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„Er hat sich nach hinten geschleppt.“

„Warten wir, bis er wieder zu sich kommt; dann werden wir es erfahren.“

Die Einreibung auf den Hinterkopf, frisches Wasser in das Gesicht und eine tüchtige Prise Schnupftabak in die Nase brachte den Wirt bald zur Besinnung. Er blickte erst ganz erstaunt um sich und fuhr sich mit der Hand tastend nach der schmerzenden Stelle. Da aber kehrte ihm das Gedächtnis zurück, und sofort stand er auf.

„Donnerwetter, wo ist der Student?“ fragte er.

„Er ist mit der Sally zur Treppe hinauf, wohl in den Hof“, antwortete Betty.

„Dort würde der Hund beide zerreißen. Der Kerl hat mir einen Hieb gegeben. Ich war gerade im Umdrehen, als er zuschlug, und habe ihn erkannt. Suchen wir ihn!“

Sie fanden die Treppentür verschlossen, und erst nun merkte der Wirt, daß ihm die Schlüssel fehlten. Er nahm ein Licht und eilte in den Keller. Als er zurückkehrte, rief er:

„Er hat mir die Schlüssel gestohlen; er hat irgend etwas Schlimmes vor. Schnell, schnell, daß wir ihn noch erwischen.“

Er riß hinter den Fässern eine eiserne Brechstange hervor, mit deren Hilfe er die Treppentür aufsprengte. Draußen auf dem Hof lag der Hund erwürgt; außerdem waren ihm mehrere Rippen zertreten oder mit dem Knie gebrochen worden. Das Hoftor war verschlossen.

Jetzt eilte Main nach oben; aber nur die drei, welche an dem Mädchenraub teilgenommen hatten, durften ihm dorthin folgen. Dort fanden sie die beiden Leichen; die Gefangene war fort.

„Donner und Doria, wie kommt dieser – horcht!“

Auf diese Worte des Wirtes lauschten alle vier nach unten. Da hörte man den Ruf.

„Die Polizei, die Polizei. Hinten hinaus. Über die Mauer!“

„Wir sind verloren!“ stöhnte der Wirt. „Nur die Flucht kann uns retten. Schnell zum Dachfenster hinaus und beim Nachbar wieder hinein!“

Martin nämlich hatte sich dem Gebot seines Herrn zufolge nach der nächstliegenden Polizeistation begeben. Dort war er mit großen Augen empfangen worden. Er hatte sich während des Ringens mit dem Hund im Hofschmutz herumgewälzt und besaß infolgedessen kein sehr empfehlendes Äußeres.

„Was wünschen Sie?“ fragte der Polizeioffizier.

„Sie!“ antwortete er.

„Mich?“

„Ja.“

„Wozu? Sprechen Sie sich deutlicher aus.“

„Das kann geschehen, haben Sie vielleicht bereits gehört, daß die Komtesse von Latreau seit gestern abend verschwunden ist?“

„Närrische Frage. Natürlich wissen wir dies.“

„Die Polizei sucht nach ihr?“

„Natürlich.“

„Haben Sie sie?“

„Nein. Haben Sie etwa eine Spur von ihr?“

„Nein.“

„Nun, warum sprechen Sie dann über diese Angelegenheit?“

„Weil ich mich ungeheuer für sie interessiere. Wir haben nämlich keine Spur, sondern wir haben die Komtesse selbst.“

Der Offizier glaubte, es mit einem geistig gestörten Menschen zu tun zu haben; in dieser naiven Weise hatte noch niemand mit ihm zu sprechen gewagt.

„Wer sind Sie?“

„Monsieur Arthur Belmonte ist mein Herr, und infolgedessen bin ich sein Diener.“

„Können Sie sich legitimieren?“

„Ja, hier.“

Er zog eine Karte hervor und zeigte sie dem Beamten hin.

„Das reicht aus“, meinte dieser. „Aber ich bitte sehr, mir Ihr Anliegen in geordneter Weise vorzutragen.“

„Wie Sie wünschen, Monsieur. Ich werde also mein Anliegen in die beste Ordnung bringen, um es Ihnen vorzulegen. Da ich aber dazu wenigstens drei Tage brauche und jetzt die Zeit drängt, will ich Ihnen in aller Unordnung sagen, daß wir die Komtesse gefunden haben.“

„Gefunden? Ah! Wieso?“

„Gefunden und befreit.“

„Wer sind diese Wir?“

„Mein Herr und ich. Ist Ihnen die Boutique des sogenannten Vater Main bekannt?“

„Natürlich. Dieser Mann wohnt ja in meinem Bezirk.“

„Nun, bei ihm hat die Komtesse sich als Gefangene befunden. Wir haben sie soeben herausgeholt, und mein Herr schickt mich zu Ihnen, die in der Kneipe anwesende Versammlung zu arretieren.“

„Können Sie mir beweisen, daß sich die Baronesse de Latreau wirklich dort befunden hat?“

„Fragen Sie die Dame.“

„Das erfordert so viel Zeit, daß uns bis dahin die Kerls entgehen würden.“

„So lassen Sie sie ausreißen. Ich gehe auch.“

Damit war er zur Tür hinaus. Und als der Beamte ihm nachrief, tat er gar nicht, als ob er es höre.

Der Polizist war sich aber seiner Verantwortlichkeit bewußt. Er telegraphierte sofort an einige der nahe liegenden Büros nach Mannschaft, welche in der Zeit von einer halben Stunde beisammen war. Aber ehe er mit diesen Leuten in den Keller eindrang, fanden die Hauptpersonen Zeit, sich in Sicherheit zu bringen. Die Festnehmung der anderen konnte zu nichts führen.

Martin hatte die Weisung erhalten, nach Hause zu gehen. Er konnte es sich aber doch nicht versagen, einen kleinen Umweg zu machen, um am Hotel des Generals vorüber zu gehen. Er wollte wenigstens an der Zahl der erleuchteten Fenster sehen, welchen Eindruck die Rückkehr der Geretteten gemacht habe.

Als er den Portier stehen sah, kam ihm der Appetit, sich in dem Ruhm seiner Taten zu sonnen. Er trat daher an ihn heran, grüßte höflich und fragte:

„Sie entschuldigen, Monsieur, gehört dieses Palais dem General, Grafen de Latreau?“

Der Portier war überzeugt, eine untergeordnete Persönlichkeit vor sich zu haben; er warf sich in Aplomb und antwortete in gewichtigem Ton:

„Ja, Monsieur, es gehört uns.“

„Ist dies der General, dessen Tochter gestern abend verführt worden ist?“

„Verf – Sie wollen doch sagen, entführt?“

„Höchstwahrscheinlich. Hat man sie noch nicht wieder?“

„O ja, man hat sie wieder.“

„Das ist sehr hübsch. Ist sie selbst wieder gekommen?“

„Nein. Man hat sie gebracht.“

„Gebracht? Hm! Da muß es ihr auswärts sehr gut gefallen haben!“

„Hören Sie, Monsieur, ich wollte, das wäre bei Ihnen auch der Fall. Machen Sie wenigstens jetzt, daß Sie bald nach auswärts kommen.“

„Oh, das hat noch gute Zeit. Ich stehe nämlich hier infolge meines Amtes.“

„Ah, so. Was sind Sie denn?“

„Reporter.“

„Für welches Blatt?“

„Für eine türkische Zeitung in Konstantinopel. Es wurde mir dorther gemeldet, daß der Sultan die Absicht habe, einige Pariserinnen mausen zu lassen. Als ich nun hörte, daß Ihnen die gnädige Komtesse abhanden gekommen ist, so dachte ich sogleich, der Sultan stäke dahinter. Nun sie aber wieder da ist, werde ich sogleich nach Konstantinopel telegraphieren, daß er nicht dahintersteckt.“

„Nein, der nicht. Es steckt vielmehr ein ganz obskurer Kneipenwirt dahinter. Er hat sie geraubt, um hunderttausend Franken Lösegeld zu erhalten. Das können Sie mit nach Konstantinopel telegraphieren.“

„Schön. Und was noch?“

„Daß die Polizei zu dumm gewesen ist, sie zu finden.“

„Die Polizei? Ist die hier in Paris auch dumm? Ich dachte, bloß in Konstantinopel. Das muß ich hintelegraphieren. Was aber noch?“

„Daß ein Weinhändler die Gnädige errettet hat.“

„Das ist hübsch von ihm! Das ist ein Beweis, daß es doch mitunter einen Weinhändler gibt, der ein Gefühl hat und ein menschliches Gemüt. Hat er es denn allein fertig gebracht?“

„Nein. Er hat seinen Diener mitgebracht. Ohne Domestiken ist so ein Rettungswerk niemals zu vollbringen.“

„Sie meinen, ohne Domestiken und Portiers. Wo stecken denn nun die beiden Retter?“

„Der Diener hat sich verduftet –“

„Sapperlot! Ist er so ätherisch? Das muß ich nach Konstantinopel telegraphieren. Und der Herr?“

„Der Herr liegt oben im Bett.“

„Im Bett? Donnerwetter! Ist er so schläfrig?“