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Aber er war erschöpft und sein Körper verlangte sein Recht. Erst lange nach Mittag wachte er wieder auf, ausgeruht und ohne die Erinnerung an irgendwelche Träume und mit dem verlockenden Geruch von gebratenem Fleisch in der Nase.

Als er sich aufrichtete, sah er den Krieger mit untergeschlagenen Beinen neben sich sitzen. Vor ihm brannte ein flackerndes Feuer, über dem unterschiedlich große Fleischstücke an einem Stock brieten. Schon der Geruch ließ Mike das Wasser im Munde zusammenlaufen. Sein Magen knurrte hörbar.

Das war ihm sehr peinlich, aber der Krieger lächelte nur, nahm eines der Fleischstücke vom Feuer und

reichte es ihm. Zögernd griff Mike zu. Das Fleisch war so heiß, dass er sich Finger und Zunge verbrannte, aber es war das Köstlichste, was er jemals gegessen hatte. Fleisch war nichts, was man jeden Tag bekam. Und ein so gutes Stück wie dieses hatte er noch nie gehabt.

»Schmeckt es?«, fragte der Krieger amüsiert. Mike nickte. »Es ist fantastisch«, sagte Mike mit vollem Mund. Bratensaft tropfte an seinem Kinn herab. »So etwas Gutes habe ich noch nie gegessen. Was ist es?« »Raubkrabbe«, antwortete der Krieger. Mike blieb der Bissen im wahrsten Sinne des Wortes im Halse stecken und das Glitzern in den Augen

des Kriegers wurde noch spöttischer. »Nur keine Hemmungen«, sagte er. »Es gibt keinen Grund, aus dem

sie uns nicht ebenso gut schmecken sollten, wie wir ihnen.« Mike kaute fast widerwillig weiter, aber der Krieger hatte vollkommen Recht: Das Fleisch des Tieres schmeckte köstlich.

»Hast du gut geschlafen?«, fragte der Krieger. »Ja, Herr«, antwortete Mike. Der Krieger verzog das Gesicht. »Hör auf, mich Herr zu nennen. Mein Name ist Sarn.« »Sicher, Herr«, sagte Mike, schluckte den Bissen hinunter, an dem er gekaut hatte, und verbesserte sich: »Sarn.«

»Gut«, sagte Sarn. »Wir marschieren weiter, sobald du gegessen hast. Kannst du klettern?« Mike

antwortete nicht gleich. So verrückt es klang: Er wusste es nicht. »Ich ... hoffe es«, sagte er zögernd. »Nun, wir werden es herausfinden«, sagte Sarn. »Kannst du dich jetzt besser erinnern? An diese seltsamen Namen, von denen du gesprochen hast? Oder das Felltier?«

Astaroth. Der Name stand plötzlich und so klar in seinem Bewusstsein, dass er sich unwillkürlich umsah, ob das Felltier vielleicht in der Nähe stand und wieder auf seine unheimliche lautlose Weise mit ihm sprach. Sie waren jedoch allein. Nach einigen Augenblicken schüttelte er den Kopf.

»Du musst dich erinnern«, sagte Sarn eindringlich. »Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie wichtig es ist. Nicht nur für dich.« »Wichtig?«, wiederholte Mike verstört. Er lachte unsicher. »Wie könnte jemand wie ich wichtig sein?« »Jemand wie du?«, fragte Sarn mit seltsamer Betonung. »Wer bist du denn? Erzähl mir etwas über dich.« »Da gibt es nichts zu erzählen«, antwortete Mike spontan. »Ich arbeite in den Korallenbrüchen. Das ist

alles.«

»Und warum?«, wollte Sarn wissen. »Du bist noch sehr jung. Die Arbeit hier unten ist eine harte Strafe. Was hast du getan, dass man dich dazu verurteilt hat?« Mike dachte eine Weile über diese Frage nach, aber dann zuckte er mit den Schultern. »Du weißt es nicht«, sagte Sarn in einem Ton, als hätte er genau diese Antwort erwartet. »Gut. Dann

erzähl mir etwas über dich. Wo kommst du her? Wer sind deine Eltern? Was hast du getan, bevor du

hierher geschickt wurdest?« Mike schwieg. Er wusste es nicht. Es war unheimlich. Er konnte sich an nichts erinnern, was länger als ein paar Wochen

zurücklag. Es war, als hätte sein Leben vorher gar nicht existiert. Und was vielleicht das Unheimlichste überhaupt war: Bevor Sarn seine Fragen gestellt hatte, hatte er

noch nie auch nur darübernachgedacht.»Das dachte ich mir«, seufzte Sarn. »Du bist einer von denen, nach denen wir suchen.« »Wir?« »Sei mir nicht böse, wenn ich darauf noch nicht antworte«, sagte Sarn. »Du wirst alles erfahren, sobald

wir in Sicherheit sind.« In Sicherheit? Mike hatte bisher noch gar nicht gewusst, dass sie in Gefahr waren. Und er hatte das

sichere Gefühl, dass Sarn nicht von den wilden Tieren und gefährlichen Pflanzen sprach, die es ringsum im Wald gab.

»Das alles muss dich ziemlich verwirren«, sagte Sarn.

»Aber das kann ich dir nicht ersparen. Du musst dich erinnern, Mike.«

»Aber woran?«

»An dein Leben«, sagte Sarn. »Du hast damit schon angefangen. Versuch es weiter. Jede Kleinigkeit ist wichtig. Für dein Leben und für die Freiheit vieler Menschen. Vielleicht für ganz Lemura.«

Er vertilgte sein letztes Stück Fleisch, stand auf und löschte mit großer Sorgfalt das Feuer. Anschließend gab er Mike ein Zeichen, sieh ebenfalls zu erheben.

Sie gingen zum Weg zurück. Sarn gebot ihm am Waldrand zu warten. Mike beobachtete mit wachsender Beunruhigung, dass er den Weg sorgsam auf Spuren untersuchte, ehe er ihm erlaubte ihm zu folgen. Er sagte nichts, aber sein Benehmen machte klar, dass er damit rechnete, verfolgt zu werden. Mike konnte sich nur nicht erklären, von wem. Krieger hatten keine Feinde. Es gab in ganz Lemura niemanden, den Sarn hätte fürchten müssen. Mike wagte es jedoch nicht, eine entsprechende Frage zu stellen.

Zwei, vielleicht auch drei Stunden marschierten sie in scharfem Tempo dahin, dann erreichten sie die Stelle, an der der Weg scharf nach Westen abknickte, um dem Großen Abgrund auszuweichen und anschließend zum Aufstieg zur nächsten Ebene zu führen. Mike erwartete natürlich, dass sie ihm weiter folgen würden, und er war nicht wenig überrascht, als Sarn den Kopf schüttelte und in die entgegengesetzte Richtung wies.

»Dorthin?«, vergewisserte er sich. »Aber dort liegt der Große Abgrund!«

»Ich weiß«, antwortete Sarn mit einem sanften Lächeln. Mehr sagte er nicht und natürlich wagte es Mike auch nicht, eine weitere Frage zu stellen. Sich überhaupt zu vergewissern, ob die Entscheidung des Kriegers richtig war, ja, seine Entscheidung gewissermaßen in Frage zu stellen, grenzte an Selbstmord. Aber indem Sarn ihm gestattet hatte, ihn mit seinem Namen anzureden, hatte er die Distanz zwischen ihnen verringert. Mike war nur nicht sicher, ob ihm das gefiel oder ob es ihm eher Angst machen sollte.

Die Richtung jedenfalls, in der sie sich nun bewegten, gefiel ihm eindeutig nicht. Vor ihnen lagen nur noch dichter Wald, drei, vielleicht vier Wegstunden tief, und danach das Ende der Welt; der Große Abgrund. Wohin führte ihn Sarn?

Selbst wenn Mike es gewagt hätte, den Krieger danach zu fragen, hätte er während der nächsten Stunden gar keine Gelegenheit dazu gefunden, denn allein das Gehen beanspruchte seine gesamten Kräfte. Der Wald war hier viel dichter als der, in dem sie zuvor geschlafen hatten. Mehr als einmal musste der Krieger sein Schwert zu Hilfe nehmen, um sich einen regelrechten Pfad durch das dichte Unterholz zu hacken, und ein paar Mal schien selbst das nichts mehr zu nutzen. Sie erreichten das Ende des Waldes erst, als die Schlafenszeit fast heran war. Mike war mit seinen Kräften am Ende und selbst der Krieger wirkte erschöpft und müde. Das wunderte Mike. Er hatte immer geglaubt, dass Krieger keine Müdigkeit kennen. Konnte es sein, dass die göttliche Gestalt, neben der er ging, ein paar durchaus menschliche Schwächen hatte?

Sarn gab ihm mit Zeichen zu verstehen, dass er sich setzen und eine Weile ausruhen sollte, schien sich aber selbst noch keine Pause gönnen zu wollen. Mike sah erstaunt zu, wie er sich einen Moment suchend umblickte und dann mit großem Geschick auf den höchsten Baum stieg, den es in unmittelbarer Umgebung gab. Da die Blätterkrone des Waldes sehr dicht war, entschwand er schon bald seinen Blicken und Mike war allein.