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Er näherte sich der Haustür, welche von innen verschlossen war, und zog den Schlüssel hervor, um sie zu öffnen. Da trat der Bajazzo zu ihm heran und fragte:

„Reden Sie irre, oder sprechen Sie im Ernst?“

„Das letztere ist der Fall, Monsieur Bajazzo.“

„So wollen Sie also wirklich in Ihr Verderben rennen?“

„Versuchen Sie es doch, mich zu verderben.“

„Das Kästchen wird sicher abgegeben.“

„Holt es euch erst.“

„Ich werde erklären, daß Sie der betreffende Henry de Lormelle sind, welcher damals – Sie wissen ja!“

„Nichts weiß ich, gar nichts! Bringt Beweise! Hier steht die Tür offen. Packt euch hinaus!“

Er hatte die Tür aufgestoßen und deutete hinaus auf die Gasse, das steigerte den Grimm des Bajazzo.

„Hund!“ rief er. „Du sollst uns nicht umsonst hinauswerfen! Da, nimm das zum Lohn.“

Er holte zum Schlag aus; aber der Lumpensammler war auf seiner Hut gewesen. Er sprang zurück und riß einen Revolver aus der Tasche, den er dem Bajazzo entgegenhielt:

„Ah, vergreifen wollt ihr euch an mir?“ fragte er. „Noch einen einzigen Schritt, und ich schieße euch nieder. Wenn man euch dann erkennt, wird man mich belohnen, anstatt bestrafen. Ich sage ganz einfach, daß ihr einen Raubanfall gegen mich unternommen habt. Also geht, oder ich schieße.“

Der Bajazzo sah sich machtlos. Er schäumte vor Wut. Vater Main fühlte nicht weniger Grimm, aber er besaß mehr Selbstbeherrschung. Er faßte ihn beim Arm und sagte:

„Komm, Bajazzo; laß ihn! Er hat in diesem Augenblick die Oberhand; aber er soll es büßen; dafür werden wir sorgen.“

Er zog ihn mit sich fort auf die Gasse hinaus. Draußen blickten sie sich vorsichtig um. Sie bemerkten nichts Verdächtiges und schritten weiter.

„Diesem Halunken will ich es gedenken!“ sagte der Bajazzo. „Ich kenne eine Affäre aus seiner Vergangenheit, welche –“

„Still jetzt!“ unterbrach ihn der Vater Main. „Wir haben in diesem Augenblick genug mit uns selbst zu tun. Es ist heller Tag. Man sucht mich jedenfalls in ganz Paris. Ich muß auf meine Sicherheit bedacht sein.“

„Wohin aber wenden wir uns?“

„Zum alten Piccard.“

„Ah, zum Trödler?“

„Ja.“

„Lebt er denn noch?“

„Der stirbt niemals. Er scheint das ewige Leben zu haben. Er ist mir zu Dank verpflichtet, und ich bin überzeugt, daß er mir seine Hilfe nicht versagen wird. Vorwärts also!“

Er begann, rascher als bisher auszuschreiten, und der Bajazzo mußte das gleiche tun. So kamen sie glücklich durch einige Gäßchen, ohne einem Polizisten zu begegnen, und endlich traten sie in den Flur des kleinen, armseligen Häuschens, in welchem allem Anschein nach ein Althändler zu wohnen schien.

Der Wirt hatte das Eintreten der beiden Fremden vernommen, er öffnete die Stubentür. Der Raum war von der Diele bis zur Decke hinauf mit altem Gerümpel angefüllt. Auf einer Bank saß ein alter, grauköpfiger Kerl, welcher noch vor Methusalem gelebt zu haben schien.

Kaum war der Blick dieses Mannes auf Vater Main gefallen, so sprang er mit jugendlicher Beweglichkeit von seinem Sitz auf, riß die beiden in die Stube hinein, verriegelte die Tür und rief im Ton des Schreckens:

„Mein Gott, ist es möglich! Vater Main! Du wagst es, dich am hellen Tag auf der Straße zu zeigen! Weißt du denn nicht, daß tausend Augen nach dir forschen?“

„Ich weiß es, alter Picard. Wirst du mich verraten?“

„Was denkst du? Was fällt dir ein?“

„Ich wußte es. Du wirst mir doch aus der Schlappe helfen.“

„Gern, wenn ich kann. Was verlangst du von mir?“

„Ich mußte fliehen in demselben Anzug, in welchem ich im Keller steckte. Hast du keinen anderen, welcher mich unkenntlich macht?“

„Ich habe einen und werde ihn holen.“

„Aber ich habe kein Geld.“

„Das ist auch nicht nötig. Du wirst mich bezahlen, sobald es dir möglich ist. Und du, Bajazzo, bist auch wieder hier? Sieht man dir vielleicht auch auf die Finger?“

„Hm“, antwortete der Gefragte, „auch ich habe gerade keine Veranlassung, mich viel sehen zu lassen.“

„So macht euch aus der Stadt hinaus. Draußen auf dem Land seid ihr sicherer als hier.“

Er suchte einen Anzug hervor, und bald war der Wirt so ausstaffiert, daß man ihn, wenigstens von weitem, nicht gut erkennen konnte. Der Trödler schob sie zur Tür hinaus. Es war ihm doch Angst, daß man sie bei ihm finden könne.

Die beiden suchten die einsamsten Wege aus und besprachen sich dabei über das, was sie zu tun hatten.

„Hast du Geld, Bajazzo?“ fragte der Wirt.

„Verdammt wenig. Ich bin gestern abend so dumm gewesen, zu spielen und habe da fast alles verloren.“

„Das ist dumm. Ohne Geld können wir nicht fort. Ich habe zwar genug zu Hause und so gut versteckt, daß man es nicht finden kann; aber kann ich es holen? Die Polizei hat jedenfalls das Haus und auch die ganze Umgebung besetzt.“

„Hast du keinen Bekannten, welcher dir vielleicht borgen würde?“

„Genug. Aber es fällt mir gar nicht ein, sie aufzusuchen. Jedem meiner Bekannten hockt ein Polizist auf dem Rücken, das ist sicher.“

„Wie aber zu Geld kommen. Wir müssen welches haben.“

„Du, Bajazzo, sei aufrichtig. Ist die Polizei wirklich auch hinter dir her?“

„Leider, und zwar ganz verteufelt.“

„Weshalb?“

„Ich spreche nicht darüber; aber wenn man mich erwischt, so kann es mir leicht an den Kragen gehen.“

„So müssen wir alles versuchen, um uns salvieren zu können. Geld muß und muß und muß geschafft werden. Weißt du Rat?“

„Nein.“

„Gut, so weiß ich welchen. Werden wir mit zehntausend Franken ausreichen?“

„Zehntausend? Bist du verrückt? Woher sollen wir eine solche ungeheure Summe erhalten?“

„Woher? Von wem anders, als von dem Grafen Rallion.“

„Von Rallion? Ah! Mensch, das ist ein sehr guter Gedanke.“

„Nicht wahr? Er muß Geld schaffen, und zwar genug. Wir haben ihn in unseren Händen.“

„Das ist richtig. Aber – hm.“

„Was? Gibt es ein Bedenken?“

„Ja, ein sehr schweres.“

„In unserer Lage haben wir keine Wahl.“

„Ja, doch haben wir eine Wahl.“

„Welche?“

„Wer mit ihm reden soll, ob du oder ich.“

„Furcht habe ich nun wohl nicht; aber es ist doch wohl nichts Angenehmes, so einem vornehmen Herrn entgegenzutreten.“

„Du hast kein Geschick. Soll ich mit ihm reden?“

„Ja. Ich überlasse es am liebsten dir.“

„Gut. Hast du noch Geld genug für einen Fiaker?“

„Dazu reicht es aus. Du meinst, wir werden nicht so beobachtet, wenn wir fahren?“

„Gewiß. Befinden wir uns erst in dem Stadtteil, wo der Graf wohnt, so sind wir dort nicht so sehr bekannt, wie hier. Also wollen wir unser Glück versuchen.“

Sie nahmen eine Droschke und ließen sich in die Nähe des Hotels Rallion fahren. Dort stiegen sie aus und lohnten den Kutscher ab. Hier in diesem Stadtviertel fühlten sie sich sicherer als vorher.

„Wo soll ich warten?“ fragte der Bajazzo.

„Geh dort in der Seitenstraße auf und ab. Ich denke, daß ich dich nicht lange warten lassen werde.“

Sie trennten sich. Der Bajazzo begab sich nach der Seitengasse, wo er langsam hin und her ging, sorgsam darauf achtend, daß er nicht zu auffällig werde. Bereits nach kaum fünf Minuten sah er den Wirt kommen.

„Schon“, sagte er zu ihm. „Er war wohl nicht zu sprechen?“

„Nein. Er ist verreist.“

„Wohin?“

„Das weiß der Teufel. Ich konnte es nicht erfahren. Dieser verdammte Portier schien mich nicht für voll anzusehen. Aber ich weiß, wo ich ganz genaue Auskunft erhalten werde.“