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Aber der Königspriester sprach kein Wort. Er blieb einfach stehen, starrte erwartungsvoll zum Himmel empor, den er durch die Decken seines Tempels und wegen seines eigenen Lichts nicht sehen konnte.

17

Nachdem Caramon einen Plan geschmiedet hatte, schlief er erschöpft ein. Er erwachte mit einem Schreck, als sich Raag über ihn beugte und seine Ketten aufbrach.

»Was ist damit?« fragte Caramon und hob seine gefesselten Handgelenke.

Raag schüttelte den Kopf. Obwohl Arak nicht wirklich glaubte, daß Caramon so dumm sein würde zu versuchen, den Oger unbewaffnet zu überwältigen, hatte der Zwerg in der Nacht zuvor in den Augen des Mannes genügend Wahnsinn gesehen, um kein Risiko einzugehen.

Caramon seufzte. Er hatte tatsächlich die Möglichkeit in Erwägung gezogen, so wie viele andere in der vergangenen Nacht, sie dann aber verworfen. Das Wichtigste war, am Leben zu bleiben – zumindest bis er sichergestellt hatte, daß Raistlin tot war. Danach spielte alles keine Rolle mehr...

Arme Tika... Sie würde warten und warten, bis sie eines Tages mit der Erkenntnis erwachen würde, daß er niemals nach Hause zurückkehrte.

»Beweg dich!« grunzte Raag.

Caramon erhob sich, folgte dem Oger die feuchten Treppen hinauf, die zu den Lagerräumen unter der Arena führten. Er schüttelte den Kopf und verdrängte alle Gedanken an Tika. Sie konnten seinen Entschluß schwächen, und das konnte er sich nicht leisten. Raistlin mußte sterben. Es war, als ob der Blitz in der vergangenen Nacht einen Teil in Caramons Gehirn erleuchtet hätte, der seit Jahren in Dunkelheit gelegen hatte. Endlich hatte Caramon das wahre Ausmaß von seines Bruders Ehrgeiz erkannt, seine Gier nach Macht. Endlich konnte Caramon aufhören, ihn zu entschuldigen. Es ärgerte ihn, aber er mußte zugeben, daß selbst der Dunkelelf Dalamar Raistlin weit besser kannte als er, sein Zwillingsbruder. Liebe hatte ihn geblendet, und sie hatte offensichtlich auch Crysania geblendet. Caramon fiel ein Spruch von Tanis ein: »Ich habe niemals erlebt, daß aus Liebe etwas Böses entsteht.« Er schnaufte verächtlich. Nun, für alles gab es das erste Mal – das war ein Lieblingsspruch von Flint gewesen. Ein erstes Mal... und ein letztes Mal.

Aber wie er seinen Bruder töten sollte, wußte Caramon nicht. Er machte sich keine Sorgen darüber. In seinem Inneren empfand er ein seltsames Gefühl des Friedens. Er dachte mit einer Klarheit, die ihn verblüffte. Er wußte, daß er die Tat ausführen konnte. Raistlin würde dieses Mal nicht in der Lage sein, ihn aufzuhalten. Der Zeitreisezauber würde die ganze Konzentration des Magiers in Anspruch nehmen. Das einzige, was Caramon möglicherweise aufhalten konnte, war der Tod selbst.

Und darum sagte sich Caramon grimmig: »Ich muß leben.«

Er stand ganz still da, ohne einen Muskel zu bewegen oder ein Wort zu sprechen, als Arak und Raag sich abmühten, ihm seine Rüstung anzulegen.

»Mir gefällt das nicht«, brummte der Zwerg mehr als einmal, während sie Caramon ankleideten. Der ruhige Ausdruck des großen Mannes beunruhigte den Zwerg mehr, als wenn er sich wie ein rasender Bulle aufgeführt hätte. Das einzige Mal nahm Arak ein Aufflackern von Leben in Caramons gleichmütigem Gesicht wahr, als er das Kurzschwert an seinen Gürtel schnallte. Der große Mann warf einen Blick darauf. Arak sah ihn bitter lächeln.

»Behalte ihn im Auge«, befahl Arak, und Raag nickte. »Und halte ihn von den anderen fern, bis er in die Arena geht.«

Raag nickte wieder, dann führte er Caramon mit gefesselten Händen zu dem Korridor unter der Arena, wo die anderen warteten. Kiiri und Pheragas sahen kurz zu Caramon hin, als er eintrat. Kiiris Lippen kräuselten sich, und sie wandte sich kühl ab. Caramon begegnete Pheragas’ Blick unerschütterlich, seine Augen bettelten nicht. Damit hatte Pheragas offensichtlich nicht gerechnet. Zuerst schien der schwarze Mann verwirrt zu sein, dann, nach einigen geflüsterten Worten von Kiiri, wandte auch er sich ab. Aber Caramon sah, wie er den Kopf schüttelte.

Aus der Menge erscholl ein Aufbrüllen, und Caramon hob den Blick zu den Tribünen. Es war fast Mittag, die Spiele begannen pünktlich um Mittwacht. Die Sonne strahlte am Himmel, die Menge war zahlreich und guter Laune. Einige einleitende Kämpfe sollten ihren Appetit anheizen und die Spannung erhöhen. Aber die eigentliche Attraktion war der Endkampf, aus dem der Sieger hervorgehen würde: der Sklave, der seine Freiheit gewinnen würde, oder der Rote Minotaurus, der genug Reichtum erlangen würde, um Jahre davon leben zu können.

Arak machte die ersten Kämpfe leicht, sogar komisch. Für diese hatte er einige Gossenzwerge importiert. Er gab ihnen echte Waffen, von denen sie natürlich keine Ahnung hatten, wie sie zu verwenden waren, und schickte sie in die Arena. Die Zuschauer jubelten vor Entzücken, lachten, bis ihnen beim Anblick der Gossenzwerge die Tränen kamen. Die Zwerge stolperten über ihre Schwerter oder drehten sich um und liefen kreischend aus der Arena.

Die Menge spendete Beifall, aber bald begannen viele ungeduldig mit den Füßen zu stampfen und verlangten nach der nächsten Attraktion. Bald schaukelten die Tribünen hin und her, als die Menge klatschte und stampfte und sang.

Und darum spürte niemand in der Menge das erste Beben.

Caramon spürte es, und sein Magen schlingerte, als der Boden unter seinen Füßen zitterte. Ihm war eiskalt vor Angst – nicht vor Angst zu sterben, sondern daß er sterben könnte, ohne seine Aufgabe erledigt zu haben. Er sah beunruhigt zum Himmel hoch, versuchte sich an jede Legende zu erinnern, die er über die Umwälzung gehört hatte. Sie war am frühen Nachmittag erfolgt, glaubte er sich zu erinnern. Aber es hatte Erdbeben, Vulkanausbrüche, entsetzliche Naturkatastrophen jeder Art auf ganz Krynn gegeben, noch bevor das feurige Gebirge die Stadt Istar so tief in den Erdboden schmetterte, daß das Meer sie überfluten und in sich aufnehmen konnte.

Lebhaft sah Caramon die Trümmer dieser verdammten Stadt vor sich, wie er sie gesehen hatte, nachdem ihr Schiff vom Mahlstrom verschluckt worden war, der nun als das Blutmeer von Istar bekannt war. Die Meerelfen hatten sie damals gerettet, aber für diese Leute würde es keine Rettung geben. Seine Seele schauderte vor Entsetzen, und ihm wurde klar, daß er diesen fürchterlichen Anblick die ganze Zeit über verdrängt hatte.

Er hatte niemals wirklich geglaubt, daß das eintreten würde, und er zitterte vor Angst, als der Boden erbebte. Mir bleiben nur noch Stunden, vielleicht nicht einmal so viel, dachte er. Ich muß hier heraus! Ich muß Raistlin erreichen!

Dann beruhigte er sich. Raistlin erwartete ihn. Raistlin brauchte ihn, oder zumindest brauchte er einen geübten Kämpfer. Raistlin würde sicherstellen, daß ihm genügend Zeit blieb – Zeit, um zu gewinnen und zu ihm zu gelangen. Oder Zeit, um zu verlieren und ersetzt zu werden.

Aber er empfand große Erleichterung, als das Beben aufhörte. Dann erhob sich Araks Stimme, die mitten aus der Arena ertönte und den Endkampf ankündigte.

»Einst kämpften sie als Mannschaft, und wie ihr wißt, war es die beste, die wir seit vielen Jahren erlebt haben. Viele Male habt ihr gesehen, wie die Mitglieder ihr Leben riskierten, um ein anderes zu retten. Sie waren wie Brüder« – Caramon zuckte dabei zusammen —, »aber jetzt sind sie erbitterte Feinde. Denn wenn es um Freiheit, um Reichtum geht und darum, dieses größte aller Spiele zu gewinnen, da muß die Liebe in der hintersten Reihe sitzen. Sie geben ihr Bestes, dessen könnt ihr sicher sein. Dies ist ein Kampf um Leben und Tod zwischen Kiiri, der Sirene, Pheragas aus Ergod, Caramon, dem Sieger, und dem Roten Minotaurus. Sie werden diese Arena nicht verlassen, es sei denn, mit ihren Füßen zuerst!«

Die Menge jubelte. Obgleich sie wußte, daß es sich nur um eine Imitation handelte, bildete sie sich gern ein, daß es echt war. Der Jubel wurde lauter, als der Rote Minotaurus auftrat, sein Tiergesicht wie immer geringschätzig. Kiiri und Pheragas warfen ihm einen Blick zu, der dann zu seinem Dreizack wanderte, dann sahen sie sich an. Kiiris Hand schloß sich fest um ihren Dolch.