»Sie hat dir gut gedient«, sagte ich.
»Sie hat uns mehr geholfen als erwartet. Als du in die Oase der Neun Brunnen kamst, hat sie dich heimlich beobachtet und sofort erkannt eine ausgezeichnete kleine Sklavin. Und eine höchst temperamentvolle Gefährtin auf den Kissen.«
»Hübsche Vella«, sagte ich.
»In den Gruben von Klima sollst du an sie denken, Salzsklave!«
Mit wehendem Umhang wandte er sich zum Ausgang und verließ die Zelle, gefolgt von seinen Männern.
Ich nahm nicht an, daß man mich wirklich in die Salzgruben von Klima schicken würde.
Folglich überraschte es mich nicht, daß eine Stunde später zwei in weite Umhänge gekleidete Männer verstohlen im Flur vor meiner Zellentür erschienen.
In Anbetracht der Unruhe zwischen den Kavars und den Aretai war es vermutlich nicht ungefährlich, einen Sklaven nach Klima zu bringen. Durchaus denkbar, daß die Sträflingskarawane überfallen wurde. An Ibn Sarans Stelle wäre ich dieses Risiko nicht eingegangen. Meine Zellentür wurde geöffnet.
»Tal, edler Ibn Saran«, sagte ich, »und großmütiger Hamid, Leutnant Shakars.«
Ibn Saran hatte den Krummsäbel gezogen. Ich bewegte mich in meinen Ketten. Die beiden Männer hatten keine Lampe bei sich, doch das Mondlicht war hell genug, daß wir uns deutlich erkennen konnten.
»Offensichtlich«, sagte ich, »soll ich die Salzgruben von Klima gar nicht erst erreichen.«
Ich beobachtete den Krummsäbel. Ich nahm nicht an, daß die beiden mich in der Zelle umbringen würden, was den Magistraten der Neun Brunnen doch etwas unerklärlich vorkommen würde als ein Ereignis, das gründlich untersucht werden mußte.
»Du irrst dich in uns«, sagte Ibn Saran.
»Und wie!« sagte ich. »In Wirklichkeit seid ihr heimliche Agenten der Priesterkönige und erweckt nur den Anschein, für die Kurii zu arbeiten. Vor euren Männern mußtet ihr die Rolle natürlich weiterspielen, damit eure wahre Loyalität nicht offenbar wurde. Zweifellos habt ihr alle in die Irre geführt doch bei mir gelingt euch das nicht.«
»Du hast einen wachen Verstand«, bemerkte Ibn Saran.
»Offensichtlich wollten die Kurii mich töten sie schickten einen ihrer Artgenossen zu mir. Ihr aber habt mich vor den gnadenlosen Fängen gerettet.«
Ibn Saran neigte den Kopf und steckte seinen Krummsäbel in die Scheide.
»Wir haben nicht viel Zeit«, sagte er. »Draußen wartet deine gesattelte Kaiila. Eine Waffe hängt am Sattel, außerdem Wasserbeutel.«
»Aber wo ist der Wächter?« fragte ich.
»Er war draußen«, sagte Ibn Saran. »Wir haben ihn für dich umgebracht.«
»Ah«, sagte ich.
»Wir bringen die Leiche in die Zelle, sobald dir die Flucht gelungen ist.«
Die Klammern um meine Hand und Fußgelenke waren mit Schlössern gesichert. Hamid zog einen Schlüssel hervor und öffnete sie. »Und Hamid«, fuhr ich fort, »brachte Suleiman absichtlich nicht um, sondern stellte sich ungeschickt und verwundete ihn nur.«
»Genau«, stimmte mir Ibn Saran zu.
»Wenn ich ihn hätte töten wollen«, sagte Hamid gepreßt, »hätte ich ihn auch getroffen.«
»Zweifellos«, bemerkte ich.
»Um unserer Rolle in den Augen der Kurii gerecht zu werden, mußten wir den offenkundigen Versuch unternehmen, dich aufzuhalten, dich daran hindern, deine Mission für die Priesterkönige zu erfüllen.«
»Natürlich«, sagte ich. »Aber nachdem nun der Schein gewahrt ist, befreit ihr mich, damit ich meine Arbeit fortsetzen kann.«
»Richtig«, sagte Ibn Saran.
Hamid zog Hammer und Meißel unter seinem Mantel hervor. »Öffne den Metallkragen«, sagte ich zu ihm. »Beschränke dich nicht darauf, nur die Kettenglieder abzumachen. Das dauert zwar länger, ist aber viel bequemer.«
»Man wird uns hören!« rief Ibn Saran.
»Ich bin sicher, daß uns niemand hört.« Ich lächelte. »Es ist spät.«
Ich hatte einen besonderen Grund für den Wunsch, meine Flucht um etwa eine Viertel-Ahn zu verlängern.
»Öffne ihm den Kragen«, befahl Ibn Saran ärgerlich.
»Wir haben eine schöne Mondnacht«, stellte ich fest. »Das erleichtert mir die Flucht, kann ich doch deutlich erkennen, welchen Weg ich einschlage.«
Ibn Sarans Augen blitzten, »Ganz recht«, sagte er.
»Es freut mich zu erfahren, daß ihr für die Priesterkönige arbeitet.«
Ibn Saran neigte den Kopf.
»Müßt ihr nicht eine Erklärung finden für meine Flucht?«
»Der Wächter wurde bestochen«, sagte Ibn Saran. »Doch du hast die Vereinbarung nicht eingehalten und ihn getötet.«
»Wir lassen die Leiche hier neben den Werkzeugen liegen«, sagte Hamid.
»Ihr habt alles gründlich überlegt«, stellte ich anerkennend fest. Ich schob meinen Hals aus dem Kragen, dessen Kante mir die Haut ritzte. Das Metallstück baumelte nun an der Wand, gehalten von den beiden kurzen Ketten. Das Aufstehen war sehr schmerzhaft. Ich bewegte Arme und Beine und fragte mich, wie weit mich die beiden kommen lassen würden. Wenn es stimmte, daß meine Kaiila auf mich wartete, wollte man vermutlich in der Wüste über mich herfallen, wahrscheinlich kurz nach Verlassen der Oase.
Die Angelegenheit schien gut durchgeplant zu sein. Offenbar hielten die Männer diese Aktion für sicherer als den Marsch in der Sträflingskarawane.
Ich verließ die Zelle. Draußen lag Kleidung auf einem Tisch. Ich zog mich an. Es waren meine Sachen. Ich überprüfte meine Geldbörse. Sie enthielt die Edelsteine, die ich nach meiner Verhandlung mit Suleiman dorthin gesteckt hatte.
»Waffen?« fragte ich.
»Ein Krummsäbel am Sattel«, sagte Ibn Saran.
»Ich verstehe. Und Wasser?«
»Ebenfalls am Sattel.«
»Offenbar verdanke ich dir nun schon zum zweitenmal mein Leben«, sagte ich. »Heute nachmittag hast du mich vor dem Angriff des Ungeheuers gerettet und jetzt befreist du mich und ersparst mir damit die Salzgruben von Klima. Ich stehe tief in deiner Schuld.«
»Du würdest an meiner Stelle genauso handeln.«
»Ja«, sagte ich.
Sein Blick verschleierte sich.
»Beeil dich«, sagte Hamid. »Der Wächter wird bald abgelöst.«
Ich erstieg die Treppe, durchquerte den Vorraum und trat durch das Portal ins Freie.
»Nicht so auffällig«, sagte Ibn Saran. »Sieh dich vor!«
»Niemand beobachtet uns«, versicherte ich ihm lächelnd. »Es ist spät.«
Ich erblickte die Kaiila mein Tier. Es war gesattelt, an der Flanke hingen Wasserbeutel herab; rechts baumelte an Riemen eine Säbelscheide mit einer Waffe. Ich überprüfte den Sattelgurt und die Zügel. Alles war in Ordnung. Ich hoffte, daß man das Tier nicht betäubt hatte. Ich ließ die Hand vor den Augen der Kaiila vorbeifahren. Das Tier blinzelte sogar mit dem dritten, dem durchsichtigen Lid. Sanft berührte ich seine Flanke und spürte das zuckende Fleisch unter meinem Finger.
»Was machst du da?« fragte Ibn Saran.
»Ich begrüße meine Kaiila«, erwiderte ich.
Die Reflexe des Tiers schienen in Ordnung zu sein. Vermutlich war es nicht betäubt worden. Hatte man ihm ein schnell wirkendes Mittel gegeben, mußte die ViertelAhn Verzögerung, die ich herausgeholt hatte, ausreichen, um die Veränderung im Verhalten sichtbar zu machen. Und ein langsam wirkendes Gift war sicher nicht verwendet worden, denn bei einer solchen Aktion war die Zeit ein wichtiger Faktor. Ibn Saran hätte es niemals riskiert, mir auf einer schnellen Kaiila eine Ahn Vorsprung zu gewähren. Ich freute mich, daß das Tier offenbar im Vollbesitz seiner Kräfte war.
Plötzlich kam mir der Gedanke, daß Ibn Saran und Hamid vielleicht tatsächlich Agenten der Priesterkönige waren, wie sie behaupteten. Wenn das stimmte, hatte meine Handlungsweise sie in Lebensgefahr gebracht.
Ich stieg auf.
»Mögen deine Wasserbeutel niemals leer sein«, sagte Ibn Saran. »Auf daß du immer Wasser hast.« Er legte die Hand auf den prallen Wasserbeutel links hinter dem Sattel, ergänzt durch eine gleich schwere Last auf der anderen Seite.
»Mögen deine Wasserbeutel niemals leer sein«, erwiderte ich. »Auf daß du immer Wasser hast.«