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»Corvas wollte ihn verhaften! Du weißt genau, was sie im Ministerium der Wahrheit mit ihm gemacht hätten.«

Der Rothaarige fingerte nervös an seinem Hut herum. »Ich verstehe ja, dass dich das wütend macht und dass du trauerst und so«, sagte er. »Aber deswegen darfst du nicht denselben Fehler machen.«

»Fehler? Was denn für einen Fehler?«

»Das Gelbe Buch. Du musst es zurückgeben. Dann lässt Lady Sarka vielleicht Gnade walten.«

Liam sog scharf die Luft ein. Nicht zu fassen, dass Jackon all diese Dinge wirklich glaubte, die er da von sich gab. »Deswegen bist du also hier, ja?«, fragte er mit mühsam unterdrückter Wut. »Um das Buch zurückzuholen. Sie hat dich hergeschickt, richtig?«

»Nein! Sie weiß nicht einmal, dass ich hier bin«, beteuerte Jackon. »Du musst mir glauben, Liam. Bitte. Ich will dir doch nur helfen.«

»Indem du mich aufforderst, mich der Gnade deiner Herrin auszuliefern?«

»Ich will nur, dass du vernünftig bist.«

Liams Zorn verschwand und wich einem Gefühl der Ratlosigkeit. Er wusste allmählich nicht mehr, was er noch sagen sollte. Er hatte ein freudiges Wiedersehen erwartet, ein Zusammentreffen alter Freunde – und nun das. »Ich frage mich, was Lady Sarka mit dir gemacht hat, dass du so blind geworden bist.«

»Ich bin nicht blind. Wieso denkst du, ich bin blind?«

»Begreifst du denn nicht, was gerade geschieht? Sie zerstört die Träume. Ihretwegen werden die Leute langsam verrückt, und alles geht den Bach runter. Und du nennst sie eine gute Herrscherin!«

»Das Durcheinander in den Traumlanden wird sich bald legen. Sie muss erst lernen, mit ihrer Macht zurechtzukommen.«

»Gar nichts wird sich legen. Es wird immer schlimmer werden. Weißt du, was Lucien herausgefunden hat? Durch das Chaos in den Träumen brechen die Mauern des Pandæmoniums auf. Bald wimmelt es überall von Dämonen.«

»Was?« Jackon lächelte irritiert. »Erwartest du im Ernst, dass ich das glaube? Dämonen und Träume... das hat doch überhaupt nichts miteinander zu tun.«

»Frag Lucien. Er hat mit Aziel gesprochen. Und der wird es wohl wissen, oder?«

»Er war bei Aziel? Wo ist er?«

»Er ist gestorben. Seine Niederlage hat ihn zu sehr geschwächt.«

»Oh«, murmelte Jackon.

»Das hast du nicht gewollt, was?«

»Ich hatte Angst vor ihm. Ich habe ihn verjagt, damit er mir nichts mehr tun kann.«

Liam unternahm einen letzten Versuch. »Es wird noch mehr passieren, das du nicht gewollt hast. Du musst etwas unternehmen, Jackon. Hör auf, für Lady Sarka zu arbeiten. Sie benutzt dich doch nur. Komm mit mir. Gemeinsam schaffen wir es vielleicht, sie aufzuhalten.«

»Du willst, dass ich mich gegen sie stelle?«

»Ja.«

»Das ist Verrat.«

»Es ist das einzig Richtige.«

Eine Zornesfalte erschien zwischen Jackons Augenbrauen. »Ach ja? Woher willst du das wissen?«

»Weil sie eine Despotin ist. Eine Mörderin. Und weil sie uns alle ins Verderben stürzen wird.«

»Hör auf! Ich lasse nicht zu, dass du so über sie redest.«

»Siehst du. Das meine ich. Du bist völlig verblendet.«

Jackon bekam einen hochroten Kopf. »Dafür bin ich nicht der Sohn eines Verräters und Aufrührers!«, stieß er hervor.

»Lass meinen Vater aus dem Spiel.«

»Du bist doch auch nicht besser. Gib’s doch zu: Wahrscheinlich hast du dir gewünscht, dass die Attentäter sie umgebracht hätten.«

»Das wäre für uns alle das Beste gewesen.«

»Du solltest dich mal hören!«

»Und du erst«, gab Liam zurück.

Jackon setzte zu einer heftigen Erwiderung an, doch der Zorn schien ihm die Stimme abzuschnüren.

Liam begriff, dass er zu weit gegangen war. Er hätte all diese Dinge nicht sagen dürfen. Damit hatte er alles nur noch schlimmer gemacht. »Sieh uns an«, murmelte er. »Da sehen wir uns endlich wieder, und was tun wir? Uns anbrüllen. Wir sind doch Freunde.«

Er hoffte, Jackon damit zu besänftigen, aber der Rothaarige war viel zu wütend und verletzt. »So – sind wir das«, meinte er gedehnt.

»Natürlich.«

»Du verschwindest monatelang, und als du wieder auftauchst, hast du nichts Besseres zu tun, als mich zum Verrat anzustiften. Ein schöner Freund, wirklich.«

»Ich will dich zu nichts anstiften. Ich will doch nur...« Liam unterbrach sich, als er spürte, dass seine Worte gar nicht zu Jackon durchdrangen.

Der Rothaarige setzte mit einer zornigen Bewegung seinen Hut auf. »Tut mir leid, dass ich hergekommen bin. Das war eine dumme Idee. Mach’s gut.«

Er ging.

»Jetzt warte doch«, rief Liam. »Jackon, bitte. Du machst einen Fehler.«

»Lass es mich wissen, wenn du zur Vernunft gekommen bist. Aber warte damit nicht zu lange. Wenn du im Gefängnis sitzt, ist es zu spät.«

Der Rothaarige schob sich durch den Spalt in der Tür und ließ Liam allein im Halbdunkel der Werkhalle zurück.

Niedergeschlagen betrachtete Liam die Fußspuren, die Jackon im Staub und Rost hinterlassen hatte. Er hatte gewusst, dass es nicht leicht werden würde, seinen alten Freund davon zu überzeugen, sich ihnen anzuschließen – Jackon war noch jung und beeinflussbar, und Lady Sarka hatte sich große Mühe gegeben, ihn gefügig zu machen. Doch damit hatte er nicht gerechnet. Jackon schien seine Herrin regelrecht zu vergöttern, war blind und taub für das Unheil, das sie anrichtete, und weigerte sich strikt, seinen Anteil daran zu sehen.

Liam hätte nie gedacht, dass ihre Freundschaft einmal so enden würde.

Er zog seine Kapuze über und verließ die Gießerei. Draußen nieselte es.

»Lucien?«, flüsterte er in der Seitengasse.

»Ich bin hier«, sagte der Alb. Wenn Liam sich anstrengte, konnte er die schemenhaften Umrisse einer Gestalt erkennen.

»Jackon hat dich doch nicht gesehen, oder?«

»Keine Angst. Ich habe mich versteckt, als er rauskam.«

Sie gingen zum Sammelbecken zurück.

»Er will uns nicht helfen«, sagte Liam.

»Ich weiß. Ich habe es gehört.«

»Warum, Lucien? Wie kann es sein, dass jemand so blind ist?«

»Lady Sarka hat gute Arbeit geleistet, schätze ich.«

»Und jetzt?«, fragte Liam ratlos.

»Lass uns zu den anderen zurückgehen, dann sehen wir weiter.«

Er achtete darauf, dass niemand ihn beobachtete oder ihm folgte, als er in das Sammelbecken hinabstieg. Eine halbe Stunde später erreichten sie das Tor von Godfreys Versteck. Godfrey musste sie mithilfe seiner Apparaturen gesehen haben, denn das Portal öffnete sich, ohne dass sie angeklopft hatten.

Wenig später hatte Liam seinen Gefährten erzählt, was geschehen war. Bedrücktes Schweigen schloss sich an.

»Das war sie also, unsere letzte Chance«, meinte Quindal mürrisch.

»Sei nicht so pessimistisch«, erwiderte Vivana. »Es muss doch etwas geben, das wir tun können.«

»Ich fürchte, diesmal hat dein Vater Recht«, sagte Livia. »Ohne Jackon haben wir keine Möglichkeit, die Träume vor Lady Sarka zu retten. Es sei denn, du traust dir zu, sie herauszufordern«, wandte sie sich an Lucien.

»Ich kann die Traumlanden zwar betreten, aber seit meiner Verbannung sind meine Fähigkeiten dort begrenzt«, entgegnete der Alb. »Sie ist zu stark für mich.«

»Obwohl sie ihre Kräfte nicht richtig nutzen kann?«, fragte Liam.

»Selbst eine schwache Herrscherin der Träume ist ein machtvoller Gegner. Und ich bin inzwischen mehr Mensch als Alb, fürchte ich.«

»Könntest du es mit Jackon aufnehmen?«, wollte Quindal wissen. »Nur für den Fall, dass er seine Kräfte benutzt, um uns zu schaden«, fügte er hinzu, als Liam ihn erschrocken anblickte.

»Das wird er nicht tun«, sagte Liam.

»Bist du dir da so sicher? Er hat doch jetzt gezeigt, auf wessen Seite er steht.«