Mike nutzte seine Chance sofort. Die NAUTILUS zitterte noch leicht und jedermann, der dazu in der Lage war, klammerte sich in Erwartung einer neuen Erschütterung irgendwo fest. Mike
jedoch war mit einem Satz über die Gestürzten hinweg, flitzte
zur nächsten Gangkreuzung und rannte nach rechts.
Ohne anzuhalten stürmte er weiter, erreichte die Treppe im vorderen Teil der NAUTILUS und hielt einen Moment inne. Er befand sich jetzt unmittelbar unter dem Salon, der gleichzeitig die Kommandozentraleder NAUTILUS darstellte. Über ihm erklangen Stimmen, was kein gutes Zeichen war. Die Sklaven, die die NAUTILUS beluden, verrichteten ihre Arbeit schweigend und durften gar nicht reden. Also waren dort Argos’ Männer. Mikes Gedanken drehten sich für einen Moment wild im Kreis, ohne dass er zu einem Ergebnis gelangt wäre. Er hatte gar keine andere Wahl als einfach loszugehen und zu sehen, was geschah. Mike gestand sich im Stillen ein, dass ihr Plan, die NAUTILUS zurückzuerobern, gewisse Lücken aufwies – um nicht zu sagen: Es gab gar keinen Plan.
Langsam bewegte er sich die Wendeltreppe hinauf. Die Stimmen wurden lauter und klangen jetzt eindeutig aufgeregt, wenn nicht wütend. Als Mike weiterging, gewahrte er einige Männer in den Uniformen der Palastgarde, die sich gerade vom Boden aufrappelten oder sich mit schmerzverzerrten Gesichtern die Glieder rieben. Das Seebeben hatte sie ebenso durcheinander geworfen wie die Sklaven weiter unten im Schiff. Vielleicht würden sie in all der Aufregung gar keine Notiz von ihm nehmen.
Mike versuchte einen ebenso leeren Ausdruck auf sein Gesicht zu zaubern, wie er ihn auf dem Bens und denen der anderen Sklaven gesehen hatte, und ging mit ruhigen Schritten an den Kriegern vorbei. Der Trick schien zu funktionieren.
Einer der Männer sah ihm stirnrunzelnd nach, zuckte dann aber nur mit den Schultern und fuhr fort seine schmerzenden Rippen zu massieren. Vollkommen unbehelligt erreichte Mike die Tür zum Salon und trat ein.
In dem großen Raum hielten sich vier Männer auf und Mike konnte ein erleichtertes Seufzen nur mit großer Mühe unterdrücken, als er in einem von ihnen niemand anderen als Trautman erkannte. Der Steuermann blickte gerade nicht in seine Richtung, sondern war in eine hitzige Debatte mit einem hoch gewachsenen Atlanter verstrickt. Langsam, aber ohne zu stocken, ging Mike auf die beiden zu. Kurz bevor er das Kommandopult im hinteren Teil des Salons erreichte, drehte sich Trautman herum und sah ihn an.
Er brach mitten im Wort ab. Seine Augen wurden groß und für einen Moment erschien ein Ausdruck absoluter Fassungslosigkeit auf seinem Gesicht.
Mike senkte hastig den Blick und sagte leise: »Herr?«
Es war der gefährlichste Moment überhaupt. Mikes Herz schlug zum Zerreißen und er rechnete fast damit, dass sich die beiden Krieger, die nur ein Stück hinter ihm standen, nun unverzüglich auf ihn stürzen würden. Aber Trautman reagierte sofort und auf die einzig richtige Art: Mike sah aus den Augenwinkeln, wie der erschrockene Ausdruck auf seinem Gesicht perfekt gespieltem Zorn wich.
»Da bist du ja endlich, Kerl!«, sagte er wütend. »Wo hast du dich so lange herumgetrieben? Ich warte schon seit Stunden auf dich!«
»Ich bin gekommen, so schnell ich konnte, Herr«, antwortete Mike demütig. »Aber ich –«
»Papperlapapp!«, unterbrach ihn Trautman. Er machte eine herrische Geste. »Spar dir deine Ausreden und komm hierher, damit ich dich einweisen kann!«
Mike ging weiter, aber der Atlanter neben Trautman streckte blitzschnell die Hand aus, hielt ihn fest und zwang ihn, den Kopf zu heben, damit er ihm ins Gesicht sehen konnte. »Wer ist dieser Bursche?«, fragte er. »Was tut er hier?«
»Ich habe ihn angefordert«, sagte Trautman rasch. »Seinen Namen kenne ich nicht. Ich habe um einen Assistenten gebeten, der über technisches Verständnis verfügt.«
»Wozu?«, fragte der Atlanter misstrauisch. »Bisher hast du auch keinen Assistenten gebraucht.«
»Du weißt ja auch, was die letzten beiden Male passiert ist, als wir die Kuppel verlassen haben«, antwortete Trautman scharf. »Diesmal wird es ernst. Wir können uns kein Risiko erlauben.«
»Das gefällt mir nicht«, sagte der Atlanter. »Ich werde mich überzeugen, ob es die Wahrheit ist.« Er ließ Mike los, drehte sich zum Ausgang und wandte sich im Gehen an die beiden Krieger. »Gebt auf diesen Jungen Acht. Irgendetwas stimmt mit ihm nicht.«
»Der Einzige, mit dem etwas nicht stimmt, bist du, Talan«, maulte Trautman. »Dein Misstrauen ist ja schon krankhaft.«
Der Atlanter würdigte ihn nicht einmal einer Antwort, sondern ging mit schnellen Schritten aus dem Salon, während die beiden Krieger gehorsam näher kamen. Trautman wandte sich in unverändert ruppigem Ton an Mike und fuhr ihn an: »Komm gefälligst her! Du wirst diese Kontrollinstrumente im Auge behalten und mich sofort warnen, wenn etwas nicht in Ordnung ist.«
Mike trat gehorsam neben Trautman und sah auf das Kontrollpult hinab. Er erlebte eine Überraschung. Selbst wenn er gewusst hätte, was Trautman mit dieser an sich unsinnigen Anweisung gemeint hatte, hätte er ihr nicht nachkommen können. Das Kontrollpult hatte sich total verändert. Die meisten Instrumente waren neu und vollkommen unverständlich und es waren eine ganze Anzahl neuer Geräte hinzugekommen, deren Bedeutung er nicht einmal erahnen konnte. Die Anweisung galt aber wahrscheinlich sowieso nur den Kriegern, um sie zu beruhigen.
Trautman trat dicht neben ihn, deutete mit einer befehlenden Geste auf das Instrumentenpult und flüsterte hastig: »Mike? Weißt du, wer du bist? Wer ich bin?«
»Ja, Herr«, antwortete Mike laut. »Ich verstehe Euch. Es ist alles in Ordnung mit mir.«
Trautman sah ihn verwirrt an. Offensichtlich wusste er nicht so ganz, was er von Mikes Antwort zu halten hatte. »Wo sind die anderen?«, flüsterte er.
Mike beugte sich scheinbar konzentriert über das Instrumentenpult und antwortete laut: »Das angeforderte Material ist unten im Schiff. Ich kann es holen, sobald Ihr es braucht, Herr.«
»Sind sie in Ordnung?«, flüsterte Trautman.
Mike sah aus den Augenwinkeln, dass sich die beiden Krieger wieder ein kleines Stück zurückzogen. Offenbar war ihr Argwohn wenigstens für den Moment besänftigt. So wagte er es, im Flüsterton und sehr schnell auf Trautmans Frage zu antworten. »Nein. Sie stehen noch unter Argos’ Einfluss.«
»Was ist mit Serena?«, fragte Trautman.
»Singh ist unterwegs, um sie zu holen«, antwortete Mike. »Sobald sie hier sind, können wir fliehen.«
»Fliehen?« Trautman sah ihn an, als wäre er verrückt. »Das Schiff wimmelt von Kriegern. Es sind mindestens zwanzig!«