»Gut.« Trautman seufzte tief und hörbar erleichtert – und drückte den roten Schalter mit aller Kraft in die Fassung. Mike fuhr erschrocken zusammen und die beiden Soldaten wurden kreidebleich.
Ein leises, metallisches Schnappen erklang. Unter der Decke des Raumes öffnete sich eine Anzahl paralleler Schlitze und ein Strom eiskalter Luft fauchte herein.
»Hoppla«, sagte Trautman grinsend. »Da habe ich doch glatt die Klimaanlage erwischt. Bei all diesen Knöpfen kann man
aber auch wirklich zu leicht die Übersicht verlieren.«
Einer der beiden Soldaten riss die Augen auf und wurde noch blasser. Der andere machte einen halben Schritt vorwärts und blieb wieder stehen, als Mike drohend das Gewehr hob. Trautman grinste noch breiter, ging ohne das geringste Anzeichen von Hast zur anderen Seite des Raumes und hob das zweite Gewehr auf.
»Und jetzt raus!«, sagte er.
Die beiden Soldaten verschwanden wie der Blitz und Trautman wandte sich wieder zum Kontrollpult zu und blickte stirnrunzelnd über das Durcheinander von Skalen und Knöpfen. Nach ein paar Sekunden drückte er einen Knopf und mit einem dumpfen Knall senkte sich eine massive Eisenplatte aus der Decke und verschloss die Tür.
»So«, sagte Trautman erleichtert. »Das dürfte für den Anfang erst einmal reichen. Jetzt müssen sie sich schon etwas einfallen lassen, um hier hereinzukommen.«
»Ich wusste es!«, sagte Mike.
»Was?«
»Dass Sie sich niemals mit diesen Verbrechern einlassen würden«, antwortete Mike. »Ich wusste nur nicht genau, was Sie vorhatten.«
»Freu dich nicht zu früh«, sagte Trautman. »Wir sind hier drinnen zwar halbwegs in Sicherheit, aber wir sind zugleich auch gefangen.«
Vom Dorff regte sich stöhnend. Trautman legte rasch das Gewehr beiseite und bedeutete Mike, ihm zu helfen. Gemeinsam fesselten sie Vom Dorffs Arme und Beine an den Stuhl, und sie waren kaum damit fertig, als der Deutsche die Augen aufschlug. Mike hatte damit gerechnet, dass Vom Dorff sich mit aller Kraft gegen seine Fesseln wehren oder sie zumindest mit Beschimpfungen und Drohungen überschütten würde, aber Vom Dorff saß einfach nur da und starrte Trautman und ihn abwechselnd an. Es verging fast eine Minute, bis er das Schweigen brach.
»Das war nicht besonders klug von Ihnen, Herr Trautman«, sagte er.
Trautman ballte die linke Hand vor dem Gesicht zur Faust und blickte nachdenklich auf seine Knöchel hinab. »Möglicherweise«, gestand er. »Aber es hat verdammt gut getan.«
»Mir nicht«, sagte Vom Dorff. »Und was haben Sie jetzt vor, wenn ich fragen darf?«
»Sie dürfen«, antwortete Trautman. Er zog sich einen zweiten Stuhl heran, setzte sich und begann sich am Kontrollpult zu schaffen zu machen. Schon nach wenigen Augenblicken erwachte ein Großteil derBildschirme und Kontrollinstrumente an den Wänden zum Leben. Überall auf den Pulten flackerten Lämpchen und bewegten sich Zeiger über fremdartig beschriftete Skalen und für einen kurzen Moment hatte Mike das Gefühl, ein machtvolles Vibrieren zu spüren, das durch den Boden unter ihren Füßen lief. »In einem Punkt haben Sie ja offenbar die Wahrheit gesagt«, sagte Vom Dorff. »Sie kennen sich mit diesen Geräten aus.«
»Besser, als Ihnen wahrscheinlich lieb ist«, grollte Trautman.
»Das nutzt Ihnen nichts«, beharrte Vom Dorff. »Sie kommen hier nicht heraus. Und der Junge auch nicht.«
»Da wäre ich nicht so sicher«, sagte Trautman.
»Wenn Sie darauf spekulieren, dass meine Leute auf mich Rücksicht nehmen, könnten Sie eine böseÜberraschung erleben«, sagte Vom Dorff. »Weder Berghoff noch Hansen werden sich erpressen lassen. Und Ihr Sohn schon gar nicht. Also, was zum Teufel glauben Sie mit dieser Wahnsinnsaktion eigentlich erreichen zu können?«
»Ich gehe nur sicher, dass Sie auch Ihr Wort halten«, sagte Trautman. »Mike, siehst du die beiden großen grünen Schalter dort drüben? Drück sie nacheinander, wenn ich dir das Zeichen gebe.«
Mike gehorchte, und kaum hatte er es getan, da begann der Boden unter ihnen wieder zu vibrieren. Diesmal hörte das Zittern nicht wieder auf. Trautman nickte zufrieden und fuhr fort, in rascher Folge Knöpfe zu drücken und Buchstaben-und Zahlenkombinationen in Tastaturen zu hämmern. Eine Alarmsirene begann zu heulen und verstummte mit einem misstönenden Quietschen wieder, als Trautman ärgerlich auf eine Taste schlug. Schließlich lehnte er sich in seinem Sessel zurück und ließ einen langen, zufriedenen Seufzer hören.
»Was haben Sie getan?«, fragte Vom Dorff misstrauisch.
»Ich will versuchen, es einfach auszudrücken«, antwortete Trautman. »Diese ganze Stadt wird von einer Energiequelle der gleichen Art gespeist, die es auch an Bord der NAUTILUS und der WOTAN gibt. Es ist ein Reaktor, der dieselben Kräfte freisetzt, wie sie zum Beispiel im Inneren der Sonne herrschen. Können Sie mir noch folgen?«
Vom Dorff nickte. Er war sehr blass geworden.
»Sie können sich vorstellen, dass es nicht leicht ist, diese Kräfte zu bändigen«, fuhr Trautman fort. »Und was passiert, wenn sie außer Kontrolle geraten. Es gibt hochkomplizierte Mechanismen, die sie unter Kontrolle halten. Ich habe diesen Mechanismus gerade außer Kraft gesetzt.«
»Wie?« Vom Dorff riss entsetzt die Augen auf. »Was ... was bedeutet das?«
»Wenn ich die Grafitstäbe nicht wieder hineinschiebe«, antwortete Trautman lächelnd, »dann gibt es eine Kernschmelze. In genau sechs Stunden. Das sagt Ihnen wahrscheinlich nichts, aber Sie können sicher sein, dass im Umkreis von zwanzig Kilometern hier kein Stein auf dem anderen bleibt.«
»Das meinen Sie nicht ernst!«, keuchte Vom Dorff. Plötzlich begann er doch wie verrückt an seinen Fesseln zu zerren. »Das würde auch Ihren eigenen Tod bedeuten! Und den Mikes!«
»Nur, wenn ich es nicht stoppe«, erklärte Trautman. »Das ist kein Problem. Ich muss nur ein paar ganz bestimmte Knöpfe drücken. Leider fürchte ich, dass ich der Einzige bin, der genau weiß, welche.«
»Dann tun Sie es!«, verlangte Vom Dorff.
»Gerne«, antwortete Trautman. »Sobald Sie Mike freigelassen haben und ich sicher bin, dass er weit genug weg ist.«
»Sie bluffen«, behauptete Vom Dorff.
Trautman hob die unverletzte Schulter. »Warten Sie einfach sechs Stunden ab, dann wissen Sie es. Ich habe nichts mehr zu verlieren. Und Mike auch nicht. Sie bringen uns beide sowieso um, sobald Sie haben, was Sie wollen. Oder stecken uns für den Rest unseres Lebens in den Kerker, was vielleicht noch schlimmer ist.«
»Was genau verlangen Sie?«
»Das wissen Sie«, sagte Trautman. »Lassen Sie Mike gehen. Sobald er in Sicherheit ist, stoppe ich den Reaktor.«
»Und wenn nicht, bringen Sie Hunderte von Menschen um?« Vom Dorff schüttelte heftig den Kopf.
»Das glaube ich Ihnen nicht.«
»Ich behaupte nicht, dass ich es gerne tue oder es mir nichts ausmacht«, sagte Trautman. Auf dem Pult vor ihm begann eine rote Lampe zu flackern. Trautman sah sie einen Moment lang stirnrunzelnd an, dannfuhr er fort: »Aber es wäre das kleinere Übel. Wenn dieser verrückte Berghoff und mein missratener Sohn diese Anlage hier in ihre Hände bekommen, dann werden vielleicht Tausende sterben. Millionen, möglicherweise. Und Mike und die anderen von der NAUTILUS ganz sicher. Lassen Sie den Jungen gehen und ich schalte ab. Wenn nicht ...«
»Ich gehe nicht allein von hier weg!«, sagte Mike. »Und ob du das tun wirst«, erwiderte Trautman. »Willst du lieber zusammen mit mir hier sterben? Du verschwindest! Das ist ein Befehl!«
»Und Sie?«
Trautman schnaubte. »Du musst dir keine Sorgen um mich machen«, sagte er. »Sie werden mir nichts tun. Nicht, solange ich ihnen nicht alles über diese Apparate hier verraten habe, was ich weiß. Und das wird sehr, sehr lange dauern. Es sind eine Menge Knöpfe und mein Gedächtnis ist nicht mehr das beste.« Er wandte sich an Vom Dorff. »Also?«