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„Weil der Weg, welchen wir einschlagen werden, in Frauenkleidern nicht gut zu passieren ist. Gehe gleich hier zu dieser Tür hinaus und komme auch da wieder herein, damit dich kein Unberufener sieht.“

Sie ging. Als sie nach einiger Zeit zurückkehrte, war sie als Mann verkleidet. Vater Main hatte gar keinen so üblen Geschmack gehabt, als er das Mädchen zur Bedienung seiner Gäste und vielleicht auch zu seiner eigenen Unterhaltung engagierte. Sie blickte einigermaßen verschämt zu Lemartel auf.

„Hat dich jemand gesehen?“ fragte er.

„Kein Mensch; nicht einmal mein Vater.“

„So komm!“

Er schritt nach einer andern Ecke der Niederlage, wo eine Tür in ein Seitengewölbe führte. Dort war es finster, als er die Tür hinter sich zugezogen hatte; aber er brannte eine Lampe an, welche auf einem Tisch stand.

Auch hier gab es Lumpen, nichts als Lumpen. In einem Winkel erblickte man eine Falltür, welche nach abwärts führte, über ihr war an einer Mauer ein kleines Schränkchen befestigt. Er öffnete es und nahm zwei kleine Laternen und einen mehrfach zusammengefalteten Papierbogen heraus. An der Mauer lehnte ein alter Stockdegen.

„Jetzt muß ich dich zunächst fragen, ob du dich vielleicht vor Ratten fürchtest“, bemerkte er.

„Ja, im Dunkeln und wenn ich allein bin.“

„Nun, wir haben zwei Laternen, und ich bin bei dir.“

„Gibt es denn diese Tiere auf dem Weg, welche wir einschlagen werden, Monsieur Lemartel?“

„Nicht nur wenige, sondern sogar in Masse. Hast du vielleicht einmal davon gehört, daß es unter gewissen Stadteilen von Paris Katakomben gibt?“

„Das weiß ja jedes Kind.“

„Nun, ein solcher Stadtteil ist der unsrige. Diese Falltür führt in das Labyrinth der unterirdischen Gänge hinab. Sie sind so verzweigt und ineinander gewirrt, daß man sich darin verirren kann. Es hat schon mancher nicht wieder heraufgefunden. Später wurde sein Skelett entdeckt. Er war elend verhungert und vielleicht gar bei lebendigem Leib von den Ratten aufgefressen worden.“

„Herrgott“, sagte das Mädchen schaudernd. „Und da hinab wollen wir vielleicht steigen?“

„Ja. Das Haus des Vater Mains ist fünf Querstraßen weit von hier. Sein Keller liegt ebenso wie der meinige über den Katakomben, und ich weiß, daß er auch eine Falltür besitzt.“

„Das stimmt. Ich habe die Tür damals gesehen.“

„Also richtig. Ich will offen sein und dir sagen, daß ich Grund gehabt habe, den Wirt heimlich zu beobachten. Ich bin sehr oft, ohne daß er es ahnte, in seinem Keller gewesen. Nur das Versteck konnte ich nicht entdecken. Heute wirst du es mir zeigen.“

„Das würde ich gern tun, Monsieur, denn ich habe Ihnen ja sehr viel zu verdanken; aber wie nun, wenn wir den Weg nicht zurückfinden und dann auch verhungern.“

„Ich kenne den Weg sehr genau, und übrigens habe ich für unvorhergesehene Fälle dieses Papier. Es ist der Plan der Katakomben, über denen wir wohnen. Willst du dich mir anvertrauen?“

Sie zögerte eine Weile und antwortete dann in entschlossenem Ton:

„Gut, ich gehe mit! Sie werden sich doch nicht selbst in eine Gefahr begeben, die Sie nicht kennen.“

„Sicherlich nicht. Vorher aber noch eins! Ich befand mich nämlich in den Katakomben unter dem Keller, als Vater Main dir sein Versteck zeigte, um dich zu betören. Ich hörte jedes Wort, welches zwischen euch gesprochen wurde; aber es fiel kein einziges, aus dem ich hätte schließen können, welcher Ort das Versteck sei. Von dieser Stunde an war es beschlossen, dich von ihm fortzunehmen, um mit deiner Hilfe das Gesuchte zu finden. Jetzt weißt du nun alles, und wir können den Weg antreten.“

Er kehrte zur Tür zurück und verschloß sie, um nicht beobachtet zu werden. Dann brannte er die beiden Laternen an, von denen das Mädchen eine erhielt. Das Licht wurde verlöscht. Sodann öffnete er die Falltür. Aus der schwarz emporgähnenden Öffnung stieg ein modriger Geruch, und unten hörte man die Stimmen der Ratten, welche durch das Geräusch aufgeschreckt worden waren. Längs der Mauer hin lag eine Leiter. Er nahm dieselbe und ließ sie in das Loch hinab.

„Jetzt werde ich voransteigen, und du folgst mir“, sagte er. „Du brauchst ganz und gar nicht bange zu sein. Es wird dir nichts Böses geschehen.“

Er zog den Degen aus dem Stock, nahm ihn in die Rechte und die Laterne in die Linke und begann hinab zu steigen. Sie zögerte einige Augenblicke und folgte ihm dann vorsichtig.

Unten angekommen, befanden sie sich in einem gewölbten Gang, von dessen Mauern das Wasser sickerte. Es sammelte sich am Boden, wo es durch unsichtbare Ritzen verschwand. Einzelne Ratten huschten an ihnen vorüber. Die Masse dieser Tiere hatte sich vor dem Schein der Laternen geflüchtet.

„Nun, findest du es vielleicht zu grausig hier unten?“ fragte er.

„Nein“, antwortete sie. „Allein möchte ich auf keinen Fall und um keinen Preis hier sein.“

„Weißt du, wozu diese Katakomben früher gedient haben?“

„Man sagt, daß die Toten da aufbewahrt worden sind.“

„Das ist wahr. Wir werden an einigen Stellen vorüberkommen, wo Schädel und Knochen aufgespeichert liegen. Du brauchst dich jedoch nicht zu fürchten. Komm, gib mir deinen Arm!“

Er führte sie. Er fühlte, daß sie bebte. Sie war doch nicht so mutig, wie sie sich den Anschein gab. Und als sie, in mehrere Nebengänge einbiegend, immer ganze Scharen von Ratten fliehen sahen und hörten, stieß sie zuweilen einen lauten Ruf des Schreckens aus.

Nach einer Weile kamen sie durch ein breiteres Gewölbe, an dessen Seiten zahlreiche Überreste von Leichen aufgestapelt waren. Da drängte sie sich furchtsam an ihren Führer und beschleunigte ihre Schritte, so daß er ihr kaum zu folgen vermochte.

Endlich, endlich blieb er halten. Es waren in die Mauer Stufen gehauen und oben in der Decke erblickte man eine Falltür, ganz ähnlich derjenigen, durch welche sie vorher herabgestiegen waren.

„Wir sind am Ziel“, sagte er.

„Über uns ist der Keller des Vater Mains?“ fragte sie.

„Ja. Der Schlaukopf scheint auch zuweilen hier unten seine Entdeckungsfahrten unternommen zu haben, denn diese Stufen sind sicher nur von ihm in den Stein gehauen worden. Er kann da die Leiter entbehren. Ich werde einmal horchen, ob sich jemand im Keller befindet. Hier hast du den Stockdegen, um dich der Ratten zu erwehren, wenn sie dich belästigen sollten.“

Er stieg empor, bis sein Kopf an die Falltür stieß und lauschte eine kurze Zeit. Dann hob er die Tür empor, hielt die Laterne in die Höhe und blickte in den Keller. Er konnte nach dem, was er erfahren hatte, sich denken, daß das Haus von der Polizei besetzt war. Daher war Vorsicht geboten. Glücklicherweise bemerkte er, daß in dieser hinteren Abteilung von einem Menschen keine Spur zu sehen sei.

„Es ist niemand da“, flüsterte er ihr zu. „Komm herauf.“

Er selbst stieg vollends empor, und sie folgte ihm.

„Nun, wo ist das Versteck?“ fragte er. „Du kannst es mir zeigen, ohne ein Wort zu sprechen; dann hast du deinen Schwur gehalten.“

Natürlich sprach er so leise wie möglich. Er war fieberhaft erregt, ließ es sich aber nicht merken. Das Mädchen trat einige Schritte vor, bückte sich dann fast bis zum Boden nieder und deutete auf einen Mauerstein, welcher ganz fest zwischen den anderen zu stecken schien. Ein Eisenring war an ihm angebracht. Lemartel erfaßte den Ring und zog. Der Stein folgte dieser Anstrengung und nach ihm auch die rechts und links von ihm befindlichen. Dadurch wurde eine Öffnung sichtbar, welche eine ziemliche Tiefe besaß. Der Lumpenkönig leuchtete in dieselbe hinein und mußte sich beherrschen, um nicht einen lauten Ruf des Erstaunens auszustoßen.

Er erblickte Geldrollen und Pakete, welche jedenfalls Papiergeld enthielten, Ringe, Ketten, Armbänder und allerlei ähnliche Schmuckgegenstände. Und ganz hinten – ah, er langte hinein und zog ein kleines Kästchen hervor, welches er genau betrachtete. Es war verschlossen und kein Schlüssel steckte im Loch.