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„Wo aber ist der Wirt, Monsieur?“

„Er studiert das große Einmaleins. Wenn er es auswendig kann, kommt er herauf. Jetzt vorwärts!“

Droben, wo die Treppe in den Hausflur mündete und von wo aus man in den Hof und nach den Stockwerken gelangen konnte, war eine Tür angebracht.

„Kann man diese Tür verschließen?“ fragte Martin leise.

„Ja. Der Schlüssel dazu hängt auch am Bund, welches Sie hier haben.“

„So wollen wir zuschließen, damit uns die Rotte Korah, Dathan und Abiram da unten nicht zu folgen vermag. Dann aber rasch hinauf!“ –

Vorher war Belmonte dieselbe Treppe emporgestiegen. Im Flur angekommen, hatte er seine Laterne angebrannt und beim Schein derselben sehr leicht die weiter empor führenden Stufen gefunden. Obgleich ihm die Augenblicke kostbar erschienen, schritt er doch nur langsam weiter. Das Haus war alt. Die Treppensteine bröckelten, und die Diele des Korridors bestand aus Brettern, welche aus den Fugen gegangen waren und sehr leicht ein kreischendes Geräusch verursachen konnten. Das mußte vermieden werden.

Er gelangte an die zweite Treppe, und es war ihm, als ob er da oben sprechen höre. Er steckte die Laterne ein, um sein Nahen nicht zu verraten und tastete sich im Finstern empor. Ja, als er den oberen Korridor erreichte, erblickte er an der rechten Seite ein Lichtviereck, welches dadurch hervorgebracht wurde, daß in einem gegenüberliegenden Raum, welcher geöffnet war, eine Lampe brannte. Er war am Ziel angelangt.

Leise, ganz leise, Schritt für Schritt bewegte er sich vorwärts, bis er hinter der offenen Tür stand und zwischen dieser und dem Türgewand hindurchblicken konnte.

Da stand sie, oder vielmehr hing sie vor Ermattung in ihren Fesseln. Die Augen waren geschlossen, die Wangen bleich, ja fast weiß wie Gips. Vor ihr standen Brecheisen und Dietrich, ihre Tabakspfeifen rauchend und die Schönheiten dieses nur halb verhüllten Körpers mit gierigen Augen verschlingend. Dabei warfen sie sich Bemerkungen zu, welche die Gefangene nicht zu verstehen schien, da ihr Aussehen vermuten ließ, daß sie ohnmächtig sei.

„Denkst du wirklich, daß wir sie für die hunderttausend Francs hingeben?“ fragte Brecheisen.

„Fällt keinem Menschen ein!“ antwortete der andere. „Der Alte muß bluten, bis wir sein ganzes Vermögen haben. Und dann –“

„Was dann –“

Er schnalzte mit der Zunge, schnipste mit dem Finger und sagte:

„Dann wird sie unsere Frau.“

„Dann erst? Warum nicht jetzt schon? Schau her, ich werde ihr einen Kuß geben, ich, einer Gräfin! Donnerwetter! Das ist auch noch nicht dagewesen!“

Er trat näher, um seine Absicht auszuführen. Da aber zeigte es sich, daß sie doch nicht besinnungslos gewesen war. Sie war schwach, todesmatt, und gegen die Blicke dieser Buben hatte sie kein anderes Mittel gehabt, als dasjenige des kleinen Käfers, welcher sich totstellt, sobald er sich in Gefahr befindet. Verteidigen kann er sich ja nicht. Sie hatte also die Augen geschlossen, um die Blicke nicht zu fühlen und den Seelenschmerz, welchen dieselben hervorrufen mußten. Aber sie hörte, was gesprochen wurde; sie vernahm, daß sie geküßt werden sollte, geküßt von einem solchen Ungeheuer. Das gab ihrem Körper für den Augenblick die verlorene Spannkraft zurück. Sie öffnete die Augen, erhob das Köpfchen und rief:

„Zurück, Teufel! Dein – –“

Sie sprach nicht weiter, denn hinter den beiden tauchte eine Gestalt auf, welche einen Totschläger in der Hand trug. Der Schein der Lampe viel hell auf diesen Mann. Welch ein Gesicht! Sie kannte es. Sie hatte es gesehen, gesehen in der Oper und es dann nicht wieder aus ihrem Gedächtnisse und aus ihrem – Herzen gebracht. Ihr Atem stockte, und ihre Pulse flogen. Sie wußte nicht, war es Schreck, fürchterlicher Schreck, oder ein unendliches Entzücken, infolgedessen die Sprache ihr versagte.

„Teufel?“ lachte der Schurke höhnisch auf. „Nun, mit so einer Teufelin muß es schön sein, Teufel zu sein.“

Er streckte die Arme aus.

„Halt!“ ertönte es hinter ihm. Die beiden fuhren erschrocken herum. Belmonte hatte, sich anders besinnend, die Tür herangezogen und die Hände in die Taschen gesteckt, so daß man den Totschläger nicht sehen konnte.

„Der Changeur!“ rief Brecheisen.

„Donnerwetter, der Changeur!“ fluchte auch Dietrich. „Was willst du hier? Wer hat dir erlaubt, nach oben zu kommen?“

„Ich selbst habe mir die Erlaubnis gegeben, um euch zu sagen, daß in einer halben Minute hier zwei Leichen liegen werden.“

„Ah! Wer?“

„Ihr beide!“

„Mensch, was fällt dir ein? Oder hast du dich etwa als Spion nachgeschlichen?“

„Nicht als Spion, sondern als euer Richter. Ihr sollt an der Herrlichkeit sterben, welche eure Augen hier entheiligt haben. Fahrt zur Hölle, über welche ihr vorhin gelacht habt.“

Ein rascher Schritt zu ihnen hin, ein Aufschrei der Gefangenen und zwei fürchterliche, blitzschnelle Hiebe mit dem Totschläger – Belmonte hatte seine Worte erfüllt; zwei Tote lagen mit zerschmetterten Schädeln am Boden.

Jetzt wendete er sich zu der Komtesse zurück. Das letztere war zu viel für sie gewesen. Ihre Fesseln waren scharf angespannt, sie hing ohnmächtig in denselben. Er zog sein Messer hervor, öffnete die feine, scharfe Klinge und zerschnitt die Stricke. Die Gestalt der Besinnungslosen festhaltend, ließ er sie langsam niedergleiten.

Erst jetzt sah er die Zerstörung ihres Gewandes in ihrer ganzen Vollständigkeit. Das Blut stieg ihm nach oben; er fühlte sein Herz laut klopfen beim Anblick einer so unvergleichlichen Fülle von Schönheiten; aber er wendete sich weg, trat hinaus und schob die Tür heran.

Er nahm die Revolver zur Hand. Es war ihm zumute, als ob er Englands Kronjuwelen, als ob er alle Schätze der Erde zu bewachen habe.

War unten alles nach Wunsch gegangen? Oder war der Anschlag verraten worden? Leichte Schritte kamen zur Treppe herauf; der Schein eines Lichtes ging ihnen voran. Waren es Feinde, oder war es Martin? Der Changeur war entschlossen, die Komtesse im ersteren Fall bis zum letzten Blutstropfen zu verteidigen. Da, da blickte Martins Kopf vorsichtig hinter der Treppenecke hervor.

„Heda! Wer ist das dort?“ fragte er, indem er zu gleicher Zeit die Hand mit dem gespannten Revolver zeigte.

„Ich, Martin“, antwortete sein Herr, erleichtert aufatmend.

„Sie selbst, Monsieur? O weh! Ich dachte, ein wenig in Bewegung kommen zu können! Sind die beiden futsch?“

„Sie wachen nicht wieder auf.“

„Das ist unangenehm. Ich hätte so gern ein bißchen nachgeholfen.“

„Ah, da kommt Sally mit! Wie steht es unten?“

„Sehr gut. Der Wirt ist futsch, aber bloß halb, und die Gäste sind eingeschlossen. Hier ist der Schlüsselbund, den ich Ihnen bringen sollte.“

„Wie hast du es angefangen, ihn zu bekommen?“

„Davon später! Wie steht es mit der Komtesse?“

„Sie ist ohnmächtig. Nach Wasser zu gehen, haben wir keine Zeit; wir dürfen keinen Augenblick länger als nötig verweilen. Sally wo ist Ihre Stube?“

„Hier vorn, die erste Tür.“

„Offen?“

„Ja.“

„Haben Sie vielleicht einen Mantel oder ein Tuch?“

„Ein Umschlagetuch.“

„Bringen Sie es schnell.“

„Was soll ich noch mitnehmen?“

„Gar nichts. Sie werden alle Ihre Sachen später erhalten.“

Das Mädchen eilte fort, stolz darauf, daß er sie jetzt, mit dem ehrbaren ‚Sie‘ angeredet hatte.

Sally war zurückgekehrt. Er nahm ihr das Tuch aus der Hand, ging zu der Besinnungslosen hinein, hüllte sie in dasselbe und nahm sie auf seine Arme.

„Sie leuchten, Sally, und du öffnest mit dem Schlüssel!“ gebot er.

So gelangten sie hinunter in den Flur. Dort blieb der voranschreitende Martin stehen und lauschte.