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In diesem Moment zerriss eine Explosion die Luft. Ein Feuerblitz schoss in die Halle, gefolgt von einer Woge aus Staub und heißem Rauch, aus dem Metalltrümmer geflogen kamen: tödliche Geschosse, die wie Schrapnelle durch die Luft schwirrten und gegen die Maschinen prallten. Liam befand sich gut zwanzig Schritt vom Tor entfernt, doch die Druckwelle war so stark, dass sie ihn zu Boden warf. Mit klingelnden Ohren rappelte er sich auf, griff nach seinem Messer und versuchte, in all dem Rauch etwas zu erkennen.

Gestalten erschienen in den Schwaden. Erst zwei, dann vier, dann ein ganzes Dutzend. Spiegelmänner mit schwarzen Kutten, glitzernden Masken, bandagierten Händen. Stumm schwärmten sie in die Halle, ihre Rabenschnäbel zum Schlag erhoben.

Godfreys Blitzwerfer zischte, und ein verästelter Strahl knisternden Lichts traf die ersten beiden Eindringlinge, verbrannte sie zu Asche. Das war für Liams Gefährten das Signal zum Angriff. Unter wütendem Gebrüll feuerten sie mit Pistolen und Handarmbrüsten auf die Spiegelmänner, schleuderten Äxte und Wurfmesser. Mehrere Maskenträger wurden getroffen, fielen jedoch nicht. Sie waren viel zäher als gewöhnliche Menschen, und sogar schwere Verletzungen reichten mitunter nicht, sie zur Strecke zu bringen. Allerdings machte sich Verwirrung unter ihnen breit. Außer Godfrey konnten sie keinen ihrer Gegner sehen, weshalb sie ziellos in den Raum stürmten und Lucien und die Manusch selbst dann nicht wahrnahmen, wenn diese sich genau vor ihnen befanden.

Liam beobachtete all dies aus sicherer Entfernung, denn das Gefecht fand in der unmittelbaren Umgebung des Tores statt. Er fragte sich, warum seine Freunde weiterkämpften, statt die Verwirrung der Spiegelmänner auszunutzen und zu fliehen. Als sich der Rauch lichtete, fand er die Antwort: Corvas stand in den Trümmern des zerstörten Portals, flankiert von zwei Spiegelmännern. Wer die Halle verlassen wollte, musste an ihm vorbei.

Eine Bewegung zu seiner Linken erregte seine Aufmerksamkeit. Zwei Maskierte hatten sich zur Eisentreppe vorgekämpft und begannen, die Stufen zu erklimmen. Einer von ihnen war von einer Kugel getroffen worden, die seine halbe Maske und einen Teil seines konturlosen Gesichts weggerissen hatte – was das Geschöpf jedoch nicht im Mindesten beeinträchtigte. Hektisch lud Godfrey seinen Blitzwerfer nach, indem er mit einer Rauchglasröhre hantierte. Als ihm klar wurde, dass er nicht rechtzeitig damit fertig werden würde, ließ er von der Waffe ab – und verwandelte sich in Aether. Sein Körper löste sich auf, und seine Kleider sanken zu Boden. Die beiden Spiegelmänner fanden auf der Plattform nur noch goldenen Dunst vor, der zu einer Öffnung in der Hallendecke hinaufwaberte.

Liam wandte sich wieder dem Portal zu, wo Corvas inzwischen hinter dem verbliebenen Torflügel, der verbogen in den Angeln hing, vor dem tödlichen Hagel aus Pistolenkugeln und Armbrustbolzen Schutz gesucht hatte. Liams schweißnasse Finger schlossen sich fester um den Messergriff. Wenn Corvas starb, konnte er mit seinen Gefährten fliehen. Aber brachte er den Mut auf, ihn zu töten? An Hass mangelte es ihm nicht – Corvas hatte seinen Vater ermordet, hatte sein Leben zerstört. Doch Hass allein genügte nicht. Liam hatte schon einmal die Gelegenheit gehabt, ihn zu töten, und sie nicht genutzt. Die Entschlossenheit hatte ihm gefehlt, die Kaltblütigkeit.

Aber damals war er ein anderer gewesen. Viel war seitdem geschehen, das Grauen des Pandæmoniums hatte ihn härter gemacht. Liam biss die Zähne zusammen und hastete mit dem Messer in der Hand durch die Halle, wich Spiegelmännern aus, huschte von Deckung zu Deckung Richtung Tor.

Ein ohrenbetäubendes Kreischen übertönte das Kampfgetöse, und plötzlich war die Luft von schwarzen Schemen erfüllt, von schlagenden Flügeln und scharfen Krallen. Krähen. Ein ganzer Schwarm, der in die Halle rauschte. Liam warf sich zu Boden und verbarg seinen Kopf in den Armen, als die Vögel über ihn hinwegflogen.

Sein Herz pochte bis zum Hals. Jeden Moment rechnete er damit, dass sich die Krähen scharenweise auf ihn stürzten und mit ihren Schnäbeln auf ihn einhackten. Doch sie hatten es offenbar nicht auf ihn abgesehen. Als das Kreischen leiser wurde, wagte er es, den Kopf zu heben. Die Rabenvögel umflatterten Madalin, der mit einer Axt nach ihnen schlug und vergeblich versuchte, sich ihrer Angriffe zu erwehren. Die Wunden, die sie ihm zufügten, schlossen sich zwar dank des javva sofort wieder, doch dafür klafften gleichzeitig woanders neue auf.

Eine der Krähen verwandelte sich in Corvas – genau hinter Jovan, der Madalin zu Hilfe kommen wollte. »Pass auf!«, rief Liam, doch in all dem Lärm hörte der Manusch seine Warnung nicht. Corvas zückte sein Messer und hieb es Jovan mit dem Knauf in den Nacken. Ohne das javva hätte ihn der Hieb gewiss niedergestreckt; so stöhnte er nur vor Schmerz auf, wirbelte herum und parierte Corvas’ nächsten Angriff mit dem Schaft seiner Axt.

Nun, da der Schwarzgekleidete in den Kampf eingegriffen hatte, war der Weg nach draußen frei. Liam überlegte, ob er die Gelegenheit nutzen und mit einigen seiner Gefährten fliehen sollte. Lucien und Sandor kämpften ganz in seiner Nähe – er konnte sie leicht auf das unbewachte Tor aufmerksam machen und gemeinsam mit ihnen um sein Leben laufen. Aber dann würden sie die anderen im Stich lassen. Nein, er musste bleiben. Nur wenn es ihm gelang, Corvas zu töten, hatten sie alle eine Chance zu entkommen.

Jovan erwehrte sich verzweifelt seiner Haut und blutete bereits aus mehreren Verletzungen. Er war Corvas nicht gewachsen und verdankte es allein dem javva, dass dieser ihn nicht längst niedergestochen hatte. Liam sah ein, dass es zwecklos war, sich auf einen Nahkampf mit dem Schwarzgekleideten einzulassen. Er brauchte eine bessere Waffe.

Der Blitzwerfer!

Wenn es ihm gelang, unbemerkt zur Plattform hinaufzusteigen, konnte er die Waffe nachladen und Corvas aus sicherer Entfernung vernichten – und seine Krähen gleich mit. Er musste nur dafür sorgen, dass die beiden Maskierten, die immer noch dort oben standen und nach Godfrey suchten, nicht auf ihn aufmerksam wurden.

Er rannte los, mitten durch die Schar der orientierungslosen Spiegelmänner, die längst begriffen hatten, dass sie sich auf ihr Sehvermögen nicht verlassen konnten. Immer wenn ein Geräusch ihre Aufmerksamkeit erregte, wirbelten sie herum und hieben in die Luft, in der Hoffnung, einen unsichtbaren Gegner zu treffen. Als Liam einmal zu laut auftrat, bemerkte es ein Maskierter und schlug mit seinem Rabenschnabel zu, und er entging der tödlichen Waffe nur, weil er im letzten Moment den Kopf einzog.

Er erreichte die Stahltreppe, duckte sich schwer atmend hinter einer Maschine und überlegte, wie er die beiden Spiegelmänner von der Plattform weglocken konnte. In diesem Moment stürzte neben ihm ein Maskierter zu Boden. Lucien landete mit einem Sprung auf dem Rücken des Geschöpfs und stach so oft mit seinem Messer zu, bis es sich nicht mehr regte. Schließlich zerfiel es zu Staub, und die Kutte erschlaffte.

»Kannst du die Spiegelmänner da oben ablenken?«, fragte Liam.

»Was hast du vor?«

»Ich brauche den Blitzwerfer.«

Lucien richtete sich auf, zog ein Wurfmesser und schleuderte es. Die Klinge traf den Spiegelmann mit dem zerstörten Gesicht, bohrte sich in seine Schulter. Das Wesen und sein Kumpan fielen darauf herein und eilten die Treppe hinab.

»Beeil dich«, sagte der Alb. »Wir sollten zusehen, dass wir hier rauskommen.«

Liam bereitete sich darauf vor, an den Geschöpfen vorbeizuhuschen, sowie diese das Ende der Treppe erreichten. Plötzlich ertönte ein Krachen. Die Tür zu Godfreys Fluchttunnel flog auf, und weitere Spiegelmänner strömten in die Halle. Bei ihnen waren Umbra und Amander, beide mit Pistolen bewaffnet.

Liam schluckte. Nun war Corvas nicht mehr der Einzige, der sie sehen konnte. Das machte eine Flucht deutlich schwieriger. Unwillkürlich zog er den Kopf ein, als die Maskierten, die von der Plattform kamen, stehen blieben und in seine Richtung blickten. Er wartete, bis sie sich ein paar Schritte von der Treppe entfernt hatten, und lief los, presste die Tasche mit dem Buch an sich und eilte die Stufen hinauf.