»Das ... das ist die NAUTILUS«, murmelte Vom Dorff fassungslos.
Trautman nickte. »Sie hatten sich doch gewünscht, sie zu sehen, oder? Man sollte vorsichtig mit dem sein, was man sich wünscht. Manchmal geht es schneller in Erfüllung, als einem selbst lieb ist.«
Vom Dorff schien seine Worte gar nicht zu hören. Er starrte die NAUTILUS unverwandt weiter an und der Ausdruck auf seinem Gesicht war kaum weniger fassungslos als der auf Kanuats. »Die NAUTILUS«, murmelte er immer wieder. »Es gibt sie wirklich!«
»Natürlich gibt es sie«, sagte Mike. »Sonst wären wir kaum hier, oder? Aber das bringt mich zu einer anderen Frage: Woher wussten Sie eigentlich so viel über uns?«
Der Deutsche riss sich mit großer Mühe vom Anblick des
gewaltigen Unterseebootes los und sah ihn an.
»Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich dir diese Frage beantworte?«, fragte er.
»Ich fürchte, ich muss darauf bestehen«, sagte Mike, aber Vom Dorff lachte nur.
»Und was willst du tun, wenn ich mich weigere? Mich in siedendes Öl tauchen oder mir die Fingernägel herausreißen lassen?«
»Ich denke, das eine oder andere wird mir schon einfallen«, sagte Mike. Natürlich hatte er nichts dergleichen vor. Wozu auch? Eine einzige Begegnung mit Astaroth reichte aus und der Deutsche hatte keine Geheimnisse mehr.
»Hört mit dem Unsinn auf!«, rief Ben vom Turm der NAUTILUS herab. »Wir müssen weg! Das deutsche U-Boot ist auf dem Weg hierher! Kommt an Bord.«
Auf Vom Dorffs Gesicht erschien die Andeutung eines triumphierenden Lächelns, aber es sollte nicht für lange sein.
»Können Sie mit der >U37< in Verbindung treten?«, fragte Trautman. Vom Dorff nickte und Trautman fuhr in sehr ernstem, fast beschwörendem Tonfall fort: »Dann rufen Sie sie zurück. Denn wenn uns Berghoff zu nahe kommt, dann schießen wir die >U37< in Stücke, das schwöre ich Ihnen!«
Vom Dorff presste die Lippen aufeinander. Unsicher sah er Trautman an, dann wieder die NAUTILUS und schließlich nickte er.
»Ich hoffe, Sie meinen es auch so«, sagte Trautman. »Denken Sie wenigstens an die Männer an Bord der >U37<. Glauben Sie mir, wir werden uns wehren, wenn Sie uns dazu zwingen. Und gegen dieses Schiff hätte nicht einmal eine ganze Flotte eine Chance. Mike, Kanuat – kommt!«
Mike trat gehorsam neben Trautman, aber Kanuat rührte sich nicht von der Stelle. Er starrte immer noch das Schiff an. Mike bezweifelte, dass er von dem ganzen Gespräch auch nur ein einziges Wort mitbekommen hatte.
»Sie brauchen keine Angst zu haben«, sagte er. »Das ist nur ein Schiff.UnserSchiff.«
»Sie können nicht hier bleiben«, pflichtete ihm Trautman bei. Gleichzeitig deutete er auf Vom Dorff. Der angebliche Handelsattaché schürzte nur verächtlich die Lippen, sagte aber nichts dazu.
Sie brauchten trotzdem noch eine ganze Weile, bis sie den Inuit dazu überreden konnten, ihnen zu folgen. Aber schließlich balancierten sie nebeneinander über das Gewirr zerbrochener Eisschollen auf die NAUTILUS zu.
Die NAUTILUS begann zu tauchen, noch bevor Ben die Luke über ihren Köpfen ganz geschlossen hatte. Eine Linie silbergrünen, sprudelnden Wassers stieg an den beiden mannsgroßen Bullaugen des Turmes empor und schlug wenige Augenblicke später über dem Schiff zusammen. Nur Sekunden später blieb auch das Tageslicht über ihnen zurück. Die NAUTILUS sank sehr schnell.
»Das wurde aber auch Zeit!«, maulte Ben, nachdem er von der Leiter gesprungen war. »Ich dachte schon, ihr wollt den Kerl zum Kaffeeklatsch einladen!«
»Das alles wäre nicht nötig gewesen«, antwortete Mike
scharf. »Aber als wir heute Morgen zum Hafen kamen, da wart ihr nicht da.«
»Schluss jetzt!«, mischte sich Trautman ein. »Wer ist am Ruder?«
»Serena und Chris«, antwortete Singh. »Ich löse sie ab.« Er ging, ohne Trautmans Antwort abzuwarten, und Trautman wandte sich nun an Ben.
»Mir ist klar, dass ihr wegmusstet«, sagte er. »Aber was ist mit den Sprechgeräten? Wieso habt ihr uns nicht wenigstens gewarnt?«
»Das wollten wir«, antwortete Juan an Bens Stelle. »Aber sie funktionieren nicht.«
»So wie einiges andere auch«, fügte Ben hinzu. Er zuckte mit den Schultern. »Irgendetwas stimmt hier nicht. Je weiter wir diesen Fluss hinauffahren, desto mehr unserer Bordsysteme fallen aus. Irgendetwas hier stört unsere Systeme.«
»Gehen wir nach unten«, sagte Trautman. Er wirkte sehr besorgt, streckte aber trotzdem die Hand aus, als Ben an ihm vorbeigehen wollte. »Ich habe mich noch gar nicht bedankt«, sagte er. »Das war ziemlich mutig, was ihr gerade getan habt. Immerhin war da oben ein Dutzend bewaffneter Männer.«
»Die haben sich doch vor Angst fast in die Hosen gemacht«, grinste Ben. »Außerdem hätten sie euch bestimmt nicht gehen lassen, wenn wir sie höflich darum gebeten hätten.«
Trautman lachte. Als sie sich umdrehen wollten, um über die Treppe ins Innere der NAUTILUS hinabzusteigen, gab er Mike einen verstohlenen Wink und deutete auf Kanuat. Der Inuit war ihnen zwar gehorsam ins Schiff gefolgt, stand nun aber wieder stocksteif und wie gelähmt da und starrte aus dem Bullauge. Sie waren mittlerweile so tief getaucht, dass draußen nur noch ein trübgraues Zwielicht herrschte. Mike nickte unmerklich und blieb zurück. Erst als alle anderen den Turm verlassen hatten und sie allein waren, trat er neben Kanuat und sprach ihn an. »Es gibt wirklich keinen Grund, Angst zu haben«, sagte er. »Das hier ist nur ein Schiff.«
»Sind wir ... unter Wasser?«, fragte Kanuat stockend. Er starrte unverwandt weiter aus dem Bullauge.
»Sehr tief«, bestätigte Mike. »Und wir werden wahrscheinlich noch tiefer tauchen. Das hier ist ein Unterseeboot.«
»Wie das der Deutschen?«, fragte Kanuat.
»Viel besser«, antwortete Mike. Erst danach begriff er, dass er Kanuats Frage vollkommen falsch verstanden hatte. Und seine Antwort nicht besonders klug gewesen war.
»Ihr seid auch nicht besser als sie«, sagte der Inuit leise. »Ihr habt mich nur benutzt, um euren Feinden zu schaden.«
»Das ist nicht wahr!«, protestierte Mike. »Wir haben Ihnen gesagt, warum wir hier sind, und das ist die Wahrheit! Wir suchen die Männer, die vergangenen Sommer hier waren.«
»Warum?«
»Weil sie in Not sind«, antwortete Mike. »Sie haben um Hilfe gerufen und wir haben diesen Ruf gehört und sind gekommen.«
»Und das soll ich glauben?«, fragte Kanuat. »Ich soll glauben, dass ihr euer Leben und euer Schiff riskiert, um Menschen zu helfen, die ihr nicht einmal kennt?«
So ganz konnte Mike das ja selbst nicht glauben, zumal er mittlerweile davon überzeugt war, daß Trautman sehr viel mehr über die verschollene Expedition wusste, als er zugab. Trotzdem nickte er. »Sie haben doch das Gleiche getan gestern Morgen.«
Kanuat starrte ihn an. Er sagte nichts.
»Was ... ist eigentlich mit Ihren Hunden?«, fragte Mike zögernd.
»Ihnen wird nichts geschehen«, antwortete Kanuat. Sein Gesicht verdüsterte sich. Vermutlich dachte er an das Tier, das Vom Dorffs Soldaten erschossen hatten. Trotzdem fuhr er fort: »Sie sind klüger als wir Menschen. Sie finden allein nach Hause.«
»Das ist gut«, sagte Mike erleichtert. »Und jetzt kommen Sie mit. Ich stelle Sie den anderen vor. Und danach zeige ich Ihnen das Schiff, wenn Sie wollen.« Kanuat wirkte nicht besonders begeistert. Einige Sekunden lang blieb er noch stehen, aber dann folgte er Mike die Wendeltreppe hinunter und Mike führte ihn zum Kontrollraum.
Auf halber Strecke kam ihnen Serena entgegen. Mike hob die Hand und winkte ihr zu. Natürlich hatte er erwartet, dass sie sich freuen würde, ihn wieder zu sehen. Aber nicht, dass sie einen erleichterten Schrei ausstieß, losrannte und ihm so stürmisch um den Hals fiel, dass er beinahe von den Füßen gerissen worden wäre. Und schon gar nicht damit, dass sie ihm einen herzhaften Kuss auf die Lippen drückte.