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Ich bewegte die Nasenflügel, versuchte mir über die Gerüche klar zu werden. Ich roch schimmeliges Stroh, ich nahm den Gestank menschlicher Ausscheidungen wahr. Von draußen drang der Duft nach Dattelpalmen und Erdäpfeln herein. Ich hörte eine Kaiila vorbeitraben, begleitet von Kaiilaglocken, und den Ruf eines Mannes aus der Ferne. Es schien alles ganz normal zu sein.

Ich machte den Geruch von Kortrinden aus, die auf den Steinen trockneten, wohin ich sie nach dem letzten Abendessen geworfen hatte. Winzige sandfarbene Insekten, Vints, krabbelten darauf herum. Vor der Tür roch es nach Käse und BaziTee. Ich hörte, wie sich der Wächter auf dem Stuhl vor meiner Tür bewegte. Ich roch seinen Schweiß und das Veminiumwasser, mit dem er sich den Hals eingerieben hatte. Ich lehnte mich gegen die Steine.

Offenbar hatte ich mich geirrt.

Ich schloß die Augen. ›Gebt Gor auf‹ das war die Nachricht gewesen, die vor kurzem im Sardargebirge eingetroffen war, vermutlich eine Aufforderung der Stahlwelten. Und vor Monaten hatte der Karawanenjunge Achmed, Sohn des Händlers Farouk aus Kasra, eine Inschrift auf einem Felsen entdeckt: ›Vorsicht vor dem Stahlturm. Und dann die Warnung auf der Kopfhaut Veemas: ›Vorsicht vor Abdul«. Aber das schien mir nicht weiter wichtig zu sein, war doch Abdul der Wasserverkäufer in Tor gewesen, sicher nur ein unbedeutender Agent der Anderen, der Kurii. Ich lächelte. Vor einem Niemand wie Abdul brauchte man sich nicht in acht zu nehmen. Auf der Reise zu den Neun Brunnen hatte ich den Stein gesehen; Achmed hatte mich mit einer Eskorte hingeführt, in der auch Shakar und Hamid mitritten.

»Der Tote ist fort!« rief Achmed. »Er hat hier gelegen!«

Dafür war der Stein noch an Ort und Stelle; die Buchstaben waren deutlich lesbar. Sie entstammten dem Taharischen, der Schrift der Taharivölker. Die Wüstenbewohner sprechen zwar goreanisch, doch im Einklang mit zahlreichen anderen isolierten Volksgruppen verwendeten sie nicht die allgemein übliche goreanische Schrift. Da eine gewisse Verwandtschaft herrschte, hatte ich wenig Mühe, den Text zu entziffern.

»Hier ist kein Toter«, hatte Shakar gesagt, der Hauptmann der Aretai.

»Wohin kann er verschwunden sein?« fragte Hamid, sein Leutnant. Diese Frage war durchaus berechtigt. Nirgendwo waren Knochen zu erblicken, keine Überreste einer Mahlzeit von Aasfressern. Außerdem machte die Stelle nicht den Eindruck, als sei hier kürzlich etwas im Sand begraben worden. Zwar kommt es vor, daß ein Sturm in der Tahari die Landschaft verändert, doch meistens wird der Sand sofort weitergetragen und kann sich nur an bestimmten Stellen ablagern. Abgesehen davon verwest ein Körper in der Tahari nur langsam. Stirbt ein Wüstentabuk an Wassermangel, und wird der Leichnam nicht von Aasfressern zerfleddert, hält sich das Fleisch mehrere Tage lang in eßbarem Zustand. Äußerlich kann ein totes Tier jahrhundertelang unverändert bleiben.

Ich lehnte an der Mauer und bewegte langsam den Kopf hin und her. Mein Metallkragen war unangenehm eng. Ich zerrte ein wenig an meinen Handfesseln. Ein Schweißtropfen lief an meinem linken Unterarm hinab. Ich konnte mich kaum bewegen, war gefangen; ein hilfloses Opfer Ibn Sarans.

Wieder schloß ich die Augen. Suleiman war nicht gestorben. Der Stich des Mörders in der allgemeinen Verwirrung hatte nicht zu dem gewünschten Resultat geführt.

Zwei Sklavinnen hatten bei der Gerichtsverhandlung gegen mich ausgesagt. Zaya, ein rothaariges Mädchen, das für Ibn Sarans Zuckerportionen zuständig war, und die dazugehörige Weinsklavin Vella, beide hatten ausgesagt, daß ich den heimtükkischen Stich ausgeführt hätte. Der Richter verurteilte mich zur Verbannung in die Salzgruben von Klima, die im Kern des Dünenlandes lagen. Dort sollte ich Salz fördern, bis die Sonne, die Sklavenherren oder das Salz mit mir fertig wurden. Von den Salzgruben, so ging das Gerücht, gab es keine Wiederkehr. In Klima gibt es keine Kaiila; sogar die Wächter sind unberitten. Karawanen bringen die Vorräte und holen das Salz ab. Abgesehen von den Brunnen des Lagers gibt es auf tausend Pasang kein Wasser mehr. Klimas sicherste Mauer ist die Wüste. Außerdem ist Klima ein Lager ohne Frauen, damit sich die Männer nicht ihretwegen streiten. Plötzlich wehte mir der Geruch in die Nase, eindeutig, klar. Meine Nackenhaare sträubten sich.

Ich bäumte mich in meinen Ketten auf. Ich war nackt und völlig hilflos. Ich vermochte nicht einmal die Hand schützend vor den Körper zu heben.

Ich roch einen Kur!

»Ist da jemand?« rief der Wächter von draußen. Ich hörte, wie sich sein Stuhl bewegte. Er stand auf.

Er bekam keine Antwort. Tiefes Schweigen.

Ich rührte mich nicht.

Er ging zur Schwelle des großen Raums, der vor den Zellen liegt. Er bewegte sich vorsichtig. An dieser Schwelle gibt es keine Tür. Es ist ein schmaler Durchgang am Fuße einer gewundenen Treppe.

»Wer ist da?« rief er und wartete. Doch es kam keine Antwort. Daraufhin drehte er sich um und kehrte zu seinem Stuhl zurück. Ich hörte ihn wieder Platz nehmen. Doch gleich darauf scharrten die Stuhlbeine erneut über den Boden. »Wer ist da?« brüllte er. Er schien seinen Krummsäbel zu ziehen. Er drehte sich heftig hin und her. Dann hörte ich einen undeutlichen gurgelnden Entsetzensschrei, der abrupt endete. Ein Knacken ertönte.

Danach waren keine deutlichen Geräusche mehr zu hören, nur das Schlecken einer großen Zunge, die sich vorsichtig, tastend, schmeckend in Blut bewegte.

Dann hörte ich, wie Körperteile zu Boden geworfen wurden. Die Freßgeräusche verstummten. Ich spürte, wie sich vor meiner Tür eine große Gestalt aufrichtete und langsam zu meiner Zelle umdrehte. Ich spürte mit allen Sinnen, daß das Geschöpf nun vor der Zellentür stand. Ich vermochte den Blick nicht von dem kleinen Fenster in der Tür abzuwenden, obwohl draußen nichts zu erkennen war. Ich spürte, daß das Wesen dort stand, daß es zwischen den Stäben hindurchblickte. Dann bewegte sich der Schlüssel im Schloß!

Die Tür schwang auf. Doch auf der Schwelle zeigte sich nichts. Im Hintergrund lagen die blutigen Überreste des Wächters. Den Kopf hatte das unsichtbare Geschöpf abgebissen. Ich sah, daß sich im Inneren der Zelle Stroh bewegte. Der Kur-Geruch war auffällig stark. Die unheimliche Kreatur schien vor mir zu stehen.

Die Kette an meiner linken Hand wurde angehoben. Zweimal zog jemand daran. Dann fielen die Metallglieder wieder auf den Boden. Ich spürte ganz deutlich, daß das Ungeheuer unmittelbar vor mir stand. Gleich darauf vernahm ich die Stimmen mehrerer Männer. Sie kamen näher.

Deutlich machte ich die befehlsgewohnte Stimme Ibn Sarans aus. Die Gruppe kam die Treppe herab. Ein Entsetzensschrei ertönte. Ich konnte die Szene durch die offene Zellentür verfolgen. Ibn Saran erschien persönlich auf der Schwelle er trug einen schwarzen Mantel und eine weiße Kaffiyeh mit schwarzer Schnur.

Sofort hatte er den Krummsäbel in der Hand der Reflex eines Wüstenkriegers. Er verschwendete keinen Blick auf die übel zugerichtete Leiche zu seinen Füßen, sondern suchte mit geübten Blicken den Raum ab.

»Zieht eure Waffen!« rief er seinen erschrockenen Männern zu. Die Soldaten vermochten die Augen nicht von der zerstückelten Leiche zu wenden. Mit der Breitseite seiner Klinge mußte er die Krieger antreiben.

»Achtung!« rief er. »Versperrt die Tür!«

Er blickte in die Zelle. Ich sah ihn an. Ich war in sitzender Stellung angekettet und vermochte mich kaum zu rühren. Ihn Saran lächelte verkrampft. »Tal«, sagte er.

»Tal«, erwiderte ich und blickte auf seinen Krummsäbel.

»Wer mag das getan haben?« fragte einer seiner Männer entsetzt.

»Ich bin gewarnt worden«, erwiderte Ibn Saran.

»Ein Djinn?« fragte jemand.

»Riecht ihr es?« fragte Ibn Saran. »Es ist noch hier!«

Ich hörte den Kur in der Nähe atmen.

»Versperrt die Tür!« sagte Ibn Saran.

Die beiden Männer an der Tür sahen sich um, schwenkten verängstigt die Klingen.

»Habt keine Angst, meine Freunde«, sagte Saran. »Hier ist kein Djinn am Werk, sondern ein Wesen aus Fleisch und Blut. Doch nehmt euch in acht!« Daraufhin ließ er die Männer in einer Reihe vor der gegenüberliegenden Wand vor der Zelle Aufstellung nehmen. »Man hat mich gewarnt, daß so etwas geschehen könnte«, sagte er. »Und es ist geschehen. Habt keine Angst. Wir werden es schaffen.«