Выбрать главу

Sie mussten so lange warten, bis er wieder hungrig wurde und der Aufseher ihm eine zweite Mahlzeit brachte, und auch danach vergingen noch einmal einige Stunden. Spät in der Mitte der Schlafenszeit erst kam der Krieger zurück.

»Hat er irgendetwas gesagt?«, fragte er sofort, als er den Raum betrat, ohne sich mit einer Begrüßung aufzuhalten.

»Nein, Herr«, antwortete der Wächter. »Er ist verstockt. Und wenn Ihr mich fragt –«

»Ich kann mich nicht erinnern, dich gefragt zu haben«, fiel ihm der Krieger ins Wort. Dann wandte er sich an Mike und seine Stimme und sein Gesichtsausdruck wurden wieder freundlicher.

»Hast du ein wenig ausruhen können, Mike?«

»Nicht wirklich«, antwortete Mike wahrheitsgemäß. »Aber das Essen war gut und er war sehr freundlich zu mir.« Er deutete auf den Aufseher. Aus irgendeinem Grund hatte er plötzlich das Bedürfnis ihn zu verteidigen.

»Das will ich ihm auch geraten haben«, grollte der Krieger. »Es ist schade, dass du nicht ausgeschlafen hast, aber leider nicht zu ändern. Wir haben einen langen Marsch vor uns.«

»Herr?«, fragte Mike verwirrt. Der Aufseher in seiner Ecke wurde hellhörig.

»Ich nehme dich mit«, antwortete der Krieger.

»Aber warum?«, entfuhr es Mike. Die Frage selbst war schon eine Ungehörigkeit. Es ging ihn nichts an, was der Krieger tat und warum.

»Das erkläre ich dir unterwegs«, antwortete der Krieger. »Wir werden eine Menge Zeit zum Reden haben.« Er wandte sich an den Aufpasser. »Bring einen Mantel und warme Schuhe für den Jungen. Und beeil dich gefälligst!«

Der Mann rannte regelrecht aus dem Raum. Kaum waren sie allein, da war der gelassene Gesichtsausdruck des Kriegers wie weggeblasen. Er wirkte plötzlich nervös und sein Blick irrte immer wieder zur Tür. Fast als fürchte er sich vor etwas. Aber natürlich war auch das Unsinn. Krieger fürchteten sich vor nichts.

Es dauerte nicht lange und der Aufseher kam zurück, einen warmen Mantel über dem rechten Arm und ein Paar fester Schuhe in der linken Hand. Mike zog beides an und sie verließen zu dritt den Raum verlassen.

Draußen hob der Krieger jedoch die Hand und hielt den Wächter zurück. »Du bleibst hier«, sagte er. »Du wirst dieses Haus nicht verlassen, ehe die Schlafenszeit vorüber ist. Und du wirst zu niemandem über das sprechen, was du gehört und gesehen hast. Tust du es, kostet es dich dein Leben. Hast du das verstanden? «

»Ja, Herr«, sagte der Aufseher. Er war bleich vor Schrecken.

»Dann versuch es nicht zu schnell zu vergessen«, sagte der Krieger. »Wenn doch, komme ich zurück, und dann ergeht es dir schlecht.«

Damit verließen sie das Haus. Mike war über die Worte des Kriegers höchst verwirt, wagte es aber natürlich nicht ihn anzusprechen, sondern ging schnell und mit gesenktem Kopf neben ihm her.

Im Lager herrschte Totenstille, was aber angesichts der Zeit nur normal war. Das gute Dutzend runder, aus Korallen erbauter Häuser beherbergte etwa hundert Menschen, von denen der allergrößte Teil Arbeiter und nur eine Hand voll Wächter waren, und sie alle mussten müde und vollkommen erschöpft von dem hinter ihnen liegenden Arbeitstag sein. Wahrscheinlich hatte noch nicht einmal jemand gemerkt, dass der Krieger zurückgekommen war.

Es schien ihm auch, als ob sich der Krieger besonders vorsichtig und leise bewegte, fast so, als lege er Wert darauf, dass niemand etwas von seinem Hiersein bemerkte. Auch das konnte natürlich nicht sein. Ein Krieger musste auf nichts und niemanden Rücksicht nehmen.

Sie durchquerten die Siedlung sehr schnell und drangen in den Wald ein, der ihre nördliche Grenze bildete. Es war die einzige Richtung, in der sie überhaupt gehen konnten – in der anderen gab es nur noch die Korallengruben. Nach dreißig oder vierzig Schritten jedoch blieb der Krieger stehen.

»Du wartest hier«, bestimmte er. »Wenn jemand kommt, dann versteckst du dich. Ich bin bald wieder zurück.«

Er gab Mike gar keine Gelegenheit zu antworten, sondern fuhr auf dem Absatz herum und verschwand mit schnellen Schritten in der Richtung, aus der sie gekommen waren. Mike fragte sich, ob er vielleicht etwas vergessen hatte. Aber er konnte sich gar nicht erinnern, dass er irgendetwas bei sich gehabt hätte, als er ins Haus gekommen war.

Hinter ihm raschelte etwas. Mike fuhr erschrocken herum und blickte in ein schwarzes, einäugiges Gesicht, das ihn aus dem Unterholz heraus anstarrte.

Er hat in der Tat etwas vergessen,wisperte die Stimme des Felltiers in seinem Kopf.Es gibt da noch etwas, was er dem Wächter geben muss. Es ist ungefähr fünfzig Zentimeter lang und aus Stahl.

Es dauerte einen Moment, bis Mike wirklich begriff, was ihm das Felltier damit sagen wollte. »Du meinst, er will ihn ... töten?«Du begreifst aber schnell,sagte das Felltier spöttisch. »Aber warum?«

Damit er auch wirklich Wort hält und niemandem sagt, dass er hier war und dich mitgenommen hat,

antwortete das Felltier.

Mike schauderte. Natürlich war ihm klar gewesen, dass der Aufseher kein Stillschweigen wahren würde – aber das war doch kein Grund, einen Menschen umzubringen!

Hier schon,antwortete das Felltier, das offensichtlich wieder seine Gedanken gelesen hatte.Ein Menschenleben ist nicht viel wert. Hier jedenfalls nicht.

»Aber ... aber sie werden den toten Wächter finden!«, murmelte Mike. »Und wenn niemand weiß, dass der Krieger mich mitgenommen hat ...« Ein neuer, eisiger Schrecken durchfuhr ihn. »... dann werden sie glauben,ichhätte ihn getötet und wäre dann geflohen.«

Stimmt,antwortete das Felltier spöttisch.Aber glaube mir, das ist im Moment noch das kleinste Problem!

»Was meinst du damit?«, fragte Mike.

Die Tatsache, dass du diese Frage stellst, beweist schon, dass es vollkommen sinnlos wäre, sie dir zu beantworten,sagte das Felltier.Junge, Junge, da werde ich noch eine ganze Menge zu tun haben, um deinen kümmerlichen Denkapparat wieder umzukrempeln.

»Würde es dir etwas ausmachen, nicht andauernd in Rätseln zu sprechen?«, fragte Mike ärgerlich.

Dastue ich doch,antwortete das Felltier. Mike war sicher, ein Grinsen auf seinem Gesicht zu sehen.Ich komme wieder, sobald die Luft rein ist.

Damit verschwand das Tier. Mike blickte noch eine Weile verwirrt in den Wald und versuchte vergeblich seinen Worten irgendeinen Sinn abzugewinnen. Alles war so ... merkwürdig. Und es machte ihm immer mehr Angst.

Nach nicht allzu langer Zeit kam der Krieger zurück. Er sagte kein Wort und wirkte sogar entspannt, als wäre er nur einmal kurz zurückgegangen, weil er vergessen hatte sich zu

verabschieden. Aber das Schwert, das er an seiner Seite trug,

war blutig.

Sie marschierten bis zum Ende der Schlafenszeit, dann wich der Krieger vom Weg ab und sie drangen ein gehöriges Stück weit in den Wald ein. Mike war nicht wohl dabei: Der Wald war gefährlich. Man konnte sich verirren und es gab gefährliche Tiere. Ihm fiel aber auch auf, dass der Krieger große Sorgfalt darauf verwandte, keinerlei Spuren zu hinterlassen.

Gute fünfhundert Schritt abseits des Waldes fanden sie eine kleine Lichtung, auf der sie sich niederlegten und einige Stunden schliefen. Mike hatte Angst davor einzuschlafen, denn möglicherweise würden die Träume zurückkommen und die unheimlichen Bilder.