Выбрать главу

Es passierte, als sie den Ausgang fast erreicht hatten. Trautman, der nur wenige Schritte vor ihm herstürmte, taumelte einmal kurz und griff sich mit der Hand an den linken Oberarm. Mike sah, wie Blut zwischen Trautmans Fingern hindurchquoll und seine Jacke dunkel färbte.

»Trautman!«, keuchte er. »Sind Sie –!«

»Das ist nur ein Kratzer!«, schrie Trautman zurück.

»Lauft weiter!«

Endlich waren sie im Freien, stürmten nach links und waren für einen Moment wenigstens aus dem Schussfeld der Soldaten heraus. Vor ihnen lag jetzt wieder ein Gewirr von Eisbrocken und -spalten, in dem es ihnen vielleicht möglich war, ihren Verfolgern zu entgehen.

Trotz seiner Verletzung stürmte Trautman so schnell voran, dass Mike und Kanuat Mühe hatten, Schritt zu halten. Aber Mike machte sich nichts vor: Trautman blutete heftig. Selbst wenn er nicht wirklich schwer verletzt war, würde ihn der Blutverlust rasch schwächen. Sie brauchten einen Ort, an dem sie sich vor den deutschen Soldaten verstecken konnten.

Mittlerweile hatten auch die Soldaten den Tunnel verlassen und eröffneten wieder das Feuer. Das Gelände gab ihnen einigermaßen Deckung, sodass die meisten Schüsse harmlos vorüberpfiffen, aber zwei-oder dreimal spritzten auch in unangenehmer Nähe Splitter aus dem Eis. Dazu kam, dass sie immer wieder auf dem glatten Eis ausrutschten und hinfielen. Aber sie konnten es nicht wagen, langsamer zu werden.

»Da oben!« Kanuat deutete auf eine Stelle vielleicht zehn oder fünfzehn Meter über ihnen, an der ein gezackter Riss die Eiswand spaltete. Dahinter schimmerte Tageslicht. Wenn sie es schafften, dort hinaufzukommen, hatten sie vielleicht eine Chance.

Mike tauschte einen bezeichnenden Blick mit Kanuat. Der Inuit nickte unmerklich. Sie stürmten los, nahmen Trautman in die Mitte und beschleunigten ihre Schritte noch weiter, so gut es auf dem immer steiler werdenden Eis überhaupt möglich war. Trautman keuchte vor Schmerz, tat aber trotzdem sein Möglichstes. Auf dem letzten Stück wurde der Weg so steil, dass sie beinahe auf Händen und Knien kriechen mussten. Aber die schiere Todesangst gab ihnen die Kraft, es irgendwie zu schaffen.

Oben angekommen waren sie so erschöpft, dass sie sich für einen Moment zu Boden sinken lassen mussten, um zu Atem zu kommen. Trautman presste die Hand auf seinen verletzten Arm und biss die Zähne zusammen. Er sagte nichts, aber sein Gesicht war mittlerweile fast grau geworden und trotz der Kälte war sein Gesicht schweißnass.

»Wie geht es Ihnen?«, fragte Mike.

Trautman verzog das Gesicht zu etwas, was ein Lächeln sein sollte. »Ich habe mich selten besser gefühlt«, sagte er. »Warum fragst du?«

»Hört auf zu reden!« Kanuat deutete nach unten. »Sie kommen. Wir müssen weiter!«

»Ich schaffe es nicht«, sagte Trautman. »Lasst mich hier. Ich versuche sie aufzuhalten.«

»Unsinn!«, widersprach Mike. »Ich bin nicht mitgekommen, um Sie im Stich zu lassen, sondern um Ihnen zu helfen.«

»Aber du hilfst mir nicht, wenn du dich auch gefangen nehmen lässt!«, antwortete Trautman. »Schlagt euch zur Küste durch. Ihr müsst die NAUTILUS finden. Und dann sagst du Singh, dass genau das passiert ist, wovor wir uns seit fünf Jahren gefürchtet haben. Er weiß dann schon, was zu tun ist.«

»Also doch«, sagte Mike. »Sie haben die ganze Zeit über –«

»Das ist jetzt wirklich nicht der Moment, Mike!«

Das Schlimme ist, dass er Recht hat, dachte Mike. In jeder Beziehung. Jetzt war weder der Moment für Erklärungen noch konnten sie Trautman mitnehmen. Er wurde immer schwächer. Ihre Verfolger würden sie binnen weniger Minuten einholen. »Haut schon ab!«, schnappte Trautman. »Macht euch keine Sorgen um mich! Sie werden mir nichts tun. Vom Dorff kann es sich gar nicht leisten, mich umzubringen. Nicht bevor ich ihm verraten habe, was ihr wisst. Und das werde ich ganz bestimmt nicht tun!«

Wie um seine Worte noch zu unterstreichen, erschien in diesem Augenblick der Kopf des ersten deutschen Soldaten über der Eiskante. Kanuat boxte ihm auf die Nase. Der Mann schrie auf, ließ seinen Halt los und kippte nach hinten. Zur Antwort krachte unten eine ganze Salve Gewehrschüsse und Kanuat zog hastig den Kopf ein. »Weg hier!«

Mike zögerte noch einen letzten Moment, aber dann sah er endlich ein, dass sie nichts mehr für Trautman tun konnten. Hastig sprang er auf und folgte Kanuat. Trotzdem hatte er das Gefühl, dass er einen guten Freund im Stich gelassen hatte.

Der Spalt führte ungefähr fünfzehn Meter tief in den Eisberg hinein und auf der anderen Seite wieder hinaus. Statt des erwarteten Gewirrs aus Kanten und reißenden Spitzen befand sich vor ihnen eine schräge, vollkommen glatte Fläche, über die sie wie auf einer von der Hand der Natur modellierten Rutschbahn in die Tiefe schlittern konnten. Unten angekommen sprangen sie sofort wieder auf die Füße und hetzten weiter.

Mike sah mit klopfendem Herzen über die Schulter zurück. Der Felsspalt, aus dem sie herausgekommen waren, blieb leer. Entweder es war Trautman tatsächlich gelungen, ihre Verfolger aufzuhalten, oder sie hatten die Jagd abgebrochen und gaben sich mit einem Gefangenen zufrieden. Zu seiner Erleichterung hörte er jedoch auch keine weiteren Schüsse.

Trotzdem rannten sie noch eine ganze Weile weiter, ehe sie es

zum ersten Mal wagten, anzuhalten. Mike ließ sich schwer atmend auf einen Eisklotz sinken, während Kanuat trotz der kräftezehrenden Hetzjagd noch geradezu unverschämt frisch wirkte.

»Haben wir es geschafft?«, keuchte Mike.

»Für den Moment«, sagte Kanuat. »Aber sie werden nicht aufgeben. Wir sind noch nicht in Sicherheit.«

»Ich brauche einen Moment Ruhe«, presste Mike hervor. Sein Herz raste, als wollte es jeden Moment aus seinem Hals herausspringen. »Sind wir ... weit von deinem Schlitten entfernt?«

Kanuat sah sich einen Moment unschlüssig um, ehe er antwortete. »Ehrlich gesagt weiß ich es nicht«, gestand er.

»Sie haben sich verirrt?«

»Wir«,verbesserte ihn Kanuat. »Wirhaben uns verirrt. Aber damit hast du leider Recht. Hier sieht alles gleich aus. Und ich war noch nie hier.«

Das stimmt, dachte Mike niedergeschlagen. In dem Gewirr bizarr geformter Eisstrukturen und Spalten war es wahrscheinlich vollkommen unmöglich, sich nicht zu verirren.

»Der Schlitten würde uns sowieso nichts nutzen«, murmelte er. »Sie würden uns sofort sehen, wenn wir uns auf das Eis hinauswagen.« Er sah Kanuat Verzeihung heischend an. »Es tut mir Leid.«

»Was?«

»Dass wir Sie in diese Situation gebracht haben«, sagte Mike. »Sie hätten auf Ihre innere Stimme hören und uns davonjagen

sollen. Wir hatten kein Recht, Sie um Hilfe zu bitten.«

»Es war meine Entscheidung«, antwortete Kanuat. »Außerdem ist es sinnlos, einmal gemachte Fehler zu bejammern.«

Mike war ein bisschen enttäuscht. Er hatte gehofft, dass Kanuat ihm heftiger widersprechen würde. Stattdessen fuhr der Inuit fort:

»Es muss einen Weg in diesen Berg hinein geben. Jetzt, da wir wissen, dass es ihn gibt, werden wir ihn auch finden.«

»Wenn die Deutschen uns nicht vorher einfangen.« Mike stand auf. »Aber Sie haben Recht. Je eher wir mit der Suche anfangen, desto –«

Der Boden unter ihm gab nach. Das vermeintlich massive Eis, auf das er den Fuß setzte, erwies sich als kaum fingerdicke Schicht, die unter seinem Gewicht wie Glas zersplitterte. Darunter kam ein gut metergroßer, kreisrunder Schacht zum Vorschein, der im steilen Winkel in eine bodenlose Tiefe hinabführte.