Выбрать главу

»Das bin ich auch«, entgegnete Raistlin leise. »Lange Monate verbrachte ich bei ihm, in einer Verkleidung. Ich enthüllte mich ihm erst, als ich bereit war. Und bei dieser Gelegenheit saugte ich ihn aus!«

Caramon schüttelte den Kopf. »Das ist unmöglich. Du bist zur gleichen Zeit wie wir aufgebrochen, in jener Nacht... Zumindest hat das der Dunkelelf gesagt...«

Raistlin schüttelte ärgerlich den Kopf. »Die Zeit für dich, mein Bruder, ist eine Reise vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang. Die Zeit ist für jene von uns, die ihre Geheimnisse gemeistert haben, eine Reise jenseits der Sonne. Sekunden werden zu Jahren, Stunden zu Jahrhunderten. Ich gehe nun seit Monaten als Fistandantilus durch diese Hallen. In den vergangenen Wochen habe ich alle Türme der Erzmagier aufgesuchtjene, die noch erhalten sind —, um zu lernen. Ich war bei Lorac im Elfenkönigreich und lehrte ihn den Umgang mit der Kugel der Drachen – eine tödliche Gabe für einen, der so schwach und hochmütig wie er ist. Sie wird ihm später eine Falle stellen. Ich habe viele Stunden mit Astinus in der Großen Bibliothek verbracht. Andere Orte, die ich besucht habe, entsetzliche und wunderbare Dinge, die ich gesehen habe, liegen jenseits deiner Vorstellung. Aber für Dalamar beispielsweise war ich nur einen Tag und eine Nacht abwesend. So wie für dich.«

Das ging über Caramons Verstand. Verzweifelt versuchte er, einen winzigen Teil davon zu erfassen.

»Dann... bedeutet das, daß du... jetzt in Ordnung bist? Ich meine, in der Gegenwart? In unserer Zeit?« Er machte eine Handbewegung. »Deine Haut ist nicht mehr golden, du hast die Stundenglasaugen verloren. Du siehst... du siehst aus wie damals, als du jung warst und wir zum Turm gereist sind, vor sieben Jahren. Wirst du so sein, wenn wir zurückkehren?«

»Nein, mein Bruder«, antwortete Raistlin. Er sprach mit einer Geduld, die man aufwendet, wenn man Kindern etwas erklären will. »Die Zeit ist wie ein Fluß. Ich habe nicht ihren Verlauf geändert. Ich bin einfach an einer Stelle ausgestiegen und an einer anderen Stelle etwas flußaufwärts wieder hineingesprungen. Dieser Fluß trägt mich in seinem Lauf. Ich...« Raistlin hielt plötzlich inne, warf einen scharfen Blick zur Tür. Dann riß er sie mit einer schnellen Bewegung auf, und Tolpan Barfuß taumelte herein und fiel auf sein Gesicht.

»Oh, hallo«, grüßte Tolpan und erhob sich fröhlich vom Boden. »Ich wollte gerade anklopfen.« Er staubte sich ab und wandte sich eifrig an Caramon. »Ich habe es kapiert! Verstehst du – er war früher Fistandantilus, der Raistlin geworden ist, der Fistandantilus geworden ist. Jetzt ist aus Fistandantilus Raistlin geworden, der Fistandantilus geworden ist, der wiederum Raistlin geworden ist. Verstehst du?«

Nein, Caramon verstand nicht. Tolpan wandte sich an den Magier. »Ist das nicht richtig, Raist...«

Der Magier antwortete nicht. Er starrte Tolpan mit einem so gefährlichen Ausdruck in den Augen an, daß dem Kender unbehaglich zumute wurde, und packte ihn am Kragen.

»Warum hat Par-Salian dich geschickt?« fragte Raistlin mit einer sanften Stimme, die den Kender erzittern ließ.

»Nun, er dachte natürlich, Caramon brauche Hilfe und...« Raistlins Griff wurde fester, seine Augen verengten sich. Tolpan stammelte. »In der Tat... glaube ich nicht... daß er wirklich beabsichtigt hat... mich zu schicken.« Tolpan versuchte, einen flehenden Blick auf Caramon zu werfen, aber Raistlins Griff hinderte ihn daran. »Es... es war mehr oder weniger ein Zufall, glaube ich... zumindest was ihn betrifft. Und ich könnte... besser reden, wenn du mich atmen lassen würdest... zumindest ab und zu.«

»Fahr fort!« befahl Raistlin und schüttelte Tolpan leicht.

»Raistlin, hör auf...«, begann Caramon und trat einen Schritt auf ihn zu, seine Augenbrauen gefurcht.

»Halt den Mund«, herrschte Raistlin ihn zornig an, nahm aber seine Augen nicht von dem Kender. »Fahr fort.«

»Da... da war ein Ring, den jemand hat fallen lassen... nun, vielleicht nicht fallen lassen...«, stammelte Tolpan, beunruhigt von dem Ausdruck in Raistlins Augen. »Ich... ich vermute, ich bin in ein Zimmer gegangen, und er... fiel in meinen Beutel, glaube ich, weil ich nicht weiß, wie er dort hineinkam... aber als der rotgekleidete Mann Bupu nach Hause schickte, wußte ich, ich bin der nächste. Und ich konnte Caramon nicht allein lassen! Ich... ich habe also zu Fizban gebetet – ich meine Paladin —, und ich steckte den Ring an und – puh!« Tolpan streckte seine Hände aus. »Ich war eine Maus!«

Der Kender hielt inne; er erhoffte sich eine erstaunte Reaktion von seinen Zuhörern. Aber Raistlins Augen weiteten sich nur vor Ungeduld.

»Und so war ich in der Lage, mich zu verstecken«, fuhr Tolpan fort, »und schlich mich in Par-Salians Laboratorium, und er veranstaltete gerade die wunderschönsten Dinge, und die Steine haben gesungen, und Crysania lag ganz blaß herum, und Caramon sah so verängstigt aus, und ich konnte ihn nicht allein gehen lassen... und so...«, Tolpan zuckte die Schultern und sah Raistlin mit entwaffnender Unschuld an, »bin ich hier...«

Raistlin verschlang ihn weiter mit den Augen, als ob er Tolpan die Haut von den Knochen abziehen und in seine Seele blicken wollte. Offensichtlich zufrieden, ließ der Magier den Kender endlich los, wandte sich um und starrte geistesabwesend ins Feuer. »Was bedeutet das?« murmelte er. »Ein Kender, gemäß allen magischen Gesetzen verboten! Bedeutet das, daß der Verlauf der Zeit verändert werden kann? Sagt er die Wahrheit? Oder wollen sie mich auf diese Weise aufhalten?«

»Was hast du gesagt?« fragte Tolpan interessiert; er sah vom Teppich auf, wo er saß. »Den Verlauf der Zeit ändern? Durch mich? Meinst du, daß ich...«

Raistlin drehte sich um und starrte den Kender so bösartig an, daß Tolpan zu Caramon zurückwich.

»Ich war wirklich überrascht, deinen Bruder zu finden. Du nicht auch?« fragte Tolpan Caramon. »Raistlin war auch überrascht, mich zu sehen, nicht wahr? Das ist merkwürdig, denn ich sah ihn auf dem Sklavenmarkt, und ich gehe davon aus, daß er uns gesehen hat...«

»Sklavenmarkt!« sagte Caramon plötzlich. Dieses Gespräch über Flüsse und Zeit reichte. Dies war jetzt etwas, was er verstehen konnte. »Raist, du sagtest, du wärst schon seit Monaten hier. Das heißt, du warst es, der sie glauben machte, ich hätte Crysania überfallen! Du bist derjenige, der mich gekauft hat! Du bist derjenige, der mich zu den Spielen geschickt hat!«

Raistlin machte eine ungeduldige Handbewegung, daß seine Gedanken unterbrochen wurden.

Aber Caramon blieb hartnäckig. »Warum?« herrschte er Raistlin an.

»Im Namen der Götter, Caramon!« Raistlin wandte sich wieder um, seine Augen waren kalt. »Von welchem möglichen Nutzen hättest du für mich in deinem damaligen Zustand sein können? Ich brauche einen starken Krieger für unser nächstes Ziel und keinen fetten Trunkenbold.«

»Und... und du hast den Tod des Barbaren befohlen?« fragte Caramon. Seine Augen blitzten. »Du hast die Warnung diesem – wie heißt er? – Quarat geschickt?«

»Sei kein Tölpel, mein Bruder«, sagte Raistlin grimmig. »Was kümmern mich diese kleinlichen Hofintrigen! Wenn ich einen Feind beseitigen will, wird sein Leben innerhalb von Sekunden ausgelöscht sein. Quarat schmeichelt sich selbst in dem Wahn, daß ich großes Interesse an ihm hege.«

»Aber der Zwerg sagte...«

»Der Zwerg hört nur das Geklimper von Geld, das in seine Handfläche fällt. Aber glaub, was du willst.« Raistlin zuckte die Schultern. »Es interessiert mich wenig.«

Caramon war lange Zeit still und dachte nach. Tolpan öffnete den Mund – es gab mindestens hundert Fragen, die er liebend gern Raistlin gestellt hätte —, aber Caramon funkelte ihn an, und der Kender schloß den Mund ganz schnell.

Caramon hob den Blick. »Was meinst du damit – ›unser nächstes Ziel‹?«

»Ich behalte meine Absichten für mich«, erwiderte Raistlin. »Du wirst es erfahren, wenn die Zeit sozusagen reif ist. Meine Arbeit hier macht Fortschritte, aber sie ist noch nicht beendet. Es gibt hier außer dir eine andere Person, die sozusagen in Form gehämmert werden muß.«