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»Warum dann?«, fragte Mike.

»Das, was du gestern erzählt hast, ist vielleicht der Schlüssel zu Lemuras Freiheit«, antwortete Sarn. »Unser Volk lebt seit zehntausend Jahren hier unten, Mike. In einer Welt ohne Sonne, ohne Licht und ohne Himmel. Wir büßen für Verbrechen, die unsere Urahnen begangen haben. Mit diesem Schiff, von dem du erzählt hast, könnten wir vielleicht von hier entkommen.«

»Der NAUTILUS?«, fragte Mike überrascht.

»So heißt es wohl, ja«, antwortete Sarn. »Ihr seid damit hierher gekommen. Also können wir damit auch weggehen.«

»Dazu müssten wir es erst einmal haben«, mischte Singh sich ein. »Argos’ Krieger bewachen es streng. Nicht einmal alle unsere Leute würden ausreichen, um es zu erobern. Ganz davon abgesehen, dass es nichts nutzen würde.«

»Wieso?«, fragte Sarn.

»Die NAUTILUS ist eine äußerst komplizierte Maschine«, antwortete Singh. »Eigentlich braucht sie eine Besatzung von mindstens dreißig Leuten. Wir haben mehr als ein Jahr gebraucht, um ihre Steuerung zu erlernen. Wir brauchen all unsere Freunde, um sie zu navigieren. Ben, Trautman, Chris, Juan und Serena.«

Sarn starrte ihn durchdringend an. Dann sagte er geradeheraus: »Das klingt nicht sehr überzeugend.«

Das war es auch nicht. Es war ganz und gar nicht die Wahrheit. Die NAUTILUS war ein Wunderwerk atlantischer Technik. Mike hätte sie im Notfall – wenigstens für eine Weile – ganz allein manövrieren können. Er fragte sich nur, warum Singh Zuflucht zu einer so plumpen Lüge suchte, statt Sarn ganz offen zu sagen, dass ihnen natürlich zuallererst daran gelegen war, ihre Freunde zu retten.

»Wenn du mir nicht glaubst, kannst du ja gerne versuchen, Argos und seine Krieger allein zu überwinden«, sagte Singh kühl.

Sarn setzte zu einer scharfen Antwort an, doch er kam nicht dazu, denn in diesem Moment wurde es draußen in der großen Höhle laut: überraschte Rufe und Schreie drangen zu ihnen herein, das Trappeln hastiger Schritte – und dann flog der Vorhang auf und etwas Kleines, Schwarzes mit struppigem Fell flitzte zu ihnen herein, unmittelbar gefolgt von drei Männern mit gezückten Waffen und ziemlich erschrockenen Gesichtern.

»Um Gottes willen, nicht!«, keuchte Mike. Blitzschnell sprang er auf und stellte sich mit schützend ausgebreiteten Armen zwischen Astaroth und die drei Männer.

Astaroth fauchte. Einer der Krieger wich erschrocken zurück, aber die beiden anderen kamen drohend näher. Hinter ihnen waren mindestens ein Dutzend schreckensbleicher Gesichter im Eingang aufgetaucht.

»Halt!«, sagte Sarn.

Seine Stimme war nicht einmal besonders laut, aber was Mikes verzweifelter Schrei nicht bewirkt hatte, das gelang ihm: Die beiden Männer senkten ihre Waffen zwar nicht, blieben aber wenigstens stehen. Ihre Blicke irrten unsicher zwischen Sarn und dem drohend fauchenden einäugigen Kater hin und her.

Sarn wandte sich an Mike und deutete auf Astaroth. »Ist das das Felltier, von dem der Aufseher gesprochen hat?«

»Das ist Astaroth«, bestätigte Mike. »Er gehört zu uns.«

Sarn wirkte nicht überzeugt. Aber nach einigen weiteren Sekunden nickte er widerstrebend und drehte

sich wieder zu den Männern um. »Es ist gut. Ihr könnt gehen. Das Tier ist harmlos.«Wenn er mich noch einmalTiernennt, dann bringe ich ihm eine völlig neue Definition des Wortesharmlosbei,grollte Astaroths lautlose Stimme in Mikes Kopf.

»Das hat er nicht so gemeint«, antwortete Mike. »Er weiß nicht, wer du bist. Niemand hier hat ein Wesen wie dich je gesehen.«Dann sollten sie sich an den Anbl –,begann Astaroth, hob mit einem Ruck den Kopf und fuhr dann in erschrockenem Ton fort:

Jemand kommt. Männer! Sie haben Waffen!

Mike erschrak so heftig, dass seine Reaktion auch Sarn nicht verborgen blieb. »Was hast du?«, fragte er. »Argos!«, antwortete Mike. »Seine Krieger sind auf dem Weg hierher!«

Sarns Augen wurden groß. »Woher willst du das wissen? Doch nicht etwa von diesem ... Tier?« Er versuchte zu lachen, aber es klang nicht sehr überzeugend.

»Astaroth sagt die Wahrheit«, sagte Mike. »Sie müssen jeden Moment hier sein. Ihr müsst verschwinden! Gibt es einen zweiten Ausgang?«

»Dutzende«, antwortete Sarn. Er fragte Mike nicht noch einmal, woher er seine Information hatte. Vielleicht war es der Ernst in Mikes Stimme gewesen, der ihn überzeugte. »Gut. Wir verschwinden. Singh – wir treffen uns im Kristallwald. Schnell jetzt!«

Mike blieb gar keine Zeit mehr, noch etwas zu sagen. Sarn fuhr bereits herum und stürzte aus dem Raum und auch Singh wurde plötzlich sehr hektisch: Er trat an sein Bett, griff mit beiden Händen danach und warf es kurzerhand um. Darunter kam ein finsterer Schacht zum Vorschein, aus dem das Ende einer roh gezimmerten Leiter ragte.

»Dort hinunter!«, sagte er. »Schnell!«

Niemals! kreischte Astaroth entsetzt. Da geh ich nicht runter! Da gibt es Viecher, die beißen und kneifen!

Mike drehte sich herum, griff nach dem Kater und klemmte ihn sich kurzerhand unter den Arm. Astaroth begann ihn in Gedanken auf unflätigste Art zu beschimpfen, aber Mike

achtete gar nicht darauf, sondern wirbelte abermals herum

und begann hinter Singh in die Tiefe zu klettern, so schnell er nur konnte.

Wie sich herausstellte, hatten sowohl Sarn als auch Astaroth Recht gehabt: Es gab unter der Höhle ein wahres Labyrinth von Stollen und Gängen, durch das sie entkommen konnten, und es wimmelte nur so von unterschiedlich großen, unterschiedlich hässlichen und unterschiedlich aggressiven Kreaturen, die darin zu wetteifern schienen, sie ununterbrochen zu stechen und zu beißen. Sie waren nicht so gefährlich wie die Mörderkrabben, denen die Krieger auf der untersten Ebene zum Opfer gefallen waren, aber sie sorgten doch dafür, dass sie sich keine Sekunde der Ruhe gönnen konnten.

Mike fragte sich bald vergeblich, wie Sarn es schaffte, in dem ungeheuerlichen Durcheinander aus Gängen und Höhlen nicht die Orientierung zu verlieren. Er selbst hätte schon nach wenigen Schritten nicht einmal gewusst, aus welcher Richtung sie gekommen waren, geschweige denn, wohin sie gehen sollten. Singh schien jedoch auf die gleiche, schon fast magische Weise seinen Weg zu finden wie Sarn am Tag zuvor.

Er schätzte, dass sie ungefähr eine Stunde durch das unterirdische Labyrinth geirrt waren, ehe es vor ihnen endlich wieder hell wurde: ein blasser, grüner Schein, der kaum heller war als der der Leuchtalgen, die die Wände in unregelmäßigen Flecken bedeckten, und kaum etwas mit dem gemein hatte, was Mike unter dem Wort Tageslicht verstand. Singh jedoch schien es als solches zu deuten, denn er atmete erleichtert auf und beschleunigte seine Schritte, gab Mike jedoch gleichzeitig mit Gesten zu verstehen, dass er zurückbleiben und auf ihn warten sollte.

Während Singh sich mit schnellen Schritten dem Felsspalt näherte, durch den das Tageslicht hereindrang, ließ sich Mike erschöpft auf einen Stein sinken. Astaroth sprang neben ihn und begann all die zahlreichen winzigen Wunden und Schrammen zu lecken, die er im Verlaufe der letzten Stunde davongetragen hatte; wesentlich mehr übrigens als Mike und Singh. Manchmal hatte es gewisse Nachteile, kurze Beine zu haben und dem Boden und seinen bissigen Bewohnern damit besonders nahe zu sein.

Du könntest mich ruhig ein bisschen bedauern,nörgelte Astaroths telepathische Stimme in seinem Kopf.

Diese Biester haben mich fast aufgefressen!»Geschieht dir Recht«, antwortete Mike, dessen Mitgefühl sich tatsächlich in engen Grenzen hielt. »Du hättest uns ruhig ein bisschen früher warnen können. Dann hätten wir vielleicht Zeit gehabt, auf einem anderen Weg zu verschwinden.«