„Und ich würde Ihnen helfen, wenn es mein Leben kosten sollte, Exzellenz!“
Diese Worte waren in einem so tiefen Brustton gesprochen, sie kamen so grollend, ja knirschend zwischen den Zähnen hervor, daß der Graf den Sprecher überrascht anblickte.
„Sie scheinen es doch ehrlich zu meinen!“ sagte er.
„Prüfen Sie mich!“ antwortete Belmonte einfach.
„Warum aber diese Teilnahme, welche sogar das Leben zu opfern imstande ist, mit mir und meinem Kinde?“
Konnte Belmonte die Wahrheit sagen? Nein. Er antwortete:
„Exzellenz, ich bin ein ehrlicher Karl und hasse das Laster und das Verbrechen. Als Mitglied der menschlichen Gesellschaft habe ich die Pflicht, beide zu bekämpfen.“
„Das ist allerdings eine sehr lobenswerte Gesinnung. Vielleicht nehme ich Sie beim Wort. Für heute aber kann ich keine andere als die bereits ausgesprochene Entscheidung treffen.“
„Sie werden also die Summe bezahlen?“
„Ja.“
„Und wenn die Komtesse zurückkehrt?“
„Werde ich schweigen.“
„Wenn man Sie aber betrügt?“
„So sehe ich ein, daß Sie es ehrlich gemeint haben, und Sie werden der erste sein, an den ich mich wende. Auf Ihrer Karte fehlt die Angabe Ihrer Wohnung, Monsieur Belmonte. Wollen Sie das nachholen? Da steht Tinte.“
„Unsere Unterhaltung ist also soweit beendet, daß Sie mir nur noch ein Versprechen zu geben haben.“
„Ich werde es geben, wenn ich es für zweckmäßig halte.“
„Immer einen Vorbehalt! Sie geben mir die Hand darauf, daß Sie von dem, was Sie wissen, der Polizei nicht eher etwas sagen, als bis Sie einsehen, daß ich ohne dieselbe nichts erreichen kann.“
Er hielt Belmonte die Hand entgegen.
„Gut, das kann ich versprechen“, antwortete dieser, indem er einschlug. „Ich bin überzeugt, daß Ew. Exzellenz mich in kurzer Zeit nicht mehr zu denen rechnen werden, welche die Veranlassung sind, daß ein einfacher Weinagent es wagt, in diesem Haus Zutritt zu suchen.“
Der Changeur ging. Sein Plan war an dem Mißtrauen des Grafen gescheitert.
Was sollte er nun beginnen? Auf dem Rückweg nach seiner Wohnung dachte er an die Gefahren, welchen die heimlich Angebetete ausgesetzt war. In einem Haus, in dem Mädchen wie die beiden Kellnerinnen bedienten und fast nur der Abschaum der Menschheit verkehrte – was alles konnte da bis morgen geschehen.
„Nein!“ sagte er zu sich. „Ich werde zwar das Wort halten, welches ich gegeben habe, aber doch auch tun, was ich vielleicht zu tun vermag. Wenn es in meiner Macht liegt, soll dieses herrliche Wesen keine Sekunde zu lange sich in den Händen dieser Ungeheuer befinden. Martin ist schlau und mutig; er soll mir helfen.“
Als er nach Hause zurückkehrte, hatte der Diener längst mit großer Spannung auf ihn gewartet.
„Nun, Monsieur Belmonte“, fragte er, „kann der Tanz endlich losgehen?“
„Ja.“
„Der General macht mit?“
„Nein. Er mißtraute mir.“
„Hole ihn der teuflische Satanas.“
„Er glaubt nämlich, daß ich zu den Räubern gehöre und nur gekommen bin, um zu erfahren, ob er das Geld zahlen oder andere Maßregeln ergreifen will.“
„Geld?“
„Ah, du weißt es ja ebenso wenig, wie ich es wußte. Ich muß dir das Nähere erläutern.“
Er erzählte nun, was ihm gestern in dem Branntweinkeller begegnet war, und fügte daran die Unterredung mit dem Grafen Latreau. Martin hörte aufmerksam zu und sagte dann:
„Nach dem, was ich gehört habe, ist es dem Grafen gar nicht zu verargen, daß er Ihnen nicht traut. Aber hunderttausend Franken! Kreuzmillionenschockdonnerwetter! Wie viele Schuhzwecken könnte man dafür kaufen, acht Stück für einen Pfennig, nämlich von der Mittelsorte! Wenn man sich diesen Sparpfennig verdienen könnte!“
„Das geht nicht!“
„Nein, aus reiner Ambition nicht! Aber gut, so machen wir es umsonst und heiraten dann das Mädchen. Dann sind die Hunderttausend doch noch unser.“
„Martin, Martin!“
„Schon gut, Monsieur Belmonte. Sie meinen, ich soll zwischen meine Ausdrücke einige Ellen Ehrerbietung mit einschieben? Das soll von jetzt an geschehen. Also, was haben Sie ehrerbietigst zu tun beschlossen?“
„Du bist unverbesserlich! Ich werde sehen, ob es nicht möglich ist, die Dame auch ohne Hilfe der Polizei zu befreien.“
„Warum soll das nicht ehrerbietigst möglich sein! Der Martin ist dabei, und wo der seine Hand im Spiel hat, da ist stets das ungeheuerste Glück in schuldigster Hochachtung und tiefster Untertänigkeit vorhanden!“
„Mensch, scherze jetzt nicht!“ mahnte Belmonte unwillig. „Die Hauptsache ist natürlich, daß sich meine Vermutung bestätigt, ich meine, daß die Komtesse sich wirklich bei Vater Main befindet.“
„Ich möchte gar nicht daran zweifeln.“
„Ich auch nicht.“
„So müssen wir einen Feldzugsplan entwerfen.“
„Das ist unmöglich, da wir die Faktoren ja gar nicht kennen, mit denen wir zu rechnen haben. Weißt du die Kneipe?“
„Ich kenne sie nur aus der Beschreibung, welche Sie mir von ihr gegeben haben.“
„So wirst du sie ohne mich finden.“
„Wir gehen nicht miteinander?“
„Nein. Wir dürfen uns gar nicht kennen, müssen aber in inniger Fühlung bleiben, um gegebenenfalls eingreifen zu können.“
„Gut, ich greife hinein, mag es nun Tinte, Quark oder Sirup sein, aus dem wir die ehrerbietigste Komtesse herausziehen müssen.“
„Mache ein Ende mit diesem Unsinn! – Wir dürfen uns auch nicht zueinandersetzen.“
„Woher soll da die Fühlung kommen?“
„Die wird von Sally besorgt werden.“
„Ah! Ist mir lieb! Solche Fühlung ist angenehmer, als Tornister an Tornister und die Ellbogen dazwischen. Sie glauben also, diesem Mädchen vertrauen zu dürfen?“
„Ich hoffe es und werde sie noch ein wenig bearbeiten.“
„Mit Fühlung?“
„Unsinn über Unsinn! Hast du die Revolver geladen?“
„Alle vier. Dort auf dem Tisch liegen sie und daneben die beiden Totschläger.“
„Das ist gut, sehr gut. An die habe ich gar nicht gedacht, obgleich sie viel praktischer sind, als Schußwaffen. Mit ihnen läßt sich ganz unhörbar arbeiten, während die Revolver trotz des nicht sehr lauten Geräuschs, welches sie verursachen, uns doch verhängnisvoll werden können.“
„Wahr, sehr wahr! Wir befinden uns heute zwar auf sehr guten, braven und lobenswerten Wegen; aber dennoch ist es immer besser für uns, unbemerkt zu bleiben. Die Polizei würde uns zwar zu Hilfe kommen, uns vielleicht ein Verdienstdiplom ausfertigen lassen, aber sie könnte doch wohl auch einige unbequeme Fragen an uns tun, welche am besten unausgesprochen bleiben.“
„Was das betrifft, so brauchen wir solche Fragen ganz und gar nicht zu fürchten. Ich bin mit ausgezeichneten Legitimationen versehen und stehe unter sicherem Schutz.“
„Das beruhigt mich. Also, ich bin in dieser Kellerkneipe noch niemals gewesen. Darf ich um eine Beschreibung der Räumlichkeiten bitten, damit ich weiß, woran ich bin.“
„Sobald du die Stufen hinabkommst, trittst du in das eigentliche Schanklokal. Dort kann ein jeder verkehren. Durch eine Tür kommt man dann in einen zweiten Raum, wo sich Stammgäste und andere Bevorzugte aufhalten dürfen. Daran stößt linkerhand ein kleines Seitenkabinett, in welches sich der Wirt mit seinen Vertrauten zurückzuziehen pflegt, wenn er mit ihnen eine wichtige, heimliche Besprechung vorzunehmen hat. Von da aus liegt weiter nach hinten ein Raum, in welchem allerhand Gerätschaften und leere Fässer aufbewahrt werden, und aus welchem eine steinerne Treppe nach dem Hof und nach dem Inneren des Hauses emporführt. Hier führt nun auch eine starke, mit Eisen beschlagene Tür in den tiefen Hinterkeller hinab.“