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„Welche Unvorsichtigkeit! Sie alle sind wert, gehangen zu werden, dieser Sekretär, dieser Graf Rallion und alle, die bei und mit ihnen beschäftigt sind. Schreibe es sofort ins Reine! Du bist ein wahrer Liebling des Glücks. Man wird gar nicht umhin können, seiner Zeit sich deiner zu erinnern.“

Einige Zeit später ließ er anfragen, ob der General geneigt sei, ihn zur Morgenvisite zu empfangen, und erhielt sofort eine zustimmende Antwort. Er warf einen Blick in den Spiegel und durfte mit sich zufrieden sein. Daß er den linken Arm in der Binde trug, konnte ihm in den Augen des Generals doch nur ein gewisses Relief verleihen.

Als er bei demselben eintrat, fand er seine Enkelin bei ihm. Sie war entzückend und schön. Die körperlichen und seelischen Leiden des letzten Tages hatten sie angegriffen. Die Stricke, in denen sie fast ebenso sehr gehangen wie gestanden hatte, mochten ihr zartes Fleisch verletzt haben; aber der lebhafte Glanz ihres Auges bewies, daß sie sich bereits auf dem Weg der Erholung befinde.

Ein dünnes weißes Morgenkleid, von Rosaschleifen vorn zugehalten, umhüllte ihren Körper. Sie lag wie ein Engel in dem bequemen Fauteuil. Arthur hätte vor sie hinknien können, um sie anzubeten.

Der General erhob sich, sobald er ihn erblickte und kam ihm entgegen. Er gab ihm in offener Freundlichkeit die Hand und sagte:

„Willkommen, Monsieur Belmonte. Verzeihen Sie Ella, daß sie sich nicht erhebt! Ich habe sie gebeten, sich zu schonen.“

Arthur machte ihr eine Verbeugung, welche selbst eine Französin tadellos nennen mußte. Als er näher trat, reichte sie ihm ihr Händchen entgegen.

„Mein Retter!“ sagte sie flüsternd.

In diesem Augenblick schien ihr Gesicht nicht Fleisch und Blut, sondern nur ganz Seele, ganz Gemüt zu sein. Und doch lag eine tiefe, tiefe Röte auf demselben, denn bei dem Wort Retter mußte sie natürlich zuerst an den Augenblick denken, in welchem er bei ihr eingetreten war, und an das Derangement, welches ihre Toilette dabei gezeigt hatte.

Er beugte sich tief, sehr tief nieder, als ob sie eine Königin sei, ergriff das dargebotene Händchen, um es ehrfurchtsvoll an seine Lippen zu drücken, und antwortete:

„Den tiefsten, den allertiefsten Dank, Komtesse.“

Sie warf einen schnellen Blick zu ihm empor, als habe sie ihn nicht verstanden; aber sogleich wußte sie auch, was er meinte. Er bedankte sich, daß er hatte ihr Retter sein dürfen. Das war das größte Kompliment, welches er ihr machen konnte.

Die herzlichste Dankbarkeit, welche Großvater und Enkelin beseelte, half gedankenschnell über das Formelle und Steife einer ersten Vorstellung hinweg. Er mußte erzählen, wie er zu der Ahnung gekommen sei, daß die Vermißte sich in der Spelunke befinde, die er nur aus geschäftlichen Rücksichten betreten haben konnte. Er berichtete dann weiter. Er tat, als ob man ihm und Martin nicht den mindesten Dank schulde und suchte nur das, was die Kellnerin getan hatte, in das rechte Licht zu stellen. Sein Vortrag war fließend und von jenen ästhetischen Wellen getragen, welche nur dem Seelenleben eines hochgebildeten Geistes eigen sein können.

Beide hörten ihm mit Spannung zu und blickten, als er geendet hatte, einander an, als wollten sie sich fragen:

„Ist das wirklich ein Weinhändler? Man möchte alles darauf wetten, daß er etwas anderes, Besseres, weit Distinguierteres sei.“

Der Graf nickte sodann leise vor sich nieder und sagte:

„Sie sind nicht nur ein kühner, scharfsinniger und gewandter Mann, sondern, was bei mir noch mehr gilt, auch ein guter Mensch. Ihre Schilderung dieser Sally hat mich tief gerührt. Sie soll einstweilen bei mir bleiben, und dann werde ich reichlich für sie sorgen. Wie aber soll ich Ihnen dankbar sein?“

Da schüttelte Ella das holde Köpfchen und sagte:

„Das ist unmöglich, Papa. Er hat für mich sein Blut vergossen; er ist für mich zum Märtyrer geworden.“

„Und ich habe ihm mit Undank gelohnt; ich habe ihn schwer beleidigt und gekränkt, indem ich ihm kein Vertrauen schenkte. Das ist eine Sünde, welche kaum vergeben werden kann. Ich darf Ihnen nur das Wort, aber nicht die Tat des Dankes anbieten. Und ich erhöhe meine Schuld, indem ich Sie dringend ersuche, sich meines Arztes, und zwar in meinem Haus zu bedienen.“

Arthur verbeugte sich abermals vor ihm und antwortete:

„Exzellenz, dieser Vorschlag ist ein Zeichen großer Herzensgüte und ehrt mich weit über mein geringes Verdienst. Auch würde ich, um nicht undankbar zu erscheinen, denselben akzeptieren, wenn ich nicht gezwungen wäre, bereits morgen Paris zu verlassen.“

„Ah, Sie bleiben nicht hier! Aber macht nicht Ihre Wunde eine Verlängerung Ihres hiesigen Aufenthalts notwendig? Sie sollten sich pflegen und erholen.“

„Die Verwundung ist keineswegs gefährlich. Es war nur der Blutverlust, welcher mir das Bewußtsein raubte.“

„Ich ersuche Sie, diese Sache nicht leicht und meine aufrichtige gemeinte Einladung nicht für eine bloße Höflichkeit zu nehmen.“

„Auch ich schließe meine Bitte Papas Wünschen an“, sagte Ella, indem sie ihr schönes Auge mit freundlicher Sorge auf seinem Angesicht ruhen ließ. „Ich kann unmöglich zugeben, daß mein Retter einer erneuten Gefahr entgegengeht, nur aus dem Grund, weil er vielleicht denkt, daß unsere Einladung bloß ein kaltes Ergebnis der gesellschaftlichen Sitte sei.“

Diese Worte taten ihm wohl, aber dennoch sah er sich gezwungen, abzulehnen. Er war nicht Herr seiner Zeit; er hatte dringende Aufgaben zu lösen und durfte einer nicht gefährlichen Verwundung wegen keine seiner Pflichten versäumen. Darum antwortete er:

„Ich bin überzeugt, daß Ihre Güte ein Ausdruck Ihres aufrichtigen und wohlwollenden Herzens ist; aber ich bin leider nicht imstande, frei über mich und meine Zeit zu verfügen. Ich bin von meinem Prinzipal mit dem Abschluß sehr wichtiger, geschäftlicher Verbindungen beauftragt, an deren Zustandekommen die Versäumung weniger Stunden verhindernd einwirken kann. Meine Abreise war für morgen festgesetzt, und ich sehe mich wirklich leider ganz außerstande, eine Änderung dieser Disposition aus eigenmächtigem Entschluß eintreten zu lassen.“

„Nur, wir haben kein Recht, in Sie zu dringen“, meinte der General; „doch, wenn wir jetzt auf Sie verzichten müssen, so hoffen wir doch, Sie baldigst wiederzusehen.“

„Ich werde bei meiner Rückkehr nach Paris nicht versäumen, mir ihre Befehle einzuholen, gnädiger Herr.“

„Wir werden uns freuen, Sie bei uns zu sehen; doch muß ich Ihnen sagen, daß wir für die Sommermonate einen anderen Aufenthalt gewählt haben. Wir pflegen uns bereits seit Jahren um diese Zeit auf Gut Fleurelle bei Etain zurückzuziehen. Wohin werden Sie von hier aus gehen?“

„Nach Metz.“

„Ah, nach Metz! Sie beabsichtigen dort Verkäufe?“

„Ich hoffe, dort einige größere Bestellungen zu erhalten.“

„Haben Sie bereits Verbindungen dort?“

„Noch nicht.“

„Nun, so kann ich vielleicht, wenn Sie es gestatten, Ihnen behilflich sein. Welche Weine führen Sie?“

„Meist die Sorten von Roussillon.“

„Ich kenne sie nicht. Sind sie gut?“

„Sehr! Besonders der weiße Maccabeo. Die roten Sorten sind gedeckt, dick und von außerordentlich schöner Farbe.“

„Eignen sie sich für medizinische und Verpflegungszwecke?“

„Außerordentlich, Exzellenz. Ich kann zum Beispiel für Rekonvaleszenten den Maccabeo dringend empfehlen.“

„Das freut mich sehr. Ich habe einen Freund, den General Coffiniéres in Metz. Er ist zum Gouverneur dieser Festung ernannt worden. Man scheint Gründe zu haben, die dortigen Magazine zu füllen, und Sie wissen, daß zur Proviantierung eines solchen Platzes auch das Anschaffen der nötigen Weine gehört. Dürfte ich Ihnen eine Empfehlung an den General zur Verfügung stellen?“

Dieses Anerbieten war von außerordentlichem Vorteil für Belmonte. Er verbeugte sich zustimmend und antwortete: