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„Wo?“

„Beim Sekretär des Grafen, welcher gar nicht weit von hier wohnt. Er wird zu Hause sein, denn es ist die Zeit zum Speisen.“

Sie wanderten miteinander weiter, bis sie ihr Ziel erreichten. Hier mußte der Bajazzo abermals warten. Er trat in das Tor des gegenüberliegenden Hauses, von wo aus er alles genau beobachten konnte. Der Wirt aber trat drüben ein und stieg die Treppe empor in der festen Überzeugung, den gegenwärtigen Aufenthalt des Grafen zu erfahren. –

Belmonte war mit seinem Martin im Stadthaus zusammengetroffen, wo man dann die Aussagen beider zu Protokoll genommen hatte. Danach wollte Martin die Geliebte aufsuchen. Er blickte, aus dem Stadthaus tretend, seinen Herrn von der Seite an, und sagte:

„Jetzt also nun Abschied nehmen.“

„Von der Schwalbe“, lächelte Belmonte.

„Wollten Sie nicht mit Monsieur?“

„Gleich mit? Ist es nicht besser, ich lasse euch erst ein Weilchen allein und komme dann nach?“

„Hm! In solchen Angelegenheiten scheinen Sie denn doch nicht sehr bewandert zu sein.“

„Wieso mein Lieber?“

„Beim Abschiednehmen ist jeder dritte überflüssig.“

„Ah, so? Du meinst, ich soll lieber gleich mitkommen und euch dann allein lassen?“

„So denke ich allerdings.“

„Gut; ich gehe mit.“

Alice saß bei einer kleinen Handarbeit und gedachte des Geliebten, als es draußen im Vorsaal klingelte. Sie ging hinaus, um zu öffnen. Sie erblickte einen höchst stattlichen Herrn, welcher den Hut ziehend, sich höflichst verbeugte und dann fragte:

„Entschuldigung! Bin ich hier recht bei Demoiselle Alice?“

„So heiße ich, mein Herr. Treten Sie näher.“

Er trat in den Vorsaal, blieb aber so stehen, daß sie die Tür nicht schließen konnte und fuhr fort:

„Ich suche einen Herrn bei Ihnen, welcher sich Monsieur Martin nennt.“

Eine tiefe Röte überflog ihr Gesicht.

„Monsieur Martin?“ fragte sie verlegen.

„Ja, Mademoiselle. Es ist ganz derselbe Martin, welcher sich vorzugsweise gern unter die Tische versteckt, wenn er beim Damenbesuch gestört wird.“

Sie wurde noch verlegener; dann aber leuchtete es in ihrem Gesichtchen auf.

„Ah, er hat geplaudert!“ lachte sie. „Irre ich nicht, so sind Sie Monsieur Belmonte?“

„Wie kommen Sie zu dieser Vermutung?“

„Weil Martin nur seinen Herrn in solche Staatsgeheimnisse einweihen wird.“

Da ertönte draußen hinter der Tür ein fröhliches Lachen. Der Telegraphist drängte sich herein, nahm das Mädchen bei der Taille und sagte frohlockend:

„Habe ich es nicht gesagt, daß mein Schwälbchen Sie erraten wird, Monsieur Belmonte. Ja, man glaubt gar nicht, was so ein Vöglein für einen Scharfsinn besitzt. Alice, hier ist mein lieber Herr, welcher dich gern einmal sehen wollte. Darf er mit eintreten?“

Sie war überrascht, den Geliebten um diese Zeit bei sich zu sehen, aber sie fand sich rasch in die Lage.

„Es wird mir eine große Ehre sein“, antwortete sie. „Bitte einzutreten, Monsieur.“

Die trauliche, saubere Häuslichkeit heimelte Belmonte sofort an, und als er nun dem braven Mädchen in das liebe, vor Freude gerötete Angesicht blickte, da ging ihm das Herz auf. Er reichte ihr die Hand und sagte:

„Ich werde Sie nicht lange belästigen, Mademoiselle; aber es war mir ein Bedürfnis, die Dame kennenzulernen, welche das Herz meines guten Martin so schnell und so vollständig erobert hat. Ich möchte eifersüchtig auf Sie sein. Er denkt jetzt kaum noch an mich, sondern immer nur an Sie.“

Sie wollte antworten, aber da ertönte die Klingel abermals.

„Gott, das wird mein Bruder sein“, sagte sie.

„Erschrecken Sie darüber nicht“, meinte Belmonte. „Martin hat keine Veranlassung, sich vor Monsieur, Ihrem Bruder, zu verbergen. Gehen Sie getrost, um zu öffnen.“

Sie war doch ein wenig bleich geworden, aber sie folgte der an sie ergangenen Aufforderung. Die beiden hörten, daß die Vorsaaltür aufgeschlossen wurde und dann fragte eine Stimme:

„Wohnt hier der Sekretär des Grafen Rallion?“

„Ja, mein Herr“, antwortete Alice.

„Ist er zu Hause?“

„Nein.“

„Wann wird er kommen?“

„Er wird vielleicht bald zu sprechen sein.“

„So erlauben Sie, daß ich eintrete.“

Man hörte das Geräusch von Schritten, welche aber doch gleich wieder halten blieben. Alice schien sich dem Mann in den Weg gestellt zu haben. Belmonte hatte überrascht aufgehorcht.

„Sapperlot“, flüsterte er. „Diese Stimme sollte ich kennen!“

„Bitte, ziehen Sie es nicht vielleicht vor, in kurzer Zeit wieder zu kommen?“ fragte das Mädchen.

„Nein“, wurde geantwortet. „Ich werde warten, bis er kommt.“

„Er ist's, er ist's!“ sagte Belmonte. „Es ist wahrhaftig Vater Main, oder ich müßte mich außerordentlich täuschen! Rasch hier hinein. Mich kennt er nicht sofort wieder.“

Er öffnete die Nebentür und schob Martin hinein; dann trat er zu der Tür, welche nach dem Vorsaal führte, öffnete sie und sagte zu dem Ankömmling:

„Bitte treten Sie hier ein.“

Der Angeredete folgte dieser Aufforderung. Es war wirklich der von der Polizei gesuchte Tavernenwirt. Er erkannte Belmonte nicht, da dieser anders gekleidet ging und auch nicht die falsche Haartour trug, welche er angelegt hatte, wenn er bei Vater Main erschien.

„Ah“, sagte der Wirt, „man hat Sie verleugnen wollen?“

„Wieso?“

„Sie sind Monsieur, der Sekretär?“

„Nein, der bin ich allerdings nicht. Aber bitte, wollen Sie nicht Platz nehmen, mein Herr?“

Vater Main setzte sich auf einen Stuhl und Belmonte stellte sich so, daß er zwischen ihm und der Tür stand. Alice war mit eingetreten. Die Anwesenheit dieses Fremden war ihr im höchsten Grad fatal. Er bemerkte das an dem Blick, den sie mißbilligend auf ihm ruhen ließ, und suchte sich zu entschuldigen:

„Ich bin fremd in Paris, Mademoiselle, und wußte nicht, wo ich bis zur Ankunft des Herrn Sekretär besser warten sollte als hier.“

„Sie haben sehr recht“, bemerkte Belmonte. „Auch mir ist es lieber, daß Sie hier eingetreten sind. Darf ich fragen, welcher Angelegenheit wir Ihre Anwesenheit verdanken?“

„Ich wollte eine Erkundigung aussprechen.“

„Nach wem oder was? Vielleicht bin auch ich imstande, Ihnen Auskunft zu erteilen.“

„Ich möchte gern erfahren, wo sich gegenwärtig Graf Rallion befindet. Ist Ihnen der Ort bekannt?“

„Ja. Was wünschen Sie von ihm?“

„Ich habe in einer wichtigen Privatangelegenheit um eine Audienz zu ersuchen.“

„Vielleicht in Damenangelegenheiten?“

„Wieso? Woher diese Vermutung?“

„Weil Sie ein Herr zu sein scheinen, der sich vorzugsweise gern mit Damen beschäftigt.“

„Sie scherzen. In meinen Jahren, Monsieur – hm.“

„Oh, auch in Ihren Jahren kann man sich noch sehr für junge Damen interessieren, wenn auch weniger aus Gefühls-, als vielmehr aus pekuniären Rücksichten.“

„Ich verstehe Sie nicht.“

„Das begreife ich nicht. Man hat Beispiele, daß sich ein Herr Ihres Alters für eine Dame interessierte, um zu einem Gewinn von hunderttausend Franken zu kommen.“

Der Wirt wurde leichenblaß. Er fragte stockend: „Er hat sich des Vermögens wegen mit ihr verlobt?“

„Nein, er hat sie dieser Summe wegen geraubt.“

„Ah, Sie sprechen von dem Fall, welcher die ganze Hauptstadt in Aufregung gebracht hat. Es steht sehr zu wünschen, daß der Täter ergriffen werde. Ich aber werde doch vorziehen, wieder zu kommen, da der Herr Sekretär vielleicht erst später eintrifft.“

Er hatte sich erhoben; er fühlte sich von einer plötzlichen Unruhe ergriffen. Der Mann, welcher da vor ihm stand, kam ihm so eigentümlich, so inquisitorisch vor. Er machte eine Verbeugung und wollte an Belmonte vorüber. Dieser aber wich nicht von seinem Platz, sondern sagte sehr höflich: