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»Schnell!«, rief er. »Noch ein kleines Stück und du hast es geschafft!«

Mike mobilisierte seine letzten Kräfte. Trotzdem musste Sarn nach unten greifen und ihm auf dem letzten Stück helfen.

Schwer atmend und so erschöpft, dass ihm vor Schwäche fast übel wurde, fand sich Mike schließlich in einem schmalen, schräg in den Fels hineinführenden Höhleneingang wieder. Das Licht reichte nur einige Schritte weit; danach herrschte absolute Finsternis. Aber Mike spürte, dass der Stollen noch sehr tief in den Felsen hineinreichen musste.

»Was ist –«, begann er, nachdem er wieder halbwegs zu Atem gekommen war, aber Sarn unterbrach ihn mit einer hastigen Bewegung.

»Keinen Laut!«, zischte er. »Und keine schnellen Bewegungen. Wenn sie uns entdecken, ist es aus.«

Sie? dachte Mike erschrocken. Wovon sprach Sarn? Vorsichtig drehte er sich herum und blickte angestrengt in die Dunkelheit der Höhle hinein. Sie war nicht so total, wie er im ersten Augenblick angenommen hatte. An den Wänden gab es unterschiedlich große Flächen grüner Leuchtalgen. Wenn sich ihre Augen erst einmal umgestellt hatten, würden sie wahrscheinlich wenigstens genug sehen können, um nicht über ihre eigenen Füße zu stolpern. Irgendetwas bewegte sich in diesem grünen Zwielicht. Mike konnte nicht genau erkennen, was, aber in Verbindung mit Sarns Worten machte es ihm Angst. Als er einige Augenblicke gelauscht hatte, hörte er ein unheimliches Kratzen und Schaben.

Sarn warf einen Blick nach draußen, nickte dann zufrieden und richtete sich sehr behutsam auf. Ebenso langsam griff er unter seinen Mantel und zog einen ledernen Beutel hervor. Mike sah verwirrt zu, wie er mit der Hand hineingriff und eine graue, unappetitlich riechende und nicht besonders hübsch aussehende Paste herausnahm, mit der er sich sorgfältig Gesicht, Arme und Oberschenkel einrieb. Als er fertig war, gab er den Beutel an Mike weiter.

»Hier! Reib dich damit ein. Aber gründlich.«

Mike warf einen missmutigen Blick in den Beutel. »Es stinkt«, sagte er.

Sarn nickte. »Was meinst du, wieduerst stinkst, wenn du ein paar Tage tot bist«, sagte er. »Nun mach schon.«

Was blieb Mike schon anderes übrig als Sarn zu gehorchen? Angeekelt griff er in den Beutel, nahm eine Hand voll der stinkenden Masse heraus und rieb sich gründlich jedes bisschen sichtbare Haut damit ein. Als er fertig war, stank er wie ein toter Fisch. Ein schon ziemlich lange toter Fisch.

Sarn verstaute seinen Beutel sorgsam wieder, hielt sich mit der linken Hand am Felsen fest und beugte sich wieder vor, um nach den Verfolgern zu sehen. Dann tat er etwas, was Mike einfach nicht verstand.

»Heda!«, brüllte Sarn, so laut er konnte. »Kommt ruhig her, wenn ihr euch traut! Wir werden euch entsprechend empfangen!«

Jetzt zweifelte Mike wirklich an seinem Verstand. Nicht nur, dass Sarn ihm gerade selbst eingeschärft hatte, nur ja leise zu sein – Mikes Meinung nach hatten ihre Chancen gar nicht so schlecht gestanden, dass die Verfolger die schmale Felsplatte einfach übersahen. Er selbst jedenfalls hätte sie nicht einmal bemerkt, wäre Sarn nicht praktisch vor seiner Nase darin verschwunden. Jetzt gab es diese Möglichkeit natürlich nicht mehr.

Sarn machte jedoch durchaus den Eindruck, als wisse er, was

er tat. Mit einem zufriedenen Ausdruck im Gesicht drehte er sich

zu Mike herum.

»Jetzt werden sie uns finden!«, sagte Mike.

»Na, das will ich doch hoffen«, antwortete Sarn. Er deutete in die grüne Dämmerung hinter Mike. »Folge mir. Beweg dich ganz langsam und gib keinen Laut von dir, ganz egal, was passiert!«

Er ging los, mit kleinen, sehr vorsichtigen Schritten, und Mike folgte ihm auf dieselbe Weise. Sein Herz klopfte. Er glaubte jetzt immer deutlicher eine huschende, unheimliche Bewegung vor sich wahrzunehmen, konnte aber immer noch nicht genau erkennen, worum es sich handelte.

Als er es dann endlich sah, war er überrascht, aber nicht wirklich erschrocken.

In dem grünen Dämmerlicht tauchte ein sonderbares Geschöpf auf. Es war nicht einmal so groß wie seine Hand und ähnelte einer Krabbe, besaß aber acht Beine anstelle von sechs und zwei unterschiedlich große Scheren. Die eine war winzig und sah fast so aus wie eine zweifingerige Hand, die andere dafür umso größer, eine für ein so kleines Geschöpf mächtige Waffe, der Mike es durchaus zutraute, einem Menschen einen Finger abzuknipsen. Das Tier hatte einen grünbraunen, ziemlich massiv aussehenden Panzer und bewegte sich seitwärts, statt geradeaus zu gehen. Es sah sonderbar aus, aber nicht sehr bedrohlich.

Sarn schien das anders zu sehen, denn er erstarrte regelrecht zur Salzsäule. Das Tier hielt eine Handbreit vor seinen Füßen an, bewegte unsicher die größere Schere und musterte Sarn dabei aus seinen grotesken, auf langen Stielen sitzenden Augen. Nach einigen Sekunden trippelte es wieder seitwärts davon und verschwand in der Dunkelheit, aus der es gekommen war.

Als Mike ihm mit Blicken folgte, stockte ihm fast der Atem. Und plötzlich verstand er nur zu gut, warum Sarn sich so verhielt.

Die Wände waren schwarz von kleinen Krabbentieren.

Es mussten nicht Hunderte, sondern im wahrsten Sinne des Wortesunzähligesein. Sie krabbelten einzeln über den Boden, hingen in großen Trauben an den Wänden, krochen übereinander her und flitzten manchmal sogar an der Decke entlang. Nicht allen gelang es. Eines der Tiere verlor den Halt und fiel nur ein kleines Stück vor Sarns Füßen herab, richtete sich aber sofort wieder auf und verschwand. Sein Panzer schien äußerst stabil zu sein.

Die Zahl der Tiere nahm noch zu, je weiter sie in die Höhle eindrangen. Die Wände waren jetzt total von grünen Leuchtalgen bedeckt; trotzdem bewegten sie sich eine Zeit lang durch fast völlige Dunkelheit, weil die Masse der Krabbentiere das Licht einfach verschluckte. Und mit jedem Schritt, den sie taten, hatte Mike mehr das Gefühl, aus unheimlichen Augen angestarrt zu werden.

Sarn blieb immer wieder stehen, wenn eines der Tiere seinen Weg kreuzte oder ihm nahe kam.

Auf diese Weise brauchten sie eine geraume Weile, bis sie das Ende des Stollens erreicht hatten. Der Fels bildete hier eine regelrechte Treppe aus unterschiedlich hohen asymmetrischen Stufen, auf denen die Zahl der Krabbentiere abnahm. In dem dahinter liegenden Teil der Höhle herrschte wieder helleres Licht. Dort bedeckten keine Krabben die Wände.

Er zitterte am ganzen Leib, als sie das obere Ende des Absatzes erreicht hatten. Er wollte weitergehen, aber Sarn schüttelte den Kopf und ließ sich unmittelbar an der Kante niedersinken.

»Warte«, flüsterte er schwer atmend. »Nur einen Moment.«

Mike war davon nicht begeistert. Sie waren aus dem Tunnel der Krabben heraus, aber er hatte ja selbst gesehen, wie schnell sich die kleinen Geschöpfe bewegen konnten. Die Treppe würde sie nur Sekunden aufhalten.

Sie mussten sich nicht allzu lange gedulden. Das Ende des Tunnels, durch das sie selbst hereingekommen waren, war als münzgroßer Lichtfleck in der Entfernung zu sehen. Nach kaum fünf Minuten tauchte der Umriss des ersten Verfolgers darin auf, dann der zweite, dritte, vierte. Mike konnte sehen, dass sich die Männer aufrichteten und umsahen.

»Wir sollten sie warnen«, flüsterte Mike.

Sarn nickte. »Ganz wie du meinst.« Dann richtete er sich auf, bildete mit den Händen einen Trichter vor dem Mund und schrie, so laut er konnte: »He! Geht nicht weiter! Es ist euer sicheres Verderben!«

Mike keuchte. Sarns Worte schallten als vielfach gebrochenes Echo von den Wänden zurück und sie lösten auch ein sichtbares Echo unter den Krabben aus. Die Tiere bewegten sich unruhig. Ein zischelndes Rasseln erklang; wie Millionen Kieselsteine, die übereinander rollten.