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„Der Mann ist mir unbekannt. Wenn er Sie aufnehmen will, so mag es mir recht sein. Haben Sie denn Reisegeld?“

„Leider nein. Ich denke, daß Sie mich mit einer kleinen Summe versehen werden.“

„Gerade so wie mich“, fiel der Bajazzo ein.

Der Lumpenkönig schien mürbe gemacht worden zu sein. Er meinte:

„Gut, ich will einmal Rücksicht nehmen. Ich zahle zweitausend Franken, wenn ich das Kästchen erhalte.“

„Sie erhalten es.“

„Wann?“

„In der Stunde, in welcher ich das Asyl verlasse, welches ich bei Ihnen finden werde, Monsieur Lemartel.“

„Warum nicht eher?“

„Weil ich gern sicher gehe. Ich will mich nicht der Gefahr aussetzen, daß Sie mir das Versteck kündigen, nachdem ich Ihnen das Kästchen zurückgegeben habe.“

„Das ist ein sehr ungerechtfertigtes Mißtrauen. Ich habe noch nie mein Wort gebrochen. Also Sie, Vater Main, werden bei mir bleiben. Was aber tun Sie, Bajazzo?“

„Ich bleibe auch“, antwortete der Gefragte.

„Oho! Bedürfen auch Sie eines Versteckes?“

„Vielleicht! Jedenfalls aber kann ich es mir nicht einfallen, über das Kästchen während meiner Abwesenheit verfügen zu lassen. Ich bleibe bei Vater Main, so lange er sich bei Ihnen befindet.“

Lemartel tat, als ob ihm das höchst unangenehm sei. Er machte eine sehr verdrießliche Miene und bemerkte:

„Sie könnten bleiben, wo Sie waren, aber wenigstens doch jetzt sich wieder dorthin zu begeben, woher Sie gekommen sind. Aber ich will mich nicht noch weiter aufregen. Kommen Sie. Es ist dunkel, und man wird Sie nicht sehen.“

Neben dem Pult befand sich eine Tür, welche nach einem kleinen Hof führte. Sie traten hinaus. Dort öffnete Lemartel eine Pforte, welche sich in der Mauer befand. Durch dieselbe gelangten sie in den Garten, welcher zu seinem Palais gehörte.

Es war hier allerdings so dunkel, daß man kaum drei Schritte weit zu sehen vermochte. Die beiden folgten ihm auf dem Fuß, bis sie die hintere Front des Gebäudes erreichten. Er vermied den Haupteingang und öffnete eine Seitentür. Von hier aus führte eine unerleuchtete Treppe nach oben. Sie stiegen dieselbe empor. Er öffnete die Tür; sie befanden sich in einem Zimmer, vor dessen Fenster er zunächst die Jalousien herabließ, so daß kein Lichtschein nach außen dringen konnte. Dann brannte er eine von der Decke herabhängende Lampe an.

Das Zimmer war sehr hübsch möbliert; es schien dem Wirt zu gefallen, denn er fragte:

„Hm. Ist das etwa mein Asyl?“

„Ja. Ist's gut genug?“

„Ich bin zufrieden?“

„Und wo wohne ich?“ fragte der Bajazzo.

„Auch hier“, lautete die Antwort. „Zwei Zimmer kann ich nicht zur Verfügung stellen; das würde die Aufmerksamkeit der Dienerschaft erregen. Ich muß Sie übrigens ersuchen, sich so still wie möglich zu verhalten. Speise und Trank werde ich jetzt besorgen; um zu schlafen, haben Sie das Bett und das Sofa. Die Tür werde ich natürlich verschließen und den Schlüssel bei mir tragen. Das geschieht zu Ihrer und auch meiner eigenen Sicherheit.“

Er entfernte sich und brachte nach kurzer Zeit einen Vorrat von Lebensmitteln. Dann schloß er sie ein.

Er ging durch den Garten nach dem alten Haus zurück, in welchem er sich vorher befunden hatte. Bei seinem Pult angekommen, stieß er einen Pfiff aus, und sofort eilte der Mann herbei, welcher im vorderen Raum die ein und aus gehenden Lumpensammler zu beaufsichtigen hatte. Er war klein und verwachsen, hatte aber recht treue und ehrliche Gesichtszüge.

„Schläft deine Tochter?“ fragte sein Herr.

„Nein. Sie ist noch wach“, war die Antwort.

„Rufe sie. Ich habe mit ihr zu sprechen.“

Der Mann entfernte sich, und nach einiger Zeit trat ein Mädchen ein, welches sich dem Pult näherte und in wartender Stellung vor demselben stehen blieb. Sie war nicht schön, aber auch nicht häßlich. Ihre üppigen Formen waren von dem Nachtgewand nur notdürftig verhüllt.

„Ich habe dich rufen lassen, um eine Frage an dich zu richten“, sagte Lemartel. „Bist du auf Vater Main noch bös?“

Die Augen des Mädchens blitzten grimmig auf.

„Diesen Menschen vergesse ich im ganzen Leben nicht“, sagte sie. „Wären Sie damals nicht gekommen, so hätte ich ihn ermordet. Ihnen verdanke ich das Leben, denn man hätte mir als Mörderin den Prozeß gemacht.“

„Das mag richtig sein. Er hatte dich gemietet; du dachtest, eine gute Stelle zu bekommen und wurdest verführt. Na, das ist jetzt vorüber. Ich interessierte mich für dich und gab auch deinem Vater Stellung. Ich denke, daß du mir ein wenig dankbar sein kannst.“

„Monsieur Lemartel, ich würde alles mögliche tun, um Ihnen zu zeigen, daß ich Ihnen danken will.“

„Alles mögliche? Und doch hast du mir gerade das, was ich am meisten wünsche, abgeschlagen.“

„Ah, das mit dem Versteck?“

„Ja.“

„Das geht nicht; das darf ich nicht. Er zeigte mir einst, um mich zu blenden, sein Geld und seine Kostbarkeiten; ich mußte ihm schwören, niemals ein Wort davon einem anderen mitzuteilen. Sie sehen ein, daß ich das Heil meiner Seele nicht verscherzen darf.“

„Hm! Das sehe ich ein. Aber höre einmal, du hast geschworen, nie davon zu sprechen?“

„Ja.“

„Hast du auch geschworen, das Versteck nie jemandem zu zeigen?“

„Allerdings nicht. Es war ja nur vom Sprechen die Rede.“

„Nun, so bringst du deine Seligkeit ja gar nicht in Gefahr, wenn du den Ort jemandem zeigst, wenn du nur nicht dabei redest.“

Sie dachte eine kleine Weile nach und sagte dann:

„Das mag richtig sein, Monsieur, aber es nützt dennoch nichts.“

„Warum?“

„Weil ich das Versteck niemandem zeigen kann, ich bin ja nicht dort.“

„Wie nun, wenn ich dich hinführte?“

„Oh, Vater Main wird Sie doch nicht in den Keller lassen.“

„Er muß es dulden, denn er ist heute gar nicht daheim.“

„So sind die Kellnerinnen da, und er hat den hinteren Keller jedenfalls verschlossen.“

„Die Kellnerinnen werden uns gar nicht sehen. Ich kenne einen geheimen Weg, auf dem wir nach dem Keller kommen können. Ich will dem Vater Main nicht etwas stehlen, sondern ich will nur sehen, ob er etwas hat, was mir vor längerer Zeit gestohlen worden ist.“

„Ah, ist es so? Er macht den Hehler. Warum wenden Sie sich nicht an die Polizei?“

„Weiß die Polizei den Ort?“

„Das ist wahr. Und ich darf ja nicht davon sprechen. Meinen Sie, daß es den Vater Main sehr ärgern würde, wenn Sie den Gegenstand finden, der Ihnen abhanden gekommen ist?“

„Natürlich! Er würde sich ungeheuer ärgern, denn er müßte ihn mir natürlich wiedergeben.“

„Dann hätte ich beinahe Lust, Ihnen den Ort zu verraten, vorausgesetzt, daß ich es nicht durch Worte zu tun brauche.“

„Wenn du es tust, so werde ich dich reichlich belohnen.“

„Ist irgendeine Gefahr dabei?“

„Nicht die geringste. Ich gebe dir volle fünfhundert Francs.“

Sie schlug die Hände zusammen und sagte:

„Fünfhundert Francs! Da kann ich ja das Schneidern oder das Putzmachen lernen. Ist das Ihr Ernst, Monsieur?“

„Ich gebe dir mein Wort, daß du die Summe bekommst.“

„Gut, so werde ich Ihnen den Willen tun.“

„Das freut mich, auch um deiner selbst willen. Aber vorher mußt du mir schwören, den Weg, welchen wir gehen werden, keinem Menschen jemals zu verraten, weder durch Worte, noch auf eine andere Weise.“

„Ich schwöre es Ihnen zu, Monsieur.“

„Ich glaube es dir. Du bist ein ehrliches Mädchen, obgleich du bei Vater Main im Dienst gestanden hast. Gehe jetzt hinauf in eure Wohnung und lege einen alten Anzug deines Vaters an.“

„Warum das?“ fragte sie, nicht wenig verwundert.