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»Mike! Ich bin ja so froh, dass dir nichts passiert ist!« Mike löste sich mit einiger Mühe aus Serenas Umarmung und sah sie überrascht an. Serena ihrerseits wich einen halben Schritt von ihm zurück und sah plötzlich ein bisschen verlegen drein, so als wäre ihr erst jetzt richtig klar geworden, was sie getan hatte. Schließlich war es Mike, der die peinliche Situation als Erster überwand.

»Es war ziemlich knapp, aber uns ist nichts passiert«, sagte er. »Außer dass ich noch nie im Leben so gefroren habe.«

»Ich habe die Heizung schon höher gestellt«, sagte Serena und blinzelte ihm spöttisch zu. Dann deutete sie auf einen Punkt hinter Mike. »Das ist Kanuat? Genau so habe ich ihn mir vorgestellt.«

Mike drehte sich ein wenig verwirrt herum und sah, dass Kanuat einige Schritte zurückgeblieben war. Er

hatte sich in die Hocke herabgelassen und streichelte Astaroth, der schnurrend – und ganz und gar gegen seine normale Art seine Flanke an Kanuats Beinen rieb. »Ja«, sagte er überrascht. »Aber woher weißt du von ihm?« »Von Astaroth«, antwortete Serena.

»Er hat –?« »– die ganze Zeit über eure Gedanken gelesen«, bestätigte Serena. »Natürlich. Warum glaubst du eigentlich, dass wir genau im richtigen Moment aufgetaucht sind? Bestimmt nicht rein zufällig!«

»Und wieso hat er dann nicht geantwortet, als ich ihn gerufen habe?«, fragte Mike scharf.Ich habe es versucht,antwortete Astaroth in seinen Gedanken.Aber ich bin nicht zu dir durchgekommen.Es bereitet mir sogar jetzt noch Mühe. Irgendetwas in dieser Gegend stört nicht nur unsere Maschinen,weißt du?

»Gehen wir nach unten«, sagte Serena. »Wir müssen wirklich schnell von hier weg. Dieses andere U-Boot kommt ziemlich schnell näher. Ich glaube nicht, dass Trautman scharf darauf ist, in eine ausgewachsene Seeschlacht verwickelt zu werden.«

Sie gingen zu dritt weiter, wobei Kanuat allerdings viel eher Astaroth folgte als ihnen. Als sie im Kontrollraum ankamen, bot sich Mike ein Anblick von scheinbar heillosem Chaos. Trautman, Singh und Juan standen gemeinsam am Kontrollpult und hämmerten wie besessen auf Schalter und Knöpfe ein und Mike fiel erst jetzt auf, wie unruhig das Maschinengeräusch der NAUTILUS geworden war und wie stark das Schiff zitterte.

»Was ist los?«, fragte Mike alarmiert. »Die >U37<?«

Trautman schüttelte den Kopf, ohne den Blick vom Kontrollpult zu nehmen. »Nein. Vom Dorff hat sein Versprechen wohl eingelöst. Sie haben sich zurückgezogen. Es ist irgendetwas mit diesem See. Die Maschinen spielen verrückt.«

»Die Götter mögen keine Schiffe«, sagte Kanuat. »Ihr solltet mit eurer Technik nicht hier sein. Die Geister haben die Wagen der Deutschen vernichtet. Sie werden auch euer Schiff vernichten.«

Ben bedachte den Inuit mit einem Blick, der sehr deutlich machte, was er von dieser Erklärung hielt, aber Trautman sah den Inuit eine Sekunde lang sehr nachdenklich an und wandte sich dann an Singh.

»Wann hat das angefangen?«

»Die Störungen?« Singh überlegte einen Moment. »Kurz nachdem ihr von Bord gegangen seid. Aber so schlimm ist es erst geworden, seit wir in den See eingelaufen sind.«

»Und euch dem Berg der Geister genähert habt«, schloss Trautman. »Das kann kein Zufall mehr sein. Können wir in den Fluss zurück, ohne mit der >U37< zusammenzutreffen?«

»Kein Problem«, sagte Juan. »Sie ist längst an uns vorbei und auf der anderen Seite des Sees.« Trautman blinzelte. »Wie?«

»Es ist so«, bestätigte Juan. »Ich weiß nicht, warum, aber die Störungen scheinen nur die NAUTILUS zu betreffen. Oder der Kommandant des deutschen U-Bootes ist lebensmüde und vollkommen verrückt.«

»Ich glaube, dass er weder das eine noch das andere ist«, sagte Trautman. »Aber gut, darüber denken wir später nach. Wir fahren zurück in den Fluss. Und noch etwas. Ben?«

»Ja?«

Trautman zögerte eine Sekunde. Als er weitersprach, erschien fast so etwas wie ein verlegenes Grinsen auf seinem Gesicht. »Ich hätte es zwar vor zwei Tagen selbst nicht für möglich gehalten, dass ich diese Frage stelle, aber ... hast du zufällig noch etwas von deiner Suppe übrig?«

Das Allerschlimmste blieb ihnen erspart: Serena hatte wohl vorausgesehen, dass sie halb verhungert zurückkehren würden, und eine warme Mahlzeit vorbereitet, bevor Ben zu einem weiteren heimtückischen Angriff auf ihre Geschmacksnerven ansetzen konnte. Sie brauchten eine halbe Stunde, um die NAUTILUS wieder in den zugefrorenen Fluss zu manövrieren und an einer halbwegs geschützten Stelle auf Grund zu setzen. Danach versammelten sie sich alle zu einer ausgiebigen Mahlzeit. Vor allem Mike langte kräftig zu.

Hinterher war er satt, fror aber noch immer erbärmlich. Er hätte viel für eine heiße Dusche gegeben oder auch nur eine Stunde, in der er sich in seine weichen Kissen in seinem Bett kuscheln konnte, aber Trautman bestand darauf, zuerst einmal ihr weiteres Vorgehen zu besprechen.

»Die Situation ist ernster, als ihr vielleicht ahnt«, begann er. »Wir müssen zu diesem Berg. Und das schnell.«

»Und ich dachte, wir hätten gerade unseren Hals riskiert, um Sie von da wegzuholen«, sagte Ben säuerlich.

»Das habt ihr«, gestand Trautman. »Und dafür bin ich euch auch sehr dankbar. Aber du scheinst nicht richtig begriffen zu haben, was gerade in diesem See wirklich passiert ist. Die NAUTILUS wäre um ein Haar in Seenot geraten und dieses lächerliche Unterseeboot schippert in aller Ruhe an uns vorbei, als wäre nichts geschehen!«

»Und was ist so schlimm daran?« Ben klang ein bisschen beleidigt.

»Was immer in diesem Berg der Geister ist«, antwortete Trautman ernst, »es ist eine gewaltige Kraft. Eine Kraft, die immerhin in der Lage ist, ein Schiff wie die NAUTILUS in Gefahr zu bringen. Und wie es aussieht, sind Berghoff und seine Freunde gerade auf dem Weg, um das Geheimnis dieser Kraft zu lösen. Wollt ihr das?«

Niemand antwortete, aber alle mit Ausnahme Kanuats – sahen sich betroffen an.

»Vielleicht ist es ja nur Zufall«, sagte Chris.

»Ein verlockender Gedanke«, antwortete Trautman. »Aber ich fürchte, auch nicht mehr. Ich habe mich die ganze Zeit über gefragt, was die Deutschen hier eigentlich wollen. Immerhin ist Sadsbergen eine norwegische Stadt. Selbst das deutsche Kaiserreich braucht einen triftigen Grund, um die Souveränität eines anderen Staates zu verletzen.«

»Und Sie glauben, es wäre dieser Berg?« »Etwas in diesem Berg«, sagte Trautman. Er wandte sich an Kanuat. »Wann sind die Deutschen gekommen?«

Der Inuit war bisher intensiv damit beschäftigt gewesen, Astaroth zu streicheln, der sich auf seinem Schoß zu einem Ball zusammengerollt hatte und lautstark schnurrte. Trotzdem war er

ihrem Gespräch offenbar aufmerksam gefolgt, denn er

antwortete sofort: »Vor drei Jahren.« »Und wie oft kommt eines ihrer Schiffe?« »Die, die unter Wasser fahren, oft«, antwortete Kanuat.

»Vielleicht fünf-, sechsmal im Jahr. Vielleicht mehr. Wir sehen sie nicht immer.«

Trautman seufzte. »So viel zu deiner Idee, Chris. Ich fürchte, hier geht etwas sehr Großes vor. Aber nichts besonders Gutes.« »Und was wollen Sie tun?«, fragte Juan.

»Was ich von Anfang an tun wollte«, erwiderte Trautman. »Wir müssen zu diesem Berg. Und jetzt haben wir mehr Grund dazu denn je.«

Seinen Worten folgte ein fast betretenes Schweigen und zumindest in Mikes Fall auch ein Gefühl eisigen Entsetzens. Allein der Gedanke, noch einmal in diese Einöde hinauszugehen, ließ ihn noch mehr frieren.