„Ah pah! Wen denn?“
„Vater Main.“
Der Mann am Pult fuhr abermals erschrocken zusammen.
„Vater Main?“ fragte er. „Wer ist das? Wer trägt diesen Namen? Was wissen Sie von dem Mann?“
Ein triumphierendes Lächeln fuhr über das versoffene Gesicht des Hanswursts. Er näherte sich dem Pult und flüsterte, so daß ja kein etwa unbemerkt Anwesender es hören könne:
„Vater Main ist mein Freund.“
„Wieso?“
„Wir sind alte Freunde und Verbündete. Wir haben keine Geheimnisse voreinander. Ich war gestern bei ihm. Wollen Sie den Beweis? Hören Sie.“
Er raunte dem Lumpenkönig einige Worte in das Ohr. Lemartel erblaßte. Er fuhr mit dem ganzen Oberkörper zurück, als ob er ein Gespenst vor sich sähe, und zischte:
„Still, still! Der Verräter! Was hat er von dieser Sache zu sprechen! Ich werde ihn zur Rede stellen.“
„Tun Sie das meinetwegen. Was mich betrifft, so genügt es mir, zu erfahren, ob Sie mich wirklich mit nur lumpigen zweihundert Franken abspeisen wollen.“
„Nichts, gar nichts werde ich Ihnen geben.“
„Ah! Wirklich, Monsieur Henry de Lormelle? Wissen Sie, was ich in diesem Fall tun werde?“
„Ihr Tun und Lassen ist mir vollständig gleichgültig.“
„Ah, wirklich? Wie nun, wenn ich zur Polizei gehe, um ihr eine interessante Mitteilung zu machen?“
„Das werden Sie bleiben lassen!“
„Doch wohl nicht. Ich werde vorher mit Vater Main sprechen, und dieser wird, als mein Freund, mich in den Stand –“
Er hielt inne und fuhr erschrocken zurück. Auch der Lumpensammler machte eine Bewegung des Erstaunens, denn gerade neben ihnen tauchte die Gestalt dessen auf, von dem der Bajazzo soeben gesprochen hatte, die Gestalt Vater Mains.
„Guten Abend, Monsieur Lemartel!“ grüßte dieser.
„Vater Main! Wo kommen Sie her?“ fragte der, welchem der Gruß gegolten hatte.
„Dort zur Tür herein. Sie beide waren so sehr in Ihre Unterhaltung vertieft, daß Sie meine Schritte gar nicht gehört haben.“
„Und was wollen Sie?“
„Ihren Schutz, Monsieur.“
„Meinen Schutz? Alle Teufel! Ich will doch nicht etwa hoffen, daß Sie irgend eine Dummheit begangen haben, in welche Sie mich verwickeln wollen.“
„Von einer Dummheit kann keine Rede sein, sondern höchstens von einem Unglück, von einem ganz verfluchten Unglück, welches mir widerfahren ist. Ich hatte einen Streich vor, so klug, wie ich noch niemals einen unternommen habe, und gerade dieser Geniestreich ist mißglückt. Die Polizei drang in mein Haus; ich mußte flüchten und bin gezwungen, mir ein Asyl zu suchen, wo ich für die nächsten Tage sicher bin.“
Lemartel machte eine abwehrende Handbewegung und sagte:
„Ich hoffe, daß Sie ein solches finden werden.“
„Gewiß, Monsieur. Ich bin sogar überzeugt, es bereits gefunden zu haben.“
„Meinen Sie etwa, hier bei mir?“
„Gewiß!“
„Sie irren sich. Lassen Sie mich vor allen Dingen den Geniestreich wissen, welcher Ihnen verunglückt ist.“
„Das ist gar nicht nötig. Sprechen wir nicht darüber.“
Da ergriff der Bajazzo das Wort, indem er den Wirt fragte:
„Du meinst wohl die Geschichte mit der Generalstochter?“
„Ja, freilich!“
„Alle Teufel! Der Coup ist nicht gelungen?“
„Er war gelungen. Wir bekamen sie gestern abend in unsere Gewalt; morgen vormittag wollte ihr Großvater hunderttausend Franken bezahlen; da aber kam heute ein Mensch, welcher im heimlichen Einvernehmen mit der Sally gesteckt hat. Sie lockten mich in den Keller, wo ich einen Schlag gegen den Kopf erhielt, welcher mich besinnungslos machte. Dann befreiten sie die Gefangene und töteten dabei Brecheisen und Dietrich, welche sich bei ihr befanden. Als ich wieder zu mir kam, war die Polizei bereits so nahe, daß mir kaum die Zeit zur Flucht übrig blieb.“
Der Lumpenkrösus hatte diesem Bericht mit allen Zeichen des Schreckens zugehört. Jetzt fragte er:
„Was? Sie sind es gewesen? Sie haben den Raub ausgeführt, von welchem alle Journale erzählten?“
„Ja, ich bin es gewesen“, antwortete Vater Main mit sichtbarem Stolz.
„Um Gottes willen! Dann habe ich keinen Teil an Ihnen.“
„Das heißt, daß Sie mich von sich weisen? Das wäre eine Unvorsichtigkeit, welche ich Ihnen nicht zutraue. Ich brauche ein solches Versteck, und Sie können mir ein solches gewähren. Zeigen Sie mir die Tür, so werde ich gefangen, und dann habe ich auch keine Verpflichtung, länger über das zu schweigen, was ich von Ihnen weiß!“
„Sie haben das Schweigen bereits gebrochen.“
„Ich? Gegen wen?“
„Gegen diesen Menschen hier. Er kam, um mir eine Summe Geld abzupressen und glaubte, dies mit Hilfe des Geheimnisses zu erreichen, welches Sie ihm mitgeteilt haben.“
„Der Bajazzo? Ah, der ist ein Freund von mir. Wir brauchen einander nichts zu verschweigen. Übrigens darf ich in meiner gegenwärtigen Lage durch unnütze Unterhandlungen keine Zeit verlieren. Geben Sie mir ein Asyl oder nicht?“
„Nein.“
„Gut. So wird ein gewisses kleines Kästchen noch heute in die Hände der Polizei gelangen.“
Lemartel entfärbte sich, doch nahm er sich zusammen und sagte im Ton des Unglaubens und der Überlegenheit:
„Drohen Sie mir doch nicht mit Dingen, welche gar nicht geschehen können. Sie haben Hals über Kopf fliehen müssen. Es ist Ihnen doch nicht möglich gewesen, das Kästchen zu retten.“
Da warf der Wirt einen Blick, welcher heimlich sein und als Wink gelten sollte, auf den Bajazzo und sagte:
„Sie befinden sich sehr im Irrtum, wenn Sie glauben, daß das Kästchen sich in meinem Gewahrsam befindet. Ich habe es an einem viel sichereren Ort deponiert. Nicht wahr, Bajazzo?“
„Ja; ich selbst war mit dabei“, antwortete der Gefragte.
Aber Lemartel hatte den Wink recht gut bemerkt; er wußte so ziemlich sicher, daß man ihn täuschen wolle. Er beschloß, den Klugen zu spielen und scheinbar nachzugeben. Darum sagte er:
„Welch eine Unvorsichtigkeit! Sie haben das Kästchen nicht mehr bei sich?“
„Nein“, antwortete der Wirt, indem er dem Bajazzo einen befriedigten Blick zuwarf.
„Wo aber befindet es sich jetzt?“
„Das ist unser Geheimnis. Geben Sie mir für einige Tage ein Versteck, so sollen Sie als Belohnung das Kästchen zurück erhalten.“
„Hm! Darf ich diesem Versprechen glauben?“
„Ich schwöre es Ihnen zu.“
„Gut, so werde ich Sie beherbergen, obgleich ich mich dadurch in die allergrößte Gefahr begebe. Aber, was wollen Sie dann beginnen? In Paris dürfen Sie sich nie wieder sehen lassen.“
Der Wirt dachte einen Augenblick nach und antwortete dann:
„Es ist bereits beschlossen, was ich tun werde; nämlich ich gehe unter die Franctireurs.“
Dieser Gedanke frappierte den Lumpenkönig.
„Unter die Franctireurs?“ fragte er. „Ich habe zwar gehört, was auch andere hören, ich weiß, daß man im stillen Freicorps rüstet, aber ob Sie Annahme finden werden, das ist denn doch wohl zu bezweifeln. Man wird nach der Legitimation fragen.“
„Das fällt dem alten Kapitän sicherlich nicht ein.“
„Dem alten Kapitän? Wer ist dieser Mann?“
„Haben Sie von ihm noch nichts gehört? Er scheint eine Hauptrolle in der Organisation der Franctireurs zu spielen. Er heißt Albin Richemonte, war Kapitän der alten Kaisergarde und wohnt auf Schloß Ortry in der Nähe von Thionville. Zu ihm gehe ich.“
Es war ein eigentümlicher Ausdruck, welcher sich jetzt auf dem blatternarbigen Gesicht des Lumpensammlers zeigte. Er war vorhin von dem Bajazzo Henry de Lormelle genannt worden, und diesen Namen hatte ja jener Diener Richemontes und des Grafen Rallion angenommen gehabt, welcher die Familie Königsau um die Kaufsumme ihrer Besitzung beraubt hatte. Er beherrschte seine innere Aufregung und sagte: