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»Und wenn er nicht mitkommt?« fragte Caramon.

Crysania errötete. »Ich glaube... er wird es«, sagte sie. Ihre Gedanken wanderten zurück zu der Zeit in seinem Zimmer, als er ihr so nahe gewesen war, zu dem Ausdruck des Verlangens und der Sehnsucht in seinen Augen. »Ich habe... mit ihm geredet. Ich habe ihm gezeigt, daß das Böse niemals aufbauen oder etwas schaffen kann, daß es nur zerstören und sich gegen sich selbst richten kann. Er hat die Richtigkeit meiner Worte zugegeben und versprochen, darüber nachzudenken.«

»Und er liebt dich«, sagte Caramon sanft.

Crysania konnte nicht antworten. Ihr Herz schlug so laut, daß sie außer dem Pulsieren ihres Blutes nichts hören konnte. Sie spürte Caramons dunkle Augen auf sich gerichtet, während der Donner rumorte und den Tempel erschütterte. Dann nahm sie wahr, daß Caramon sich erhob.

»Crysania«, sagte er mit leiser, feierlicher Stimme, »wenn du recht hast, wenn du ihn mit deiner Güte und deiner Liebe von den dunklen Wegen abbringen kannst, auf denen er geht, dann würde ich...« Er wandte sich eilig ab.

Crysania war von Schmerz und Reue überwältigt, so viel Liebe in der Stimme des großen Mannes zu hören und seine Tränen zu sehen, die er zu verbergen suchte. Sie begann sich zu fragen, ob sie ihn nicht falsch beurteilt habe. Sie stand auf und berührte sanft den Arm des Mannes. »Mußt du zurückkehren? Kannst du nicht bleiben?«

»Nein.« Caramon schüttelte den Kopf. »Ich muß Tolpan und das Gerät von Par-Salian holen. Ich habe es eingeschlossen. Und dann habe ich Freunde... Ich bin dabei, sie zu überreden, die Stadt zu verlassen. Vielleicht ist es zu spät, aber ich muß noch einen Versuch unternehmen...«

»Ja«, sagte Crysania, »ich verstehe. Komm so schnell wie möglich zurück. Du triffst mich... in Raistlins Zimmer.«

»Ich werde kommen«, erwiderte er. »Und jetzt muß ich gehen, bevor meine Freunde mit den Übungen anfangen.« Er legte ihre Hand in seine und drückte sie fest, dann eilte er von dannen. Crysania sah ihn hinaus in den Korridor gehen, wo Fackellichter leuchteten. Er bewegte sich schnell und sicher und zuckte nicht einmal zusammen, als er an einem Fenster vorbeikam, das plötzlich von einem hellen Blitz aufstrahlte.

Caramon verschwand in der Dunkelheit. Crysania raffte ihre weißen Roben zusammen und stieg zu dem Teil des Tempels hinauf, in dem der schwarzgekleidete Magier wohnte.

Ihre gute Laune und ihre Hoffnung sanken leicht, als sie den Korridor betrat. Hier schien die volle Wut des Sturmes unvermindert zu rasen. Nicht einmal die schweren Vorhänge konnten die blendenden Blitze fernhalten, die dicksten Wände nicht die Donnerschläge dämpfen. Vielleicht wegen eines undichten Fensters schien selbst der Wind durch die Tempelmauern zu dringen. Hier brannten keine Fackeln, sie waren auch nicht erforderlich, so beständig war der Blitz.

Crysanias schwarzes Haar wehte um ihre Augen, ihre Roben flatterten um sie. Als sie sich dem Zimmer des Magiers am Ende des Korridors näherte, hörte sie den Regen gegen das Glas der Fenster schlagen. Die Luft war kalt und feucht. Bebend beschleunigte sie ihren Schritt und hielt die Hand erhoben, um an der Tür zu klopfen, als plötzlich ein blauweißer Blitz aufzischte. Der gleichzeitige Knall eines Donners ließ Crysania gegen die Tür prallen. Diese sprang auf, und Crysania lag in Raistlins Armen.

Es war wie in ihrem Traum. Vor Entsetzen fast schluchzend, schmiegte sie sich an die weichen schwarzen Samtroben und wärmte sich an der Hitze seines Körpers. Zuerst war er angespannt, dann spürte sie, wie er sich lockerte. Seine Arme schlossen sich eng um sie, eine Hand griff nach oben, um ihr Haar tröstend zu streicheln.

»Nun, nun«, flüsterte er mit einer Stimme, mit der man zu einem Kind spricht, »fürchte nicht den Sturm, Verehrte Tochter. Frohlocke darüber! Koste die Macht der Götter, Crysania! Auf diese Weise ängstigen sie die Narren. Sie können uns nichts antun.«

Allmählich versiegte Crysanias Schluchzen. Raistlins Worte waren wie das sanfte Gemurmel einer Mutter. Sie sah zu ihm auf. »Wie meinst du das?« stammelte sie, plötzlich verängstigt. Ein Riß war in seinen spiegelgleichen Augen erschienen und erlaubte ihr den Einblick in seine Seele, die hinter ihnen brannte.

Er strich mit zitternden Händen das zerzauste schwarze Haar aus ihrem Gesicht und flüsterte: »Komm mit mir, Crysania! Komm mit mir in eine Zeit, in der wir die Götter herausfordern können, Crysania! Denk darüber nach! Zu herrschen, der Welt diese Kraft zu zeigen!«

Raistlin löste seinen Griff. Er hob die Arme, die schwarzen Roben schimmerten um ihn, als der Blitz aufflammte, der Donner brüllte, und er lachte. Und dann sah Crysania den fiebrigen Glanz in seinen Augen und die hellen farbigen Flecken auf seinen leichenblassen Wangen. Er war mager, viel magerer als bei ihrem letzten Besuch.

»Du bist krank«, stellte sie fest und trat zurück. Ihre Hände griffen zur Türklinke. »Ich hole Hilfe...«

»Nein!« Raistlins Schrei war lauter als der Donner. Seine Augen gewannen ihre Spiegelfläche wieder, sein Gesicht war kalt und entspannt. Er ergriff ihr Handgelenk mit einem schmerzhaften Druck und riß sie in das Zimmer zurück. Die Tür schlug hinter ihr zu. »Ich bin krank«, sagte er ruhig, »aber es gibt keine Hilfe, keine Heilmittel für meine Krankheit, außer diesem Wahnsinn zu entkommen. Meine Pläne sind fast vollendet. Morgen, am Tag der Umwälzung, werden die Götter mit der Lehre beschäftigt sein, die sie diesen erbärmlichen Wichten erteilen. Die Dunkle Königin wird nicht in der Lage sein, mich aufzuhalten, wenn ich mich mit Hilfe meiner Magie in die Zeit der Geschichte befördere, in der sie von der Macht eines wahren Klerikers verwundbar ist!«

»Laß mich gehen!« schrie Crysania. Schmerz und Zorn verdrängten ihre Angst. Wütend riß sie ihren Arm aus seinem Griff. Aber sie dachte immer noch an seine Umarmung, die Berührung seiner Hände... Beschämt drehte sich Crysania um. »Du mußt dein verruchtes Werk ohne mich verrichten«, sagte sie, und ihre Stimme war von Tränen erstickt. »Ich gehe nicht mit dir.«

»Dann wirst du sterben«, erwiderte Raistlin grimmig.

»Du wagst mir zu drohen?« schrie Crysania und wirbelte herum. Der Zorn trocknete ihre Tränen.

»Oh, nicht durch meine Hand«, sagte Raistlin mit einem seltsamen Lächeln. »Du wirst durch die Hände jener sterben, die dich hierhergeschickt haben.«

Crysania war sprachlos. Dann gewann sie schnell ihre Beherrschung wieder. »Ein weiterer Trick?« fragte sie kalt und wich vor ihm zurück.

»Kein Trick, Verehrte Tochter«, erwiderte Raistlin. Er deutete auf ein rotgebundenes Buch, das geöffnet auf seinem Schreibtisch lag. »Sieh selbst. Lang habe ich studiert...« Er ließ seine Hand über die endlosen Bücherreihen an der Wand gleiten. Crysania war verwundert. Beim letzten Mal waren sie noch nicht da gewesen. Er nickte, als er wieder seinen Blick auf sie richtete. »Ja, ich habe sie von weit entfernten Plätzen herbeigeholt. Ich bin weit gereist auf der Suche nach vielen. Dieses fand ich im Turm der Erzmagier in Wayreth, so wie ich es die ganze Zeit vermutete. Komm her, sieh es dir an.«

»Was ist das?« Crysania starrte auf den Band, als ob er eine zusammengerollte Giftschlange wäre.

»Ein Buch, nichts weiter.« Raistlin lächelte erschöpft. »Ich versichere dir, ich werde es nicht in einen Drachen verwandeln, der dich auf mein Kommando davonträgt. Ich wiederhole – es ist ein Buch, eine Enzyklopädie, wenn du so willst. Sie ist uralt, sie wurde im Zeitalter der Träume geschrieben.«

»Warum willst du, daß ich es mir ansehe? Was hat es mit mir zu tun?« fragte Crysania argwöhnisch.

»Es ist eine Enzyklopädie der magischen Geräte, die im Zeitalter der Träume hergestellt wurden«, fuhr Raistlin gleichmütig fort, seine Augen nicht von Crysania abwendend, als ob er sie mit seinem Blick näher zu sich ziehen wollte. »Lies...«