„La Mode universelle“, sagte er, den Titel des einen lesend. „Weiter: La Toilette de Paris, und hier, la Mode française. Ich befinde mich bei einer Dame, welche in diesem Fach gern au fait zu sein scheint. Wer mag sie sein? Ich bin wirklich außerordentlich gespannt! Wird sie mit verhülltem Gesicht erscheinen? Jedenfalls.“
Er begann, mehr aus Aufregung als aus Langeweile, in einem der Journale zu blättern. Im Umwenden fiel ihm ein großer, dichtbeschriebener Briefbogen in die Augen.
„Ein Brief!“ dachte er. „Ah, vielleicht bringt er mich auf die Spur. Man sollte zwar eigentlich diskret sein, aber in meiner Lage gibt es kein solches Bedenken. Sehen wir zu!“
Der Bogen hatte keine Überschrift; er enthielt die Fortsetzung eines vorhergehenden Volumens; aber kaum hatte Belmonte einen Blick auf die Unterschrift geworfen, so fuhr er ganz erstaunt von seinem Sitz empor.
„Oberst Stoffel!“ sagte er. „Ist das denn auch wahr?“
Er las noch einmal und überzeugte sich, daß er sich nicht geirrt habe.
„Oberst Stoffel, der französische Militärbevollmächtigte am Berliner Hof! Oberst Stoffel, welcher das deutsche Heerwesen genau studiert hat, und infolgedessen ganz und gar gegen einen Krieg Frankreichs mit uns ist? Was schreibt er?“
Belmonte las. Seine Züge nahmen, je länger desto mehr, den Ausdruck einer ungeheuren Spannung an. Als er geendet hatte, steckte er den Bogen wieder in das Journal, strich sich mit der Hand über das Gesicht, holte tief Atem und flüsterte:
„Welch ein Zufall! Ja, Frankreich will den Krieg, und der Oberst warnt aus allen Kräften vor demselben. Die Gründe, welche er angibt, sind eigentlich unwiderlegbar; aber man wird verblendet genug sein, sie nicht gelten zu lassen. Hier treffe ich abermals auf eine Entdeckung, welche von ungeheurem Vorteile für mich ist. Aber, wo befinde ich mich? Wer kann es sein, an den der Oberst solche Berichte sendet?“
Er schlich sich leise zur gegenüberliegenden Portiere und horchte eine Weile.
„Alles still!“ nickte er. „Da drinnen ist niemand. Schauen wir!“
Er schob die Vorhänge auseinander und erblickte ein Zimmer, welches fast noch luxuriöser ausgestattet war, als das Kabinett, in welchem er sich befand.
„Wirklich kein Mensch! Schleichen wir also weiter.“
Er trat ein, und glitt mit unhörbaren Schritten über den weichen persischen Teppich nach dem anderen Ausgang. Als er hier horchte, war es ihm, als ob er Stimmen vernehme.
„Das muß im übernächsten Zimmer sein“, dachte er. „Wage ich es, oder nicht? Ah, pah! Wenn man mich bemerkt, so bin ich nicht schuld daran! Hätte man mich nicht kommen lassen!“
Auch das nächste Zimmer war leer; aber in dem nun folgenden wurde gesprochen. Es war nicht nur durch eine Portiere, sondern auch durch eine Tür von demjenigen getrennt, in welchem Belmonte jetzt stand.
„Jetzt stehe ich vielleicht vor der Lösung des Rätsels“, flüsterte er. „Soll ich horchen oder nicht? Frisch voran! Aber zur Sicherheit den Riegel vor, daß man mich nicht überraschen kann.“
Er schlich zur Tür und schob den Riegel, welcher nicht das mindeste Geräusch machte, vor. Dann legte er das Ohr daran und hörte nun zwei Stimmen, welche sich sehr eifrig unterhielten.
Es war eine männliche und eine weibliche. Die erstere sprach in geradezu untertänigem Ton; die letztere hatte einen scharfen, pikierten, ärgerlichen Klang.
„Sie sind höchst ungenau unterrichtet, Graf!“ hörte Belmonte sagen. „Es wäre Ihre Pflicht gewesen, sich besser zu informieren!“
„Ich wage es, mich für vollständig informiert zu halten. Der Deutsche ist uns überlegen.“
„Das sagt auch dieser Oberst Stoffel. Aber er hat einen deutschen Namen, und es fehlt ihm an Scharfsinn, der Kriegsminister kennt unsere Schlagbereitschaft.“
„Die Deutschen sind ebenso schlagbereit.“
„Sie wollen vielleicht sagen, die Preußen.“
„Ich schließe keineswegs die Süd- und Mitteldeutschen aus.“
„Pah, man fürchtet sie doch nicht. Der Sachse pflegt die Traditionen, welche ihn mit dem Neffen des großen Kaisers verbinden. Man hofft, daß er neutral bleiben werde.“
„Ich befürchte das Gegenteil.“
„Bayern, Württemberg und Baden trauen einander selbst nicht. Man trennt sie und besiegt sie.“
„Sie werden aufstehen wie ein Mann.“
„Graf, Sie sind ein Unglücksvogel! Übrigens werden wir so schnell über die Gegner herfallen, daß sie vollständig verblüfft sein werden. Sie haben keine Ahnung davon, daß wir sie zu engagieren gedenken.“
Belmonte hörte ein leichtes Räuspern, und dann antwortete der Graf:
„Ich bin überzeugt, daß man in Deutschland ahnt oder vielleicht gar weiß, was wir beabsichtigen.“
„Wie sollten Sie es vermuten?“
„Dieser Bismarck ist –“
„Bismarck?“ fragte die weibliche Stimme schnell. „Dieser preußische Landjunker ist ein Bär, welcher wohl einmal vermöge seiner rohen Kraft, niemals aber infolge eines Finesse Verlegenheit bereiten kann. Ich weiß genau, daß er sich mit den Süddeutschen verfeindet hat. Er ist im eigenen Land so sehr beschäftigt, daß er gar keine Zeit hat, uns zu beobachten.“
In diesem Augenblick hörte man das Öffnen einer Tür, und eine Stimme meldete:
„Der Herzog Gramont und der Kriegsminister.“
„Eintreten!“
Es erklangen Schritte; eine wortlose Pause trat ein, welche jedenfalls von stummen Komplimenten ausgefüllt war. Dann ließ sich die weibliche Stimme vernehmen:
„Messieurs, der Graf Daru hat ganz unerwartet um eine Audienz gebeten. Er bringt mir Nachrichten, welche er für höchst wichtig hält, und ich habe Sie rufen lassen, damit Sie ihm das Gegenteil beweisen. Exzellenz, sagen Sie, ob wir kriegsbereit sind oder nicht.“
Diese Frage war jedenfalls an Leboeuf gerichtet. Er antwortete augenblicklich:
„Wir können in jedem Augenblick losschlagen.“
„Graf Daru behauptet, die Deutschen seien uns überlegen.“
„Dem muß ich entschieden widersprechen. Die tiefgehende Reform unserer Heeresverfassung hat uns ungemein gestärkt. Wir haben keinen Feind zu fürchten. Erklären wir heute den Krieg, so haben wir morgen die Rheinpfalz überschwemmt, sind übermorgen im Besitz Süddeutschlands und spazieren am nächsten Tag auf Berlin los.“
„Hören Sie es, Graf. Und Sie, Herzog, sind Sie ebenso bereit und siegesgewiß?“
„Unsere Diplomatie hat mit der Entwicklung des Heereswesens wenigstens gleichen Schritt gehalten. Schlagen wir schleunigst los, ehe es Preußen gelingt, sich der Süddeutschen zu versichern. Sachsen brauchen wir nicht zu fürchten.“
Jetzt hörte Belmonte abermals das Öffnen einer Tür.
„Ah, mein Gemahl“, rief die weibliche Stimme.
Zugleich aber war es dem Lauscher, als ob man auf die Klinke gedrückt habe. Er befand sich in einer leicht denkbaren Aufregung, sah aber auch zugleich ein, welche große Gefahr ihm drohte. Darum zog er den Riegel leise zurück und huschte, während drüben neue Stimmen erklangen, dahin zurück, woher er gekommen war.
Dort hielt er an und holte Atem, als ob er eine ganz ungewöhnliche Anstrengung hinter sich habe.
„Träume ich denn?“ fragte er sich. „Das war Graf Daru, der gestürzte Minister, der Friedensmann. Das war ferner der Herzog von Gramont, sein Nachfolger, der den Krieg wünscht, und das war endlich Leboeuf, der Kriegsminister. Wer aber war die Dame? Und wer ist dieser ‚Gemahl‘, welcher bei ihr eintrat?“
Er schüttelte den Kopf und begann, in dem Kabinett hin und her zu schreiten, ganz so, als ob er sich bei sich befand. Dann aber blieb er plötzlich stehen, schlug sich mit der Hand vor den Kopf und sagte:
„Sapperlot. Das Zeichen, welches ich Martin geben soll. Ich habe es ganz vergessen.“