»Mike? Das ist kein deutscher Name.«
»Er kommt aus Neuseeland«, antwortete Trautman. »Ich habe ihn in einer Kaschemme in Hongkong aufgelesen«, sagte Trautman. »Damals konnte er nicht einmal lesen und schreiben, geschweige denn sich daran erinnern, wo er herkommt und wer seine Eltern sind.«
»Und da haben Sie sich seiner angenommen«, stellte Vom Dorff fest. »Nun, das ist genau die Gesinnung, die man von einem deutschen Kapitän erwarten sollte. Apropos Kapitän ... Ich habe Ihr Schiff gar nicht im Hafen gesehen.«
»Das liegt vielleicht daran, dass es nicht im Hafen ist«, antwortete Trautman unfreundlich. »Wieso haben Sie den Wirt einen Halsabschneider genannt?« »Weil er es ist«, behauptete Vom Dorff. »Ich hoffe doch, Sie haben ihn nicht für diese Giftbrühe bezahlt, die er Ihnen vorgesetzt hat?« Er wartete Trautmans Antwort gar nicht ab, sondern herrschte den Wirt in einer Sprache an, die Mike nicht verstand. Der Mann kam zögernd zurück und starrte ihn trotzig an, griff aber nach einigen Augenblicken trotzdem in die Tasche und zog die Perle hervor, die Trautman ihm gegeben hatte. Vom Dorff nahm sie ihm weg, drehte sie einen Moment lang zwischen den Fingern und legte sie dann vor den völlig überraschten Trautman auf die Tischplatte.
»Ein wunderbares Stück«, sagte er. »Sie sollten vorsichtiger mit Ihrem Eigentum sein, Herr Trautstein. Glauben Sie mir, diese Eskimos sehen nur aus wie halbwegs zivilisierte Menschen. Aber unter dem Schmutz auf ihren Gesichtern sind sie immer noch die primitiven Wilden, die sie immer schon gewesen sind. Und ich fürchte, das werden sie auch für immer bleiben.«
»Aber ich kann den Mann sonst nicht bezahlen«, sagte Trautman.
Vom Dorff grinste. »Wenn Sie gestatten, erledige ich das. Und ich besorge Ihnen und Ihrem Freund auch ein vernünftiges Nachtlager.«
»Ich weiß nicht, ob ich das annehmen kann«, sagte Trautman. »Sie sind ein vollkommen Fremder. Warum tun Sie das?«
»Wir sind Landsleute«, sagte Vom Dorff in leicht überraschtem Ton. »Für mich ist es eine Ehrensache, einem Landsmann zu helfen, der in Not ist.«
»Wie kommen Sie darauf, dass wir in Not sind?«
»Niemand, der seine fünf Sinne noch beisammen hat, kommt freiwillig nach Sadsbergen«, grinste Vom Dorff. Dann lachte er, zog ein paar Münzen aus der Tasche und warf sie auf den Tisch, während er aufstand. »Kommen Sie, Kapitän. Ich habe richtiges Bier zu Hause. Deutsches Bier. Sie mögen das doch, oder?«
Vom Dorffs Haus lag am anderen Ende der Stadt, was aber trotzdem nur einen Fußmarsch von zehn Minuten bedeutete. Sadsbergen war wirklich eine kleine Stadt. Sie bestand nur aus einigen Dutzend kleiner, fast ärmlicher Hütten und befand sich fest im Griff des Winters. Nur in den wenigsten Häusern brannte Licht und sie trafen keinen einzigen Menschen, obwohl es noch nicht einmal zehn Uhr war. Hätte der Wind nicht dann und wann das Bellen eines Hundes herangetragen, hätte man glauben können, in einer Geisterstadt zu sein.
Oder in einer Stadt, deren Bewohner vor irgendetwas Angst hatten.
Als sie sich Vom Dorffs Haus näherten, berührte ihn Trautman verstohlen am Arm und machte eine Kopfbewegung nach oben. Mikes Blick folgte der Geste und er entdeckte etwas, was wirklich nicht in eine kleine Inuit-Siedlung am Ende der Welt passte: Das vom Eis verkrustete Gespinst einer Antenne.
Hastig senkte er den Blick wieder. Dass mit Vom Dorff etwas nicht stimmte, war ihm längst klar. Aber der Deutsche musste jetzt nicht unbedingt merken, dass sie es gemerkt hatten.
Sie betraten das Haus und Mike erlebte eine Überraschung. Drinnen war es nicht nur behaglich warm und überraschend hell, das Haus war regelrecht luxuriös eingerichtet. Von einem offenen Kamin, in dem ein Feuer prasselte, bis hin zu antiken Möbeln gab es alles, was das Herz begehrte.
»Erstaunlich!«, sagte Trautman, während er sich aus seiner Jacke zu schälen begann.
Vom Dorff klatschte in die Hände, worauf sich eine Seitentür öffnete und ein einfach gekleideter Inuit eintrat, der Trautman und Mike aus den Jacken half. »Manchmal ist es regelrecht peinlich«, gestand Vom Dorff mit einem Grinsen, das seine Worte Lügen strafte. »Aber ich gestehe, dass ich einen gewissen Luxus auch genieße. Das Kaiserreich sorgt eben für seine Bediensteten.«
»Das Kaiserreich?«
»Oh, ich vergaß ...« Vom Dorff deutete mit einer Geste auf eine kleine Sitzgruppe am Kamin. »Ich bin der hiesige Handelsattaché. Nicht dass es hier viel zu handeln gäbe, wenigstens im Moment noch nicht, aber in Berlin ist man wohl der Meinung, dass deutscher Geschäftssinn auch im hintersten Winkel der Welt noch präsent sein sollte.«
Trautman sagte nichts dazu, sondern setzte sich und auch Mike nahm am Kamin Platz. Nach der Kälte draußen war das Feuer nicht nur wohltuend, sondern wirkte auch fast augenblicklich einschläfernd. Mikes Glieder wurden schwer und er hatte plötzlich Mühe, die Augen offen zu halten.
Vom Dorffs Hausdiener hatte ihre Sachen weggebracht und kam nun zurück. Vom Dorff gab ihm in seiner Muttersprache und scharfem Ton Anweisungen, dann wandte er sich wieder an Trautman. »Ich habe Ewata aufgetragen, das Gästezimmer herzurichten. Aber nun, bis es so weit ist, Herr Trautstein, verraten Sie mir, was Sie in diese ungastliche Gegend treibt – wenn Sie mir meine Neugier verzeihen.«
»Dasselbe wie Sie«, antwortete Trautman. »Geschäfte.«
»Wollen Sie eine Eisfabrik eröffnen?«, grinste Vom Dorff.
Trautman blieb ernst. Sekundenlang blickte er Vom Dorff durchdringend an, dann zuckte er mit den Achseln, als wäre er innerlich zu einem Entschluss gelangt, und sagte: »Warum
eigentlich nicht. Ich denke, Sie sind ein Ehrenmann, sodass ich Ihnen vertrauen kann.«
Er griff in die Tasche, zog einen Beutel heraus, von dem Mike wusste, dass er mehr als hundert der gleichen Perlen enthielt, mit denen er vorhin im Lokal bezahlt hatte, und reichte ihn Vom Dorff. Der deutsche Handelsattaché riss erstaunt die Augen auf, nachdem er einen Blick in den Beutel geworfen hatte.
»Sie verstehen, dass ich gezögert habe?«, fragte Trautman.
»Und ob«, antwortete Vom Dorff. »Das ist ... ein Vermögen. Aber verzeihen Sie mir die Frage, Kapitän
– was bringt Sie auf die abenteuerliche Idee, diese Perlen an einem Ort wie diesem verkaufen zu können? «
»Der Krieg«, antwortete Trautman.
»Der Krieg?« Trautman hob die Schultern. »Es sind unsichere Zeiten, Herr Vom Dorff. Ich verfüge leider nicht über
ein gutes Schiff. Jedenfalls über keines, das gut genug wäre, um sich damit in gefährliche Gewässer zu wagen. Und im Augenblick sindalleGewässer rund um Europa gefährlich.« »Das kommt ganz darauf an, auf welcher Seite man steht«, sagte Vom Dorff lauernd. »Ich stehe auf keiner Seite«, antwortete Trautman. »Der Krieg ist uns egal.« »Sie meinen, es wäre Ihnen gleich, wenn die Tommys und die Franzmänner gewinnen?« »Nein«, sagte Trautman. »Aber ich bin der Meinung, dass wir nichts an seinem Ausgang ändern können.
Das normale Leben muss weitergehen, auch wenn Krieg herrscht.« Vom Dorff schwieg einige Sekunden, in denen er Trautman mit unverhohlenem Misstrauen musterte. Mike verstand auch nicht wirklich, warum Trautman ihm diese komplizierte Geschichte auftischte. Es war nicht das erste Mal, dass sie gezwungen waren zu lügen, aber gerade Trautman hatte ihm immer wieder eingetrichtert, dass eine Lüge umso glaubhafter wurde, je näher
sie an der Wahrheit blieb. Und das, was Trautman gerade erzählt hatte, hatte nun wirklichnichtsmit der Wahrheit zu tun. »Ich habe noch mehr von diesen Perlen«, fuhr Trautman fort. »Mir liegt ein Angebot von einem