Mit weit aufgerissenen Augen starrten sich die Männer an.
»Auf mein Signal hin«, sagte Ibn Saran, »rückt ihr in einer Reihe vor und hackt mit den Schwertern durch die Luft, aber achtet darauf, jeden Winkel zu erfassen. Wer den Gegner zuerst berührt, schreit sofort los; dann müssen sich die anderen säbelschwingend auf die Stelle stürzen, als wollten sie die Luft in Stücke hauen.«
Einer der Männer sah ihn an. »Aber hier ist doch gar nichts«, flüsterte er. Ibn Saran richtete sich auf und lächelte. »O doch«, sagte er. »Hier ist etwas. In der Tat!« Plötzlich rief er. »Ho!« und sprang vor, wobei er seine Waffe in schnellen diagonalen Hieben bewegte, Rückhand aufwärts, Vorhand abwärts, mit schnellen sicheren Drehungen der Klinge. Sein rechter Fuß stampfte vor, er drehte sich nach links, damit sein Körper ein möglichst kleines Ziel bot, der Kopf fuhr nach rechts, damit er einen klaren Überblick behielt, der rechte hintere Fuß stand im rechten Winkel zur Angriffslinie, wodurch eine gute Hebelwirkung erzielt und das Gleichgewicht gesichert wurde. Seine Männer folgten ihm; doch einige fuchtelten ohne rechte Überzeugung in der Luft herum.
»Hier ist nichts, edler Herr!« sagte wieder einer von ihnen. Ibn Saran stand an der Tür zur Zelle. »Er ist in der Zelle!« sagte er. Ich beobachtete seinen Säbel, eine bösartig aussehende gekrümmte Klinge. »Es ist gefährlich, die Zelle zu betreten«, sagte Ibn Saran. »Ihr folgt mir sofort und stellt euch in einer Reihe auf, mit dem Rücken zur diesseitigen Wand.«
»Wir sollten lieber die Tür schließen und verriegeln«, sagte ein Mann.
»Das Wesen würde die Gitterstäbe aus dem Fenster reißen und fliehen«, sagte Ibn Saran.
»Wie soll es das schaffen?« fragte der Mann ungläubig.
Offenbar hatte der Mann keine Ahnung von den Körperkräften eines Kur. Um so interessanter war die Erkenntnis, daß Ibn Saran Bescheid wußte.
»Ein solches Ungeheuer«, sagte er, »darf nicht in der Zelle bleiben. Wir müssen seine Leiche verschwinden lassen.«
Das konnte ich verstehen. Nur wenige Goreaner wußten von dem geheimen Krieg zwischen den Priesterkönigen und den Anderen, den Kurii. Die Leiche eines Kur hätte zweifellos viele Fragen ausgelöst und vielleicht sogar unwillkommene Spekulationen. Außerdem wären die Kurii auf diesen Ort aufmerksam geworden und hätten sich vielleicht für den Tod ihres Artgenossen gerächt.
»Ich gehe als erster in die Zelle«, fuhr Ibn Saran fort. »Ihr folgt mir.« Er hatte seine Lässigkeit völlig abgestreift und bewegte sich mit gefährlicher Zielstrebigkeit. Ibn Saran schien ein ungemein mutiger Mann zu sein. Mit einem Schrei warf er sich über die Schwelle der Zelle und hieb um sich. Seine verängstigten Männer folgten ihm und stellten sich mit bleichen Gesichtern nebeneinander vor der Wand auf. Der Durchgang zur Wendeltreppe im Vorraum war im Augenblick nicht bewacht dafür stand Ibn Saran vor der Zellentür.
»Hier ist nichts, Herr!« rief einer der Männer. »Das ist doch sinnlos!«
»Es ist fort«, sagte ich zu Ibn Saran.
Der Mann lächelte. »Nein«, widersprach er. »Das Wesen ist hier. Hier irgendwo.« Er wandte sich an seine Männer: »Seid still! Lauscht!«
Ich hörte nicht einmal mehr das Atmen der Männer. Sonnenlicht strömte durch das Gitterfenster auf die grauen Steine des strohbedeckten Bodens. Ich blickte auf die Männer, die Mauern, die trockenen Kortrinden auf dem Boden.
Von draußen drang die Stimme eines Mannes herein, der Melonen verkaufte. Zwei Kaiila trotteten mit klirrenden Glocken vorüber. Plötzlich stieß einer der Männer Ibn Sarans einen entsetzlichen Schrei aus. Ich hob den Kopf.
Die anderen wichen zurück.
»Rettet mich!« rief der Mann. »Hilfe!«
Er schien plötzlich von den Füßen gerissen worden zu sein; wie von unsichtbaren Fäden bewegt, hatte er sich zehn Fuß in die Luft gehoben. Dort wand er sich nun, gegen die Steine der Decke gepreßt, schreiend.
»Haltet die Stellung!« sagte Ibn Saran. »Haltet die Stellung!«
»Hilfe!« flehte der Mann.
»Jeder bleibt an seinem Platze!« wiederholte Ibn Saran noch einmal. Der Mann wurde langsam herabgesenkt. Er stieß einen kurzen Schrei aus; es folgte ein weiches gurgelndes Geräusch; eine Seite seines Halses war abgebissen worden; aus der Halsschlagader spritzte helles Blut.
»Keiner rührt sich!« brüllte Ibn Saran.
Ich bewunderte seine Klugheit. Wären seine Männer zum Angriff übergegangen, hätte der Kur ihnen sein Opfer entgegengeschleudert und wäre in dem nachfolgenden Durcheinander bestimmt entkommen. Ibn Saran stand kaltblütig vor der offenen Zellentür.
»Haltet die Säbel bereit!« brüllte er. »Ho!«
Die Männer griffen an, in einer Reihe rückten sie über den blutigen Boden vor; Ibn Saran blieb an der Tür stehen.
»Aii!« brüllte ein Mann und prallte erschrocken zurück. An seinem Säbel schimmerte Blut, »Ein Djinn!« rief er.
In diesem Augenblick stach Ibn Saran von der Tür mit gewaltigem Hieb zu.
Ein schmerzvolles Brüllen ertönte, ein Wutschrei, und ich sah, daß die Klinge auf etwa sechs Zoll mit dem Blut des Kur bedeckt war.
»Wir haben ihn!« brüllte Ibn Saran. »Haut zu! Haut zu!« Die Männer sahen sich um. »Dort!« brüllte Ibn Saran. »Das Blut!
Das Blut!« Ich erblickte einen Blutfleck auf dem Boden, dann den blutigen Abdruck einer mächtigen Klauentatze. Blutstropfen begannen wie aus dem Nichts hervorzuquellen und zu Boden zu klatschen. »Zielt auf die blutende Stelle!« brüllte Ibn Saran. Die Männer eilten von allen Seiten darauf zu und begannen zuzuhauen. Zwei weitere Wutschreie ertönten; noch zweimal wurde das Ungeheuer getroffen. Im nächsten Augenblick wirbelte ein Mann zurück. Er hatte kein Gesicht mehr. Die Männer umringten die Stelle, an der das Blut austrat plötzlich ertönte ein kratzendes Geräusch, und die Stangen in dem kleinen Fenster begannen zu beben. Ein Metallstab löste sich bereits aus der Wand, begleitet von Gesteinsbrocken und Mörtelstaub.
»Zum Fenster!« brüllte Ibn Saran. »Das Ungeheuer will fliehen!« Er sprang zum Gitterfenster und hieb wild um sich. Doch er traf nur die Mauer. Seine Männer taten es ihm nach.
Ich lächelte, sah ich doch, wie sich das tropfende Blut in dem Durcheinander langsam der Tür näherte, im Vorraum verschwand und sich zur Treppe hin entfernte.
Der Kur hatte seine Gegner getäuscht. Wahrscheinlich hatte er sofort erkannt, daß ihm nicht die Zeit blieb, das Gitter aus der Wand zu lösen und durch die schmale Öffnung zu entfliehen. Mit seiner List hatte er Ibn Saran von der Tür fortgelockt.
Ibn Saran wandte sich ab. Seine Klinge war an vielen Stellen eingekerbt und stumpf, so kräftig hatte er auf die Mauer eingeschlagen. Er sah die Blutspuren, die zur Tür führten. Mit einem Wutschrei machte er kehrt und hastete aus der Zelle.
»Wir haben ihn getötet«, sagte Ibn Saran. »Er ist tot.«
Vermutlich hatten die Männer tatsächlich keine Mühe gehabt, der blutigen Spur zu folgen. Das Tier war mehrfach verwundet worden.
»Die Leiche ist beseitigt«, fuhr Ibn Saran fort. »Das Wesen wollte dich töten. Wir haben dir das Leben gerettet.«
Ich zuckte die Achseln. »Vielen Dank«, sagte ich.
Es war Mitternacht. Vor den Zellenfenstern schwebten die drei goreanischen Monde.
Die Zelle war gesäubert, Stroh und Unrat waren entfernt worden. Der größte Teil des Blutes war fortgeschrubbt. Nur da und dort wies ein dunkler Fleck auf die Auseinandersetzung hin, die vorhin in dieser Zelle stattgefunden hatte. Das Gitterfenster war ebenfalls wieder repariert worden.
Vier Männer begleiteten Ibn Saran. Einer hielt eine Tharlarionöllampe empor.
»Begreifst du, was es heißt, nach Klima geschickt zu werden?« fragte Ibn Saran.
»Ich glaube schon.«
»Es beginnt mit dem Marsch nach Klima durch das Dünenland, zu Fuß, angekettet. Viele Sklaven sterben schon auf dem Weg dorthin.« Ich schwieg.