eine Vermutung, der ich nachgehen möchte.“

„Darf ich mitgehen?“

„Natürlich!“

„So ist es mir wohl auch erlaubt, diese Vermutung kennenzulernen?“

„Ich kann sie dir immerhin mitteilen. Da man uns sagt, daß ich betreff Richemontes vortreffliche Fürsorge getroffen worden sei, so denke ich, daß sich ein Kamerad von uns bei ihm befindet, den man auf irgendeine feine Weise dort plaziert hat. Stellt sich das als richtig heraus, so wäre es vielleicht ganz vorteilhaft, mit demselben Fühlung zu nehmen.“

„Das leuchtet mir ein. Sehen wir also zu! Wann reisen wir von hier ab?“

„In kürzester Zeit. Die Hauptsache hast du getan. Mit Erlangung des Entwurfs sind die Karten des Feindes verraten. Ich will mir heute nur noch die Mitrailleusen ansehen; dann sind die Berichte in höchstens drei Tagen fertigzustellen. Nachher reisen wir ab.“

Martin schüttelte wehmütig den Kopf, schlug die Augen gen Himmel, faltete die Hände und rief:

„In drei Tagen schon! O Schwälbchen, o Schwälbchen, wie wirst du die Flüglein hängen lassen! Dein Schwalbert nimmt Abschied von dir!“

Belmonte machte ein ernstes, fast trübes Gesicht. Er zuckte die Achseln und sagte:

„Heute zusammengefunden und in drei Tagen bereits wieder scheiden; das ist allerdings höchst bedauerlich. Und dennoch möchte ich dich beneiden!“

Da wurde auch Martin ernst und antwortet:

„Ich glaube es Ihnen! So eine echte, richtige Liebe ist ein wunderbares Ding. Ich habe mein Schwälbchen. Wir sind eins geworden und wenn wir auch für ein Weilchen auseinanderfliegen, so finden wir uns doch ganz sicher wieder zusammen. Wenn aber so ein Täuberich nach einer Taube girrt, die er nur von weitem gesehen hat, und welche bereits für einen anderen bestimmt ist, so mag der Teufel dreinschlagen. Aber nur Mut! Die Hilfe ist bereits unterwegs!“

„Ich weiß nichts davon!“

„Nicht? So! Wird nicht vielleicht schon bald der Tag kommen, an welchem der hiesige Boden unter den Hufen unserer Pferde erzittern wird? Als Sieger und Rittmeister oder gar Major und Oberst sitzt es sich ganz anders in der großen Oper, denn als obskurer Weinagent, der von weitem zusehen muß, wie bereits in frühester Jugend die Paare zusammengekoppelt werden. Monsieur Belmonte, mir zuckt es bereits in den Gliedern, daß es bei unserer Schwadron zwei geben wird, von denen jeder bei der Heimkehr eine schmucke Französin vor sich auf dem Sattel sitzen hat. Die Chefs d'Escadron, welche uns daran hindern wollen, werden einfach in die Pfanne gehauen! Hurra, wenn meine Schwalbe wüßte, daß sie Gräfin wird, nämlich Tele-Gräfin! Ich wollte, es ginge lieber heute als morgen los!“

Was der brave Mensch bezweckte, nämlich, den Trübsinn seines Herrn nicht aufkommen zu lassen, das erreichte er. Die Züge Belmontes heiterten sich auf, und als er sich in den Wagen setzte, welcher ihn nach Meudon bringen sollte, zeigte er das glücklichste Gesicht, welches es nur geben kann. – – –

Nun erst, nachdem die Arbeit vollendet und abgeschickt worden war, und Belmonte sich entfernt hatte, fand Martin Zeit, nach den Journalen zu greifen. Er pflegte nur das Politische und Wissenschaftliche zu lesen, aber bereits als er das erste Blatt aufschlug, fiel ihm eine fettgedruckte Alinea auf, welche unter der Rubrik ‚Polizeibericht‘ zu lesen war. Sein Auge flog halb unachtsam darüber hin. Da aber traf es einen Namen, der ihn frappierte:

„Gräfin Ella von Latreau?“ sagte er vor sich hin. „Das ist ja die heimlich Angeschmachtete meines Ritt – wollte sagen meines famosen Weinagenten! Was ist mir der? Das muß ich lesen!“

Aber kaum hatte er die letzte Zeile verschlungen, so fuhr er empor, schlug mit der Faust auf den Tisch und rief:

„Höllenteufelschockmillionenhagelwett – ist das wahr, oder ist das nicht wahr? Hier mitten in dem großen Dorf, welches sie die Metropole der Intelligenz nennen, wird eine Dame, eine Komtesse, eine Generalsenkelin, eine heimliche Geliebte von uns aus der Equipage gerissen, in eine Droschke geworfen, welche die Nummer 996 hat, und irgendwohin verschleppt, vielleicht gar in die Unterwelt? Und diese Polizei will der Herkules sein, der den Zerberus totbeißt? Steht es denn auch in den anderen Journalen? Ich muß doch sofort nachsehen.“

Er schlug nach und fand ganz denselben Bericht, nur dem Wortlaute nach verändert, in allen anderen Blättern.

„Es ist wahr!“ rief er. „Sie ist fort, sie ist futsch! Sie wird nicht mehr in der großen Oper zu sehen sein. Und diese Polizei, was hat sie herausgebracht? Daß die betreffende Droschke eine gefälschte Nummer gehabt hat; die richtige Nummer hat nachgewiesen, daß sie sich um die betreffende Zeit in einem ganz anderen Stadtteil mit dem Transport von zwei alten Mamsellen abgewürgt hat. Der Diener der Equipage hat, als er von seinem Sitz herabgeschleudert worden war und auf der Erde lag, die Nummer 996 ganz deutlich am Schlag des Fiakers gesehen. Ist das alles? Ja! Die Polizei ist in allgemeiner Bewegung, heißt es. Das bedeutet, daß diese Herren entsetzlich lange Beine machen, durch alle Straßen jagen, an allen Ecken zusammenrennen und heute abend schweißtriefend sich zu Bett legen werden. Und unterdessen geht die geraubte Gräfin zugrunde oder sie wird zu einer Ehe mit irgendeinem Menschen gezwungen, oder auf irgendeine andere Weise abgemurkst. Der Teufel soll mich holen, wenn ich da ruhig zusehe. Da muß ich auch dabei sein! Ich muß meinen Senf auch mit dazubringen. Ich mache mich auch auf die Beine! Finde ich eine Spur, so reiße ich die Komtesse vom Himmel herunter, wenn man sie etwa da hinauf gehängt hat. Und finde ich nichts, so kann ich doch wenigstens mit der Polizei um die Wette rennen, und zu meinem Herrn, wenn er von Meudon kommt, sagen, daß ich nicht die Arme müßig in den Schloß gelegt habe.“

Er machte sich zum Ausgehen fertig, aber mitten in der Eile, mit welcher er das tat, hielt er plötzlich inne und blickte nachdenklich vor sich nieder.

„Aber die Alice, die Schwalbe?“ fragte er sich. „Die will doch kommen! Was wird sie denken, wenn ich nicht zu Hause bin! Vielleicht kommt sie in ihrer Angst gar auf die Idee, daß man mich auch in einer Droschke 996 fortgeschleppt hat. Da muß ich vorbeugen. Ich werde eine Karte in die Türritze stecken, worauf geschrieben steht: Ich lebe, aber ich bin nicht da, oder: Ich bin einstweilen in die Wicken, aber ich komme bald wieder!“

Trotz seiner Aufregung doch bei Humor, nahm er wirklich eine Karte und schrieb auf die Rückseite derselben die Worte: „Mein Schwälbchen, verzeih! Ich konnte nicht warten, aber ich komme heute abend zu dir geflogen!“

Die Karte steckte er, als er ging, in die Türritze, so, daß sie von dem, welcher klingeln wollte, unbedingt bemerkt werden mußte. Dann eilte er von dannen.

Der Vormittag verging, auch der Nachmittag zur Hälfte; da kam Alice. Sie klingelte, und als nicht geöffnet wurde, zog sie die Karte hervor, um zu sehen, was darauf geschrieben stand. Sie las die Worte und ging dann nachdenklich von dannen.