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Livia saß auf dem Bett, drückte ihre Kinder an sich und sang ihnen ein Lied.

Die Tür der Schlafkammer war nicht dick genug, um die schrecklichen Geräusche des Kampfes vollständig auszusperren, die Schüsse und das Klirren von Stahl. Livia zuckte jedes Mal zusammen, wenn ein gedämpfter Schrei erklang, und strich Dijana, die wieder angefangen hatte zu weinen, über das Haar.

Sie war es nicht gewohnt, von Madalin in der Stunde der Gefahr getrennt zu sein. Fast ihr halbes Leben war sie nun mit ihm verheiratet, und stets hatten sie alle Entscheidungen gemeinsam getroffen, große und kleine, bedeutende und unwichtige. Wenn einer nicht weiterwusste, kannte der andere die Lösung, welches Hindernis, welche Bedrohung auch vor ihnen lag.

Und nun saß sie hier allein, konnte nichts tun, als für ihn zu beten. Das javva mochte Madalin vor Pistolenkugeln und Messerklingen schützen – doch es war machtlos gegen die alten und geheimnisvollen Kräfte der Diener Lady Sarkas. Bitte pass auf dich auf, dachte sie und hoffte, dass ihre Kinder nicht spürten, wie groß ihre Verzweiflung war. Sie musste stark sein, musste ihnen das Gefühl geben, dass sie sicher waren.

Sie sang ihr Lied und lauschte Arpad, der leise mitsang. Sie hatte es ihm schon so oft vorgesungen, abends vor dem Einschlafen, dass er jede Silbe auswendig kannte. Noch einmal, sagte er immer. Sing es noch einmal.

Es war jemand vor der Tür – sie spürte es mehr, als dass sie es hörte.

Leise stand sie auf.

»Warum singst du nicht weiter?«, fragte Dijana.

»Unter das Bett mit euch, schnell.«

Die Kinder gehorchten, krochen flink unter das eiserne Gestell. Livia griff nach ihrem Messer.

Lass es Madalin sein. Bitte lass es Madalin sein.

Die Tür öffnete sich.

Herein kam Amander.

Ihr Mund wurde trocken. Von allen Dienern Lady Sarkas war er der schlimmste. Die Berührung seiner Hände brachte den Tod, und es hieß, dass er es genoss, Leben auszulöschen.

Er trug eine Pistole. Ein dünnes Lächeln umspielte seine Lippen, als er erst Livia anblickte und dann die Kinder unter dem Bett entdeckte.

»Verschwinde«, sagte sie. »Lass uns in Ruhe.«

»Gib mir deine Kinder«, befahl er. »Nein.«

Er hob die Pistole und schoss. Die Wucht des Treffers riss Livia herum, sie prallte gegen das Bettgestell und ließ das Messer fallen. Ihre Hand grub sich in die Decke, als sie sich festhalten wollte, dann gaben ihre Beine nach. Blut tränkte ihr Kleid. Sie wusste nicht genau, wo es herkam, denn sie spürte keinen Schmerz. Ihr ganzer Körper schien mit einem Mal taub zu sein. Es wurde immer mehr, quoll zwischen ihren Fingern hervor, die sie auf den Bauch presste, troff auf die Steinplatten.

»Närrin«, sagte Amander.

Ihre Kinder schrien, als er sie unter dem Bett hervorzog.

Nicht, flüsterte sie stumm. Sie wollte die Hand heben, wollte Tamas berühren, wollte verhindern, was gerade geschah, doch sie war bereits zu schwach.

Liam lag auf dem Bauch, streckte sich und versuchte fluchend, die Rauchglasröhre mit den Fingerspitzen zu erreichen. Pures Glück hatte verhindert, dass die Röhre zu Bruch gegangen war, als Godfrey sie mitsamt dem Blitzwerfer fallen gelassen hatte. Leider war das verdammte Ding dabei unter eine der Apparaturen gerollt.

»Jetzt komm schon!«, murmelte er – und bekam die Röhre endlich zu fassen. Der gefangene Blitz darin begann wie wild zu knistern, als er sie unter dem Blechkasten hervorzog. Dabei richtete er sich eine Spur zu hastig auf und stieß sich den Kopf an einem vorstehenden Messingteil. Sterne zerplatzten vor seinen Augen. Den Schmerz ignorierend robbte er auf den Knien zum Blitzwerfer, der neben der Treppe lag.

Die Waffe war von einer ähnlichen Bauweise wie jene, die sein Vater besessen hatte, sodass er ungefähr wusste, was er tun musste, um sie zu laden. Aber eben nur ungefähr – leider war er nie dazu gekommen, sich den Blitzwerfer seines Vaters genauer anzuschauen. Hier schob man wohl die Glasröhre ein. Anschließend klappte man vermutlich diese Verriegelung ein und legte diesen Hebel um. Liam konnte nur hoffen, dass er alles richtig machte. Falls nicht, konnte es passieren, dass der Blitz nicht seine Feinde traf, sondern ihn.

Während er mit der Waffe hantierte, registrierte er beiläufig, dass der Kampflärm leiser wurde. Mit dem geladenen Blitzwerfer in den Händen spähte er nach unten. Die Krähen hatten von Madalin abgelassen und saßen scharenweise auf Maschinen und Mauervorsprüngen. Jovan und Corvas hatten aufgehört, gegeneinander zu kämpfen; auch Sandor und Quindal ließen die Waffen sinken.

Aus dem Aufenthaltsraum kam Amander. Er stieß die Kinder vor sich her. Die drei waren blass vor Entsetzen und blickten sich immer wieder zu dem Durchgang um, der zu den Schlafquartieren führte.

Amander hatte seinen rechten Handschuh ausgezogen und hielt die Hand so, dass jeder sie sehen konnte.

»Gebt auf, oder die Kinder sterben«, rief er.

Liam stockte der Atem. Er wusste, was Amander mit einer bloßen Berührung anrichten konnte – beim Kampf gegen Aziel hatte er damit eine der Vílen getötet. Die Kinder jedoch hatten javva eingenommen. Konnte Amanders Gift ihnen überhaupt etwas anhaben?

Dieselbe Frage schienen sich auch seine Gefährten zu stellen. Doch niemand wollte ein Risiko eingehen, und so rührten sich die Männer nicht von der Stelle.

Abgesehen von Madalin. Der Manusch sah schrecklich aus: Seine Kleider waren zerfetzt und blutgetränkt, wenngleich die Wunden, die ihm die Krähen geschlagen hatten, dank des javva bereits verheilt waren. Mit der Axt in der Hand ging er langsam auf Amander zu. Sein Gang war unsicher, sein Gesicht aschfahl. »Wo ist Livia?«, rief er. »Was hast du mit ihr gemacht?«

»Keinen Schritt weiter«, sagte Amander und bewegte seine entblößte Hand gefährlich nah zu Dijanas Gesicht.

Madalin blieb stehen, ließ die Axt sinken.

»Gut. Und jetzt weg mit den Waffen.«

Zögernd gehorchten die Gefährten. Es klirrte, als Messer, Beile und Säbel zu Boden fielen.

Nein, dachte Liam. Sie konnten doch nicht einfach aufgeben. Wenn sie sich jetzt geschlagen gaben, waren sie verloren. Er musste etwas unternehmen, musste verhindern, dass es so weit kam. Ein wahnwitziger Plan kam ihm in den Sinn: Wenn es ihm gelang, Amander mit dem Blitzwerfer zu töten, wären die Kinder gerettet, und sie konnten weiterkämpfen.

Nein, unmöglich. Der Blitzwerfer war als Waffe viel zu unpräzise. Die Gefahr, dass er die Kinder verletzte, war zu groß. Mit zitternden Händen setzte er das Gerät auf dem Geländer ab.

Er hörte ein Geräusch hinter sich und wandte sich um. Umbra trat aus dem Schatten eines Pfeilers.

»Es ist aus, Junge«, sagte sie. »Also sei kein Narr und gib mir das Ding.«

Liam legte den Blitzwerfer auf den Boden.

Umbra packte ihn am Arm und führte ihn die Treppe hinunter.

Lucien verbarg sich hinter einer Maschine und beobachtete, wie Quindal und die Manusch ihre Waffen niederlegten. Er hatte sich vor ein paar Minuten hier versteckt, um sich hinterrücks an Corvas heranzupirschen, sodass er dem Geschehen unbemerkt zusehen konnte. Vermutlich dauerte es nicht lange, bis sich Corvas oder Umbra auf die Suche nach ihm machten, aber eine Minute hatte er sicher noch.

Er musste eine Entscheidung treffen. Der Kampf war zu Ende. Das war ihm in dem Moment klar geworden, als er Amander mit den Kindern gesehen hatte. Er stand nun vor der Wahl, sich ebenfalls zu ergeben und seinen menschlichen Freunden ins Gefängnis zu folgen – oder das nicht zu tun.