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Es dunkelte bereits, als Martin wiederkehrte. Er sah, daß die Karte verschwunden war und sagte zu sich:

„Nun weiß sie wenigstens, woran sie ist. Ich will – ah, da kommt ein Wagen gerasselt. Er hält unten vor der Tür, sollte es mein Herr sein?“

Er hatte richtig geraten. Belmonte kam die Treppe herauf, sah ihn vor der Vorsaaltür stehen und rief ihm bereits von weitem zu:

„Spät zurück! Nicht wahr? Aber es war dafür auch ein sehr glücklicher Ausflug!“

Er sah ganz so aus, als ob er mit dem Ergebnis seiner Tour ganz und gar zufrieden sei. Sie traten ein, und nun erst, als sie im Zimmer standen, fragte Martin:

„Haben Sie den Direktor angetroffen?“

„Ja. Wir haben tüchtig geprobt und getrunken. Darüber ging ihm das Herz auf, und ich kehre mit reicher Ausbeute zurück. Ich wollte heute wieder in die Oper, aber das muß ich bleiben lassen, da ich zu Papier bringen muß, was ich mir in Gegenwart anderer nicht notieren durfte.“

„Hm! Aus der Oper wäre auf keinen Fall etwas geworden.“

„Wieso? Was für ein Gesicht machst du? Du siehst ja aus, als ob ein Unglück geschehen sei.“

„Das ist auch wirklich der Fall.“

„Was denn? Was denn? So rede doch!“

„Wissen Sie wirklich noch nichts?“

„Nein.“

„So lesen Sie hier.“

Belmonte las. Er wurde bleich wie der Tod und fuhr sich mit beiden Händen nach den Schläfen. Dann schlug er sich vor die Stirn und schritt fieberhaft erregt hin und her. Endlich sagte er:

„Hunderttausend Franken wird er bezahlen, um sie wieder zu bekommen – Fiakerkutscher – Nummer aufgeklebt!“

Er wiederholte einen Teil dessen, was er gestern bei Vater Main von der heimlichen Unterredung erlauscht hatte. Martin dachte, er phantasiere vor Schreck.

„Monsieur Belmonte“, sagte er, „es ist wohl noch nicht alles verloren. Zwar bin auch ich umsonst hin- und hergerannt, um eine Spur oder einen guten Gedanken zu finden, aber –“

„Unsinn!“ unterbrach ihn sein Herr. „Lade unsere Revolver und mache dich fertig zum Ausgehen! Ich weiß, wo die Komtesse steckt und werde sie befreien. Ich eile jetzt zum General, ihrem Großvater, mit dem ich vorher sprechen muß; dann aber werden wir sofort aufbrechen.“

Er hatte bereits die Klinke in der Hand und war mit den letzten Worten zur Tür hinaus. Martin aber stand inmitten des Zimmers und wußte nicht, was er denken solle. Woher konnte sein Herr wissen, wer die Dame geraubt und wohin man sie geschafft hatte?

„Na, zerbrechen wir uns nicht den Kopf“, murmelte er. „Dieser sogenannte Weinagent Belmonte ist in allen Ecken und Winkeln von Paris herumgekrochen. Vielleicht kennt er Orte, an denen man so hübsche Vögel einzusperren und zu zähmen pflegt, und will nun da nach der Komtesse suchen. Alle Teufel! Die Revolver soll ich laden! Vier Stück haben wir, zwei Totschläger auch. Er hat sie angeschafft, weil gewisse Kneipen, in denen wir aus- und eingehen, ganz allerliebst verrufen sind. Da ist so eine Waffe zuweilen ganz nützlich. Ich werde also die Revolver laden und auch die Totschläger hervorsuchen. Ich muß sagen, daß es heute abend hübsch zu werden scheint. Anstatt mein Schwälbchen beim Kopf nehmen zu können, habe ich vielleicht irgendwelche Spitzbuben bei der Parabel zu packen. Dieses Paris ist eine höchst sonderbare Gegend; aber da ich einmal Naturmensch bin, so muß ich sie genießen, wie sie eben ist.“

Nach diesem Selbstgespräche machte er sich daran, die Waffen instandzusetzen.

Der Changeur hatte unterdessen seinen Gang angetreten. Er schritt in höchster Eile der Straße zu, in welcher, wie er wußte, der alte General de Latreau wohnte. Das Hotel desselben war ein palastähnliches Gebäude; unter dem geöffneten Tor stand der Portier, den Stock mit dem üblichen großen, vergoldeten Knauf in der Hand.

„Ist Seine Exzellenz, der Herr General daheim?“ fragte er ihn.

Der Portier musterte ihn mit mißtrauischen Blicken, doch schien das elegante Äußere des Changeurs seine Besorgnis zu zerstreuen. Er antwortete durch die Gegenfrage:

„Was wollen Sie?“

„Ich habe mit ihm zu sprechen.“

„Das wird schwer gehen. Nach dem Unglück, welches unserem Haus widerfahren ist, sind wir gezwungen, in Beziehung der Annahme von Besuchen sehr vorsichtig zu sein.“

„Ah! Halten Sie mich vielleicht für einen Straßenräuber?“

„Nein. Wenigstens sehen Sie nicht wie ein solcher aus. Gehen Sie eine Treppe hoch und melden Sie sich durch den Kammerdiener.“

Belmonte folgte dieser Aufforderung. Auch der Kammerdiener machte Schwierigkeiten; da jedoch der Changeur erklärte, daß die Ursache seines Besuches von höchster Wichtigkeit sei, so wurde die Karte, welche er überreichte, endlich angenommen. Der Diener las den Namen, zuckte die Achsel und meinte:

„Ein Weinkauf ist niemals von solcher Wichtigkeit, wie Sie es dazustellen suchen.“

„Es handelt sich nicht um Wein und ähnliches. Ich habe auch keine Zeit, Ihnen eine lange Erklärung zu geben. Melden Sie mich, oder ich bin gezwungen, mir den Zutritt selbst zu suchen.“

„Sie scheinen ein sehr energischer Mann zu sein. Ich werde versuchen, ob der Herr General geneigt ist, Sie zu empfangen.“

Er ging, und kehrte nach einiger Zeit mit der Weisung zurück, daß Belmonte eintreten könne. Er führte den letzteren durch einige Zimmer und öffnete dann eine Tür. Sie führte in das Kabinett des Grafen.

Dieser saß bei einem Tisch, welcher fast ganz mit Geldrollen bedeckt war. Diese hatten jedenfalls die Bestimmung, in ein offenes Köfferchen zu wandern, welches neben dem Tisch stand. Der General war ein schöner Greis, dessen Züge allerdings durch das Ereignis des gestrigen Abends verdüstert worden waren. Er musterte den Eintretenden, erwiderte die tiefe Verbeugung desselben mit einem leichten Kopfnicken, und fragte dann:

„Sie sind Weinhändler, wie ich sehe. Was wünschen Sie, Monsieur?“

Belmonte wiederholte seine Verbeugung, allerdings etwas weniger tief als vorher, und antwortete dann:

„Zunächst, Exzellenz, habe ich meinen Dank auszusprechen für die Güte, mit welcher Sie geneigt gewesen sind, einen Unbekannten zu empfangen. Sodann beeile ich mich zu erklären, daß mich nicht die Absicht, ein Geschäft mit Ihnen abzuschließen, zu meinem Besuch veranlaßt hat. Es ist vielmehr eine ungleich wichtigere Angelegenheit, welche mich zu Ihnen führt.“

Der General zog die Brauen zusammen, ließ seinen Blick abermals sehr scharf an Belmonte herabgleiten, nickte dann langsam mit dem Kopf und sagte:

„Ich beginne zu verstehen. Sprechen Sie, Monsieur.“

„Sie haben gestern Ihr einziges Kind verloren –“

„Allerdings. Doch hoffe ich nicht für immer“, fiel der General schnell und beinahe in scharfem Ton ein.

„Ich hoffe dies ebenso. Darf ich mir vielleicht die Frage gestatten, in welcher Weise Sie die gnädige Komtesse aus der Lage, in welcher sie sich befindet, befreien wollen?“

Jetzt nahm das Gesicht des Grafen einen wirklich finsteren Ausdruck an. Er sagte:

„Monsieur, eigentlich sollte ich Sie sofort festnehmen lassen, aber da ich meine Enkeltochter zu sehr liebe, um sie einer Verschlimmerung ihrer jedenfalls bereits genug unglücklichen Lage auszusetzen, so will ich mich doch zur Ruhe zwingen.“

Jetzt kam Belmonte eine Ahnung, wie die Worte und das Benehmen des Grafen zu verstehen seien. Er machte eine energische Handbewegung und antwortete schnell und in abweisendem Tone:

„Exzellenz, Sie halten mich für einen der Täter?“

„Aufrichtig gestanden, ja.“

„Der die Kühnheit oder vielmehr Frechheit besitzt, auf diese Weise erfahren zu wollen, welche Maßregeln zu ergreifen Sie beabsichtigen?“

„Natürlich!“

„Sie irren sich ganz und gar.“