Vom Dorff ignorierten ihn.
»Ich höre«, sagte Vom Dorff. Er wirkte sehr angespannt. Anders als bisher trug er jetzt nicht mehr seinen eleganten Anzug, sondern eine dunkelblaue Uniform, die ihm ausgezeichnet stand. »Sie haben gewonnen, Vom Dorff«, sagte Trautman. »Ich gebe auf. Ich kann nicht gegen meinen eigenen Sohn kämpfen.« »Und was genau soll das bedeuten?«, fragte Vom Dorff. Sein Misstrauen war nicht zu übersehen. »Ich werde Ihnen alles erzählen, was Sie wissen wollen«, antwortete Trautman. »Alles, was ich selbst
über die atlantische Technik weiß.« »Das hat Ihr Sohn bereits getan«, antwortete Vom Dorff, aber Trautman machte nur eine abfällige Geste mit der gesunden Hand.
»Sie glauben doch wohl nicht, dass ich ihm alles beigebracht habe«, sagte er. »Ich habe ihm nie völlig getraut, und wenn Sie sich mit ihm unterhalten haben, dann wissen Sie das auch. Wäre es nicht so, würden Sie sich wahrscheinlich gar nicht mit mir abgeben.«
Vom Dorff antwortete nicht darauf, aber sein Schweigen schien Trautman auch Antwort genug zu sein, denn er fuhr nach einigen Sekunden fort: »Ich kenne all diese Maschinen und Apparate hier. Geben Sie mir eine Woche und ich erwecke diese gesamte Anlage wieder zum Leben. Dann haben Sie eine Festung, die alle Armeen der Welt zusammen nicht einnehmen könnten.«
Wieder starrte Vom Dorff ihn lange und schweigend an. In seinem Gesicht arbeitete es. Mike konnte regelrecht sehen, wie sich die Gedanken hinter seiner Stirn jagten. Ihn selbst erfüllten Trautmans Worte mit einer Mischung aus Entsetzen und hysterischer Erleichterung, aber für Vom Dorff mussten sie eine kolossale Verlockung darstellen.
»Ich würde Ihnen ja gerne glauben«, sagte er schließlich. »Aber es fällt mir schwer, diesen plötzlichen Sinneswandel zu akzeptieren. Warum sollte ich Ihnen glauben?«
»Weil ich eine Gegenleistung verlange«, sagte Trautman. Er deutete auf Mike. »Sie werden ihn freilassen.
Ihn und die anderen, sollte es meinem Sohn tatsächlich gelingen, die NAUTILUS zu kapern. Ihre Freiheit gegen mein Wissen. Das ist mein Angebot. Ich werde nicht darüber verhandeln.«
»Das klingt fair«, sagte Vom Dorff. »Aber ich kann es nicht allein entscheiden. Und ich brauche einen Beweis, dass Sie es auch wirklich ernst meinen.«
»Bringen Sie mich in die Schaltzentrale und ich zeige Ihnen Dinge, von denen Sie bisher noch nicht einmal geträumt haben«, sagte Trautman.
Vom Dorff schürzte die Lippen. »Für wie dumm halten Sie mich, alter Mann? Sie glauben doch nicht wirklich, ich bringe Sie ins Herz dieser Anlage und lasse Sie an allen möglichen Knöpfen und Schaltern herumspielen –«
»Um was zu tun?«, unterbrach ihn Trautman. »Die ganze Stadt in die Luft zu jagen? Kaum. Das würde auch unseren Tod bedeuten. Nicht, dass ich noch so sehr an meinem Leben hänge. Ich bin ein alter Mann, der seine letzten Jahre längst hinter sich hat. Aber ich würde niemals Mikes Leben in Gefahr bringen.«
Das überzeugte Vom Dorff. Er zögerte zwar noch einmal ein paar Sekunden, nickte aber dann und trat zwei Schritte von Trautmans Bett zurück. »Also gut«, sagte er. »Sie bekommen Ihre Chance. Aber tun Sie nichts Unüberlegtes. Wenn Sie versuchen, mich reinzulegen, dann muss Ihr junger Freund hier darunter leiden.«
Es verging noch einmal fast eine Stunde, nachdem Vom Dorff gegangen war, bis sie von zwei Soldaten abgeholt und in die Schaltzentrale der atlantischen Festung gebracht wurden. Sie befand sich in einem großen, würfelförmigen Gebäude unmittelbar am Hafen, das zahlreiche Balkone und
Außentreppen hatte, und Mike bekam den Mund vor Staunen
gar nicht wieder zu, kaum dass sie es betraten.
Von außen wirkte das Gebäude klotzig, aber sein Inneres entpuppte sich als wahres technisches Labyrinth. Der Raum, in den die Soldaten sie brachten, wirkte wie eine dutzendfach vergrößerte und hundertfach kompliziertere Version des Kommandopultes an Bord der NAUTILUS. Die Wände waren mit Bildschirmen, Monitoren und tausend verschiedenen Kontroll-und Messinstrumenten übersät und vor drei der vier Wände standen verwirrende Kontrollpulte, deren bloßer Anblick Mike schon fast schwindeln ließ.
Vom Dorff saß in einem bequemen Ledersessel mit übergroßer Lehne, stand aber bei ihrem Eintreten auf. »Nun, Herr Trautman«, begann er. »Sie sehen, ich habe mein Wort gehalten. Das hier ist das Herz dieser ganzen Stadt.«
»Eher ihr Gehirn«, antwortete Trautman. Er trat langsam auf Vom Dorff zu, blieb einen Schritt vor ihm stehen und ließ seinen Blick nachdenklich über das komplizierte Durcheinander von Instrumenten und Gerätschaften gleiten. Er runzelte die Stirn. Mike fand, dass er ein bisschen hilflos aussah.
»Sie erkennen also unser Problem«, sagte Vom Dorff spöttisch. »Das alles ist wirklichsehrkompliziert. Aber Sie kennen sich ja damit aus – hoffe ich.«
»Für den Anfang wird es reichen«, sagte Trautman. »Wenn ich das hier richtig sehe, dann ist es Ihnen nicht einmal gelungen, die Heizung richtig einzustellen. Es ist zu warm hier. In drei Jahren schmilzt Ihnen der Himmel über dem Kopf weg.«
»Können Sie das korrigieren?«, fragte Vom Dorff. »Das wäre schon ein guter Anfang.«
»Kein Problem«, sagte Trautman. »Aber ich glaube, ich weiß sogar noch etwas Besseres.«
Vom Dorff machte ein fragendes Gesicht und Trautman lächelte, drehte sich fast gemächlich zu ihm um und verpasste ihm einen Kinnhaken.
Sein rechter Arm hing noch immer in der Schlinge und er war mindestens dreißig Jahre älter als Vom Dorff, aber alter Mann oder nicht, verletzter Arm hin oder her, seine Linke war immer noch so gut wie in seinen besten Jahren. Vom Dorff wurde ein gutes Stück von den Füßen und in die Höhe gerissen, verdrehte die Augen und stürzte rücklings in seinen Sessel zurück. Noch während er fiel, wirbelte Trautman mit einer schier unglaublich schnellen Bewegung herum, sprang zum Kontrollpult und senkte den Finger auf eine große, orangerot leuchtende Taste.
Mike hielt vor Entsetzen die Luft an, als die beiden Soldaten ihre Gewehre hoben und auf Trautman richteten.
»Das würde ich mir überlegen«, sagte Trautman. »Ich zweifle nicht daran, dass Sie mich mit dem ersten Schuss treffen, meine Herren. Aber Sie sollten schon sehr sicher sein, dass ich keine Gelegenheit mehr finde, diesen Knopf zu drücken. Denn wenn es mir gelingt, dann hat Grönland in Zukunft eine neue Attraktion ... einen künstlichen Vulkan.«
Die Männer zögerten. Ihre beiden Gewehre waren weiter auf Trautmans Kopf gerichtet und ihre Finger spielten nervös an den Abzügen. Aber Mike sah auch den Ausdruck in ihren Augen. Sie hatten Angst. Er übrigens auch.
»Die Gewehre runter!«, befahl Trautman. »Ich habe nichts mehr zu verlieren, meine Herren!«
Einer der Soldaten senkte zögernd sein Gewehr, sah dann noch einmal unschlüssig von Vom Dorff zu Trautman und dem roten Knopf, über dem seine Hand schwebte – und legte die Waffe dann zu Boden. Einen Moment später folgte sein Kamerad seinem Beispiel.
»Mike!«, sagte Trautman.
Mike trat rasch zu den beiden Männern hin, schleuderte eines der beiden Gewehre mit einem Fußtritt in die gegenüberliegende Ecke des Raumes und hob das andere auf. Hastig wich er wieder ein paar Schritte zurück und richtete die Waffe auf die beiden Männer. »Alles in Ordnung?«, fragte Trautman.
Mike nickte. Natürlich war nichts in Ordnung. Das Gewehr lag schwer und irgendwie unangenehm in seiner Hand und er war sich sehr deutlich der Tatsache bewusst, wie wenig ihm diese Waffe nutzte, wenn es hart auf hart kam. Er würde niemals auf einen Menschen schießen.
Aber das konnten die beiden Soldaten natürlich nicht wissen.