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„Ich danke dir. Ich komme bald wieder.“

Sie erhob sich und verließ das Zimmer. Er hatte nicht das Gefühl, als ob er sich durch diesen Kuß entehrt hätte; es war ihm vielmehr zumute wie einem Priester, welcher einem Reuigen die Absolution erteilt hat.

Er brauchte auf ihre Rückkehr gar nicht lange zu warten. Sie trat in einer Hast ein, daß er sofort erkannte, daß etwas Wichtiges geschehen sei.

„Was ist's?“ fragte er.

„Um Gottes willen, was soll da geschehen!“ antwortete sie. „Ich sah, daß Vater Main einen Schlüssel von seinem Bund losmachte und Brecheisen und Dietrich gab. Diese beiden sind die Treppe hinaufgegangen.“

„Und der Wirt?“ fragte der Changeur weiter.

„Sitzt wieder am Tisch bei den anderen dreien.“

„Was können sie oben wollen?“

„Sie können nur zu der Dame sein.“

„Alle Teufel! So muß ich ihnen nach.“

„Das ist gefährlich.“

„Danach darf ich nicht fragen. Weiß der Wirt, daß ich hier bin?“

„Noch nicht.“

„Kann er mich sehen, wenn ich an der Tür vorübergehe?“

„Nein, sie ist zu. Sie haben zugemacht, damit niemand hören soll, was gesprochen wird.“

„Und die anderen, welche draußen sitzen? Sind viele Bekannte dabei?“

„Oh, nur einer, der Emissär nämlich, welcher dich gestern gesehen hat.“

„Er wird mich nicht beachten, wenn ich rasch an ihm vorüber gehe. Der Bajazzo, welcher gestern bei uns saß, ist nicht hier?“

„Nein. Er wollte aber noch kommen.“

„Gut. So kann es noch glücken. Gib dem Studenten einen Wink. Wenn ich zu lange oben bin, so ist Gefahr vorhanden. Er soll mir da zu Hilfe kommen.“

„Aber du hast kein Licht.“

„Ich habe eine Laterne. Vorwärts!“

Er wollte fort; sie hielt ihn noch für einen Augenblick zurück und fragte:

„Und ich! Was soll ich tun?“

„Das kann ich jetzt nicht wissen. Schicke nur den Studenten nach und suche dann, uns den Wirt und die Gäste fernzuhalten. Wenn ich die Komtesse wirklich oben finde, so kann ich sie unmöglich durch diese Räume entfernen. Gibt es keinen anderen Weg?“

„Hinten zum Hoftor hinaus. Aber da müßte man den Schlüssel haben. Die Mauer ist viel zu hoch.“

„Wo ist der Schlüssel?“

„Vater Main hat ihn am Bund.“

„Ich muß ihn haben, und zwar um jeden Preis und möglichst schnell. Sage das dem Studenten.“

Bei diesen Worten schob er sie von sich und trat in den zweiten Raum. Dort saßen gegen dreißig Personen, lauter Galgengesichter. Sie kannten ihn nicht und waren übrigens so sehr mit sich selbst beschäftigt, daß sie ihm nicht die mindeste Aufmerksamkeit schenkten. Er gelangte unaufgehalten an ihnen vorüber in den dritten Raum, von welchem aus die Treppe emporführte.

Nur Martin hatte seinen Herrn scharf angesehen und im Vorbeipassieren von ihm einen Wink hin nach der Kellnerin erhalten, welche unter der geöffneten Tür stand. Er erhob sich, näherte sich ihr, schob sie in die vordere Stube zurück und zog die Tür hinter sich zu. Er bemerkte sofort, daß er den Schläfer und den Betrunkenen gar nicht zu berücksichtigen brauche.

„Haben Sie sich mit dem Herrn unterhalten, welcher soeben hier hinausging?“ fragte er das Mädchen.

„Ja“, antwortete sie schnell. „Sie sind doch sein Diener?“

„Ah, er hat sich Ihnen anvertraut?“

„Ich weiß alles.“

„Werden Sie uns helfen?“

„Ganz gewiß. Ich glaube wirklich, daß die Dame oben steckt. Zwei der Räuber sind hinauf zu ihr, und Monsieur Arthur ist ihnen nach. Sie sollen schnell folgen und den Schlüsselbund mitbringen, welchen der Wirt am Schürzenbandträgt.“

Martin stieß ein kurzes, leichtes Lachen aus und meinte:

„So! Also den Schlüsselbund am Schürzenband. An dieser Schürze aber hängt unglücklicherweise eben der Wirt, der es sich nicht gefallen lassen wird, wenn ich ihn bitte, das Band aufknüpfen zu dürfen. Alle Wetter! Den Schlüsselbund am Schürzenband. Als ob das so etwas ganz und gar Leichtes und Einfaches sei.“

„Auch ich weiß da keinen Rat!“ sagte sie ängstlich.

„Auch Sie nicht?“ fragte er nachdenklich. „Hm, da muß ich sehen, daß ich Rat bei mir selbst finde.“

„Aber eilen Sie, eilen Sie!“

„Warum? Wie viele sind hinauf?“

„Zwei.“

„Oh, dann hat es keine sehr große Eile. Mit zweien wird dieser verteufelte Monsieur Arthur schon fertig werden. Sagen Sie mir lieber, auf welche Weise die Dame aus dem Haus gebracht werden soll.“

„Hinten zum Hoftor hinaus. Hier hindurch ist es unmöglich. Ich soll auch mitgehen.“

„Sie auch? Das dachte ich mir. Der heutige Abend wird zu Ihrem Glück sein. Lassen Sie uns also überlegen! Die Schürze hängt am Wirt, das Band an der Schürze, der Bund am Band und der Schlüssel zum Hoftor wohl am Bund?“

„Ja, freilich, Monsieur. Aber beeilen Sie sich doch, sonst könnte Ihrem Herrn ein Leid geschehen.“

Er sah ihr ruhig in die angstvollen Züge und antwortete:

„Ein Leid? Welche Sorte von Leid meinen Sie denn?“

„Wenn sie ihn sehen, werden sie ihn ganz gewiß töten.“

„Töten? Ah pah! Dieser Monsieur Arthur nimmt es schon mit den Banditen auf. Der Torschlüssel hängt also am Schlüsselbund, dieses am Schürzenband, dieses an der Schürze und diese an dem Wirt; also, wer den Schlüssel haben will, der muß vorher den Wirt haben. Nicht?“

„Mein Gott“, klagte sie, „ich begreife Sie nicht! Mir ist es nicht wie Scherz zumute.“

„Mir auch nicht, denn ich habe mir zu überlegen, wie ich nun zum Wirt komme. Ah, vielleicht habe ich's! Ihre Kollegin hat uns den Wein aus dem Keller gebracht. Gibt es denn da unten nicht eine Sorte, welche der Wirt unter seiner eigenen Aufsicht hat?“

„Ja. Es ist der Champagner.“

„Schön! Bestellen Sie mir ein halbes Dutzend von diesem Gemisch; aber schnell, weil Sie solche Eile haben.“

„Was wollen Sie tun?“

„Das werden Sie sehen. Passen Sie auf. Ich folge dem Wirt in den Keller. Wenn ich wieder heraufkomme, müssen Sie an der Treppe bereitstehen, mir nach oben zu folgen, natürlich mit einer Lampe. Nehmen Sie mit, was Sie hier haben und augenblicklich brauchen; denn Sie werden in diesem Paradies hier nicht wieder Engel sein.“

Er kehrte wieder in den anderen Raum auf seinen Platz zurück. Sally zitterte vor Angst und Aufregung. Sie trat in das Seitengemach, in welchem der Wirt mit seinen drei Komplizen saß und meldete, daß sechs Flaschen Champagner bestellt worden seien. Er erhob sich, um den Wein selbst zu holen.

Kaum hatte er die dritte Abteilung betreten, so folgte ihm Martin. Er sah ihn eben noch mit dem Licht in die Tiefe des Kellers verschwinden. So leise wie möglich, folgte er ihm. Auf der Sohle des Kellers angekommen, sah er ihn in der hintersten Ecke kauern, um die Flaschen aufzunehmen. Er zog den Totschläger hervor, schlich sich hinzu und versetzte dem Nichtsahnenden einen Hieb auf den Kopf, daß er sofort zusammenbrach.

„So, lieber Papa Main“, murmelte er. „Tot bist du nicht, aber eine Weile wirst du doch suchen müssen, ehe du den ersten Gedanken findest. Bis dahin leihe ich mir diesen Schlüsselbund. Später kannst du ihn dir vom Tor holen.“

Er band die Schlüssel los, verlöschte das Licht und tappte sich wieder hinauf. Droben in der dritten Abteilung, deren Tür nicht geöffnet war, erwartete ihn Sally mit einer Lampe in der Hand. Sie sah die Schlüssel und fragte bestürzt: