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»Ich verbiete es dir«, sagte ihr Vater.

»Was verbietest du mir?«, fragte sie scharf, während sie das Desinfektionsmittel suchte.

»Du gehst nicht zur Alten Arena. Dort ist es gefährlich. Und wer weiß, was dieser Lucien im Schilde führt.«

»Er will mir helfen.«

»Behauptet er vielleicht. Aber er ist ein Schattenwesen. Schattenwesen kann man nicht trauen.«

»Ich gehe. Ob es dir passt oder nicht.«

»Nein. Ich erlaube nicht, dass meine Tochter bei so einem Irrsinn mitmacht.«

Vivana knallte das Desinfektionsmittel auf die Anrichte. »Ich soll Liam also im Stich lassen und so tun, als wäre nichts gewesen? Das kann nicht dein Ernst sein!«

»Niemand redet davon, Liam im Stich zu lassen. Aber vielleicht versuchen wir erst einmal herauszufinden, was überhaupt passiert ist, bevor du dich von irgendwelchen Schauermärchen zu Dummheiten verleiten lässt.«

»Ich weiß, was passiert ist. Ich war dabei.« Sie warf das Desinfektionsmittel, ein paar Tablettenpackungen und Verbandsmaterial in den Ranzen.

»Ich sperre dich in dein Zimmer, wenn du nicht gehorchst.«

»Das kannst du ja mal versuchen.«

»Du legst es wirklich darauf an, was? Ich höre mir diesen Unsinn jedenfalls nicht länger an. Du gehst jetzt auf dein Zimmer und bleibst da, bis du zur Vernunft gekommen bist.« Er packte sie mit seiner mechanischen Hand am Arm, doch sie riss sich los.

»Keine Macht der Welt wird mich davon abhalten, zur Alten Arena zu gehen! Und wag es ja nicht, mich noch einmal mit deinen Blechkrallen anzufassen!«

Erschrocken von der Heftigkeit ihrer Wut ließ ihr Vater die Hand sinken. Vivana ging zur Rumpelkammer und wühlte in einer Kiste, bis sie die alte Karbidlampe gefunden hatte. Ihr Ranzen war viel zu klein für all die Sachen, die sie mitnehmen musste. Sie stellte die Lampe auf den Tisch und machte sich an dem Tragekorb zu schaffen, der, begraben unter Gerümpel, im hintersten Eck der Kammer stand. Sie zerrte ihn heraus und schüttete den Inhalt des Ranzens hinein.

»Wann triffst du dich mit Lucien?«, fragte ihr Vater mürrisch.

»Heute Abend. Bei Sonnenuntergang.«

»Ich komme mit.«

»Ich dachte, du hältst das alles für Unfug.«

»Darum geht es nicht. Ich will nicht, dass dir etwas zustößt. In der Alten Arena wimmelt es von Halsabschneidern und Opiumsüchtigen.«

Vivana wünschte einmal mehr, es wäre ihr gelungen, ihre Sachen zu holen und sich unbemerkt davonzustehlen. Ihr Vater würde ihnen nur Schwierigkeiten machen, und sie hatten wahrlich Besseres zu tun, als sich mit ihm herumzuschlagen. Doch sie würde ihn niemals davon abbringen können – sie sah es seinem Gesicht an. Müde rieb sie sich die Augen. »Ich halte das zwar für keine gute Idee, aber wenn du darauf bestehst – bitte. Komm, hilf mir beim Packen.«

Er griff in den Tragekorb und holte eine Dose heraus. »Wofür sind die ganzen Vorräte?«

»Lucien hat gesagt, ich soll Sachen für eine lange Reise einpacken.«

»Was brauchen wir noch?«

»Etwas, mit dem wir uns verteidigen können. Ein scharfes Messer oder so. Im Pandæmonium ist es gefährlich.«

»Zum letzten Maclass="underline" Das Pandæmonium existiert nicht.« »Bitte, Paps«, erwiderte sie erschöpft. »Pack einfach den Korb, in Ordnung?«

»Ich hole meine Pistole«, knurrte er.

»Ich fürchte, sie ist nicht mehr da. Ich habe sie gestern mitgenommen, und sie ist in dem ganzen Chaos verloren gegangen.«

»Na großartig.«

»Ich dachte, wir würden eine Waffe brauchen.«

»Und jetzt liegt sie irgendwo im Palast herum? Ist dir schon einmal in den Sinn gekommen, dass man sie vielleicht zu mir zurückverfolgen kann?«

»Sie liegt nicht herum. Ich glaube, sie ist verbrannt, als Liam von dem Incubus angegriffen wurde.«

»Hoffen wir, dass du Recht hast«, sagte ihr Vater düster. »Wo waren eigentlich Corvas, Umbra und die Spiegelmänner, als die Ghule gekommen sind? Haben sie nicht versucht, sie zu vertreiben?«

»Natürlich. Aber die Ghule konnten trotzdem in den Palast eindringen. Es waren einfach zu viele.«

»Und Liam und du? Habt ihr euch versteckt?«

»Umbra hat uns in den Kuppelsaal gebracht, weil sie dachte, dass wir dort sicher sind...« Vivana biss sich auf die Lippe, als ihr klar wurde, was sie gerade gesagt hatte.

»Umbra?«, wiederholte der Erfinder scharf. »Also hat man euch doch gesehen.«

»Sie hat sich nichts dabei gedacht. Ich habe ihr gesagt, ich hätte Liam besucht. Von der Sache mit dem Buch weiß sie nichts. Wirklich!«

»Und das hat sie dir geglaubt? Umbra, das Misstrauen in Person?«

»Sie hat mir ein paar Fragen gestellt. Aber dann hat sie mich gehen lassen.«

»Was für Fragen?« »Wie ich unbemerkt in den Palast gekommen bin. Und warum ich mich nicht woanders mit Liam getroffen habe. Mehr nicht.«

»Das ist schlecht. Sehr schlecht.« Ihr Vater begann, unruhig durch die Küche zu wandern. »Sie ahnt etwas.«

»Unsinn. Tut sie nicht.«

»Denk doch mal nach! Wenn Lady Sarka merkt, dass das Buch verschwunden ist, fällt der Verdacht sofort auf euch. Umbra muss nur eins und eins zusammenzählen.«

»Lady Sarka wird denken, dass Aziel dahintersteckt. Oder einer seiner Diener.«

Ihr Vater schien sie gar nicht zu hören. »Pack deine Sachen«, befahl er harsch. »Wir müssen sofort weg.«

»Was?«

»Mach schon! Wahrscheinlich tauchen hier jeden Moment Corvas und die Spiegelmänner auf, um uns festzunehmen.«

»Das ist doch lächerlich!«

»Ich glaube, du begreifst nicht, worum es hier geht!«, herrschte der Erfinder sie an. »Jeder, der im Verdacht steht, sich für das Buch zu interessieren, ist in Gefahr. Liams Vater wurde deswegen ermordet!«

Vivana kaute nervös auf ihrer Lippe. So hatte sie ihn noch nie gesehen. Hinter seiner Wut verbarg sich Angst. Entsetzliche Angst. »Was hast du jetzt vor?«

»Tja, wenn ich das wüsste... Zuerst müssen wir uns irgendwo verstecken. Dann versuche ich herauszufinden, ob uns die Geheimpolizei schon auf den Fersen ist.«

»Aber wo...«

»Lass mich nachdenken!«, knurrte er. »Wir gehen ins Labyrinth. Dort kenne ich einen Ort, wo wir sicher sind. Aber ewig können wir da nicht bleiben. Ich befürchte, uns bleibt nichts anderes übrig, als Bradost zu verlassen.«

»Findest du das nicht etwas übertrieben? Was ist mit dem Haus? Und deiner Werkstatt?«

»Das hättest du dir überlegen sollen, bevor du uns beide in Gefahr gebracht hast.«

Jetzt wurde auch Vivana wütend. »In Ordnung. Ich habe vielleicht einen Fehler gemacht. Aber wenigstens habe ich versucht, das Richtige zu tun. Du denkst immer nur an dich und deine Sicherheit. Dass alles den Bach runtergeht, interessiert dich nicht, solange du nur in der Werkstatt sitzen und an deinen albernen Erfindungen basteln kannst!«

»Meine albernen Erfindungen haben dir ein Leben ermöglicht, von dem Hunderttausende in Bradost nur träumen können. Aber wenn dir das lästig ist, habe ich eine gute Nachricht für dich: Mit dem schönen Leben ist es jetzt vorbei. Denn mit deinem Leichtsinn hast du unsere Existenz ruiniert. Ich hoffe, du bist stolz auf dich.«

3

Das Tor

Die Nacht senkte sich allmählich über Bradost herab. Finsternis kroch aus Gassen und Hinterhöfen über den Platz, und die Gaslaternen tauchten die Sandsteinfassaden in trübes Licht. Soldaten mit geschulterten Hakenlanzen verkündeten den Beginn der Ausgangssperre. Nach und nach schlossen Tavernen und Varietés. Menschen mit tief ins Gesicht gezogenen Hüten stiegen in die wartenden Droschken oder eilten verstohlen nach Hause. Nur in der Alten Arena scherte sich niemand um die Ausgangssperre. Aus den Kaschemmen ertönten weiterhin Musik und Gelächter, denn selbst die mutigsten Ordnungshüter wagten sich nicht in die rauchgeschwängerten Tunnel und Gewölbehallen unter dem uralten Gemäuer hinab.