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»Ein Hinterhalt!«, keuchte der Hauptmann. Er zog sein Schwert.

»Ganz recht«, sagte Sarn ruhig. »Und ich an deiner Stelle würde die Waffe wieder einstecken. Oder möchtest du unbedingt sterben?« Er lachte. »Ich kann dir allerdings versprechen, dass es sehr schnell und schmerzlos sein wird.«

Der Hauptmann presste die Lippen aufeinander. Sein Blick irrte nervös über die Gestalten, die die Straße vor ihnen versperrten. Offensichtlich wog er seine Chancen ab.

»Versuch es erst gar nicht«, sagte Mike. »Sie werden euch nichts tun, wenn ihr uns gehen lasst.«

»Wer sagt das?«, fragte Sarn.

»Ich!« Mike sah ihn herausfordernd an. Ein bisschen komisch kam er sich schon dabei vor, sich plötzlich für die Männer einzusetzen, die ihm vermutlich noch vor zehn Minuten kaltblütig die Kehle durchgeschnitten hätten. Trotzdem fuhr er fort: »Niemand hat etwas von ihrem Tod. Wenn das da deine Freunde sind, dann haben sie ihr Ziel erreicht, wenn wir frei sind. Es ist nicht nötig, hier ein Gemetzel anzurichten.«

Nicht nur Sarn sah ihn überrascht an. Vor allen sein früherer Kommandant sah regelrecht fassungslos drein und auch die meisten Widerstandskämpfer – denn um nichts anderes konnte es sich bei den Männern handeln, die so plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht waren – wirkten verwirrt. Aber schließlich sagte Sarn: »Ihr habt den Jungen gehört. Entwaffnet sie – und bindet sie gut. Wir brauchen Zeit, um zu verschwinden.«

Während er sprach, hatte einer der Männer bereits seine Handfesseln gelöst. Drei weitere waren dabei, die Krieger zu entwaffnen und ihre Hände auf dem Rücken zu fesseln. Die Krieger leisteten keinen Widerstand, aber der Hauptmann sah Mike unverwandt und noch immer fassungslos an.

Nachdem die Männer gebunden worden waren, führte man sie in eines der Häuser. Sarn zeigte auf ein Haus auf der anderen Straßenseite: »Dort hinein. Und schnell. Sie werden sehr bald merken, dass wir verschwunden sind, und dann schickt Argos wahrscheinlich seine gesamte Armee hierher.«

Mike setzte sich in Bewegung. Die Tür, auf die er zuging, wurde von innen geöffnet und eine Hand griff heraus und zerrte Mike in das Haus. Sarn und zwei der anderen so plötzlich aufgetauchten Männer folgten ihm, aber noch bevor sich seine Augen an das trübe Licht gewöhnen konnten, wurde die Tür wieder zugeschlagen und er fand sich in nunmehr vollkommener Dunkelheit wieder.

»Was ist das hier?«, fragte Mike.

»Still!«, zischte Sarns Stimme aus der Dunkelheit. Offenbar an einen anderen gewandt, fuhr der abtrünnige Krieger fort: »Schnell jetzt! Jemand hat bestimmt die Palastwache alarmiert! Sie werden jeden Moment hier sein!«

Mike konnte hören, wie Möbel gerückt wurden, dann knarrte etwas und plötzlich erfüllte roter Fackelschein den Raum. Es reichte nicht aus, um viele Einzelheiten zu erkennen, aber immerhin konnte Mike sehen, dass sich im Boden eine Klappe geöffnet hatte, unter der hölzerne Stufen steil in die Tiefe führten. Der Fackelschein kam von dort unten.

Ohne dass es einer weiteren Aufforderung bedurft hätte, folgte er Sarn und den beiden anderen Männern in die Tiefe. Kaum hatten sie die Treppe betreten, da fiel die Klappe über ihnen zu und sie fanden sich erneut in einem schier endlosen, unterirdischen Labyrinth wieder. Gang folgte auf Gang, sie liefen über Treppen, Geröllhalden oder auch von der Hand der Natur geformte Rampen und Mike war sicher, dass er schon nach wenigen Schritten hoffnungslos die Orientierung verloren hätte. Sarn jedoch bewegte sich mit nahezu traumwandlerischer Sicherheit vorwärts.

Schließlich wurde es auch vor ihnen hell und nach einigen weiteren Augenblicken betraten sie eine große, von einem guten Dutzend Fackeln erhellte Höhle, in der sich zahlreiche Männer und Frauen aufhielten. Herumgedrehte Fässer und Kisten dienten als Tische und Stühle und der Duft von gebratenem Fleisch erfüllte die Luft. Etliche der Anwesenden sahen hoch, als Mike und seine Begleiter die Höhle betraten, und an ihren Mienen wurde Mike klar, dass ihre Ankunft offenbar ungeduldig erwartet worden war. Sarn trieb ihn jedoch unbarmherzig weiter und deutete auf einen Durchgang am jenseitigen Ende der Höhle.

»Unser Anführer will dich sehen«, sagte er. »Mit allen anderen kannst du dich später bekannt machen.«

Etwas an der Art, in der Sarn das sagte, gefiel Mike nicht. Und plötzlich fühlte er sich nicht mehr besonders wohl in seiner Haut. Er hatte erlebt, wie hart und rücksichtslos diese Menschen sein konnten, wenn es sein musste. Was, wenn er ihrem geheimnisvollen Anführer gegenübertrat und dieser zu dem

Schluss kam, dass ernichtder war, den er erwartet hatte?

Mit klopfendem Herzen trat er in die angrenzende Höhle. Sie war viel kleiner als die erste, und da sich mindestens ein Dutzend Männer darin aufhielt, wirkte sie noch winziger. Es gab kein Mobiliar, sondern nur einen großen Tisch, auf dem sich Karten und eng beschriebene Pergamente stapelten. Vier oder fünf Männer standen über die Karten gebeugt da, sahen bei ihrem Eintreten aber alle auf. Einer von ihnen sagte etwas, aber Mike hörte die Worte gar nicht.

Er starrte vollkommen fassungslos in das Gesicht des dunkelhaarigen Mannes, den er sofort und ohne den geringsten Zweifel als den Führer des Widerstandes erkannte.

»Singh!«, keuchte er.

Und die Erinnerung brach wie eine Flutwelle über ihn herein...

Mike sah aus den Augenwinkeln, wie Tarras überrascht aufblickte und ein erschrockener Ausdruck auf seinem Gesicht erschien. Vargan zeigte keinerlei Reaktion, während Argos regelrecht entsetzt dreinsah.

»Lemura?« Trautman schüttelte verwirrt den Kopf. »Das habe ich noch nie gehört. Was soll das sein?« Serena antwortete nicht, sondern wandte sich direkt an Tarras. »Es ist so, nicht wahr?«

Tarras nickte widerstrebend. »Du bist klüger, als ich dachte. Ja. Es ist Lemura. Aber jetzt haben wir genug geredet. Ich muss mich konzentrieren, um das Schiff in die Schleuse zufahren. Also halt den Mund.«

Der Ausdruck auf Serenas Gesicht war pures Entsetzen. Mike verstand das nicht. Auch er hatte diesesWort noch nie gehört, weder von Trautman noch von Serena, die ihm weiß Gott genug von ihrerversunkenen Heimat erzählt hatte.

Er drehte sich wieder zu Serena herum und machte eine fast herrische Geste, als alle anderen sie auf einmal mit Fragen zu bestürmen begannen. »Lasst sie in Ruhe«, sagte er. »Sie wird uns schon erzählen, was sie weiß, wenn sie es möchte.«

Serena schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte sie. »Sie haben ein Recht es zu erfahren.«

»Was zu erfahren?«, fragte Ben.

»Das da draußen –« Serena deutete mit einer erschöpft wirkenden Kopfbewegung zum Fenster. »– ist Lemura. Ich habe davon gehört, aber ich ... ich dachte, es wäre eine Legende. Nur ein Märchen, um kleine Kinder zu erschrecken.«

»Offensichtlich nicht«, sagte Ben.

Mike warf ihm einen ärgerlichen Blick zu, den Ben mit einem herausfordernden Grinsen quittierte, und Serena fuhr nach einem kurzen Moment und in verändertem Tonfallfort:

»Ich hätte es wissen müssen. Wieso ist es mir nicht gleich aufgefallen? Alles ist so klar. So deutlich!«

»Was?«

»Die Wächter«, murmelte Serena. »Die Haie und ... ihre Herren. Ich habe davon gehört, aber ich ... ich habe mich einfach nicht daran erinnert!«