»Vor sechs Tagen«, sagte ich, »waren die Soldaten der Neun Brunnen aber in der Nähe ihrer eigenen Oase. Sie suchten dort nach einem Gefangenen, der wegen eines angeblichen Attentatsversuchs auf Suleiman Pascha zu den Salzgruben von Klima verurteilt worden war.«
»Ist der Mann denn geflohen?«
»Offenbar ist ihm die Flucht gelungen«, sagte ich. »Aber ich will auf folgendes hinaus: Wenn die Soldaten von den Neun Brunnen vor sechs Tagen in der Nähe ihrer Oase waren, können sie nicht die Oase des Sand-Sleen angegriffen haben.«
»Nein«, bemerkte Hassan.
»Und es will mir unwahrscheinlich vorkommen«, sagte ich, »daß sich Aretai von den Neun Brunnen gestern hier herumgetrieben haben.«
»Es wäre auf jeden Fall ein weiter Ritt, denn diese Oase ist ziemlich abgelegen. Die Handelsrouten sind fern.«.
»Wo könnten die Männer die Beute aus der Oase des Sand-Sleen veräußern?«
»Vielleicht haben sie das Zeug in der Wüste versteckt«, meinte Hassan.
»Warum der Überfall auf die Zwei Krummsäbel?« fragte ich. »Es ist eine kleine Oase, die nicht einmal den Kavars gehört.«
»Keine Ahnung.«
»Suleiman, Pascha der Neun Brunnen«, sagte ich, »liegt lebensgefährlich verletzt in seinem Palast. Ein ungewöhnlicher Zeitpunkt für seine Aretai, plündernd in der Gegend herumzuziehen.«
»In der Tat«, bemerkte Hassan lächelnd.
»Immerhin haben die Angreifer Aretai-Kleidung getragen, ihre Sattelmarkierungen stimmten, und sie brüllten: »›Für Neun Brunnen und Suleiman!‹«
»Seltsam«, sagte Hassan. »Ich finde diese Worte irgendwie seltsam.«
»Warum?«
»Normalerweise kommt in einem solchen Kriegsgeschrei der Name des Anführers nicht vor. Der Stammesname ist wichtig, nicht der einzelne Mann, das Ganze, nicht ein kleiner Teil. Soweit ich weiß, lautet der Kriegsschrei der Aretai: »›Aretai zum Sieg!‹«
»Interessant«, bemerkte ich. »Haben die Kavars einen ähnlichen Ausruf?«
»Ja«, erwiderte Hassan. »›Kavars über alles!‹«
»Dann scheint ja alles hinzudeuten, daß nicht Aretai die Oase der Zwei Krummsäbel angegriffen haben.«
»Nein«, sagte Hassan. »Das waren keine Aretai.«
»Woher weißt du das so genau?«
»Bei dem Überfall ist ein Brunnen zerstört worden«, sagte Hassan. »Die Aretai sind zwar Sleen, doch als Gegner muß man sie ernst nehmen. Sie sind gute Kämpfer und gute Wüstenbewohner. Sie würden niemals einen Brunnen zerstören. Sie sind Abkömmlinge der Tahari.«
»Wer hat aber die Oase des Sand Sleen und die Oase der Zwei Krummsäbel überfallen?«
»Das weiß ich nicht«, erwiderte Hassan. »Zu gern wüßte ich es. Ich bin neugierig.«
»Ich auch.«
»Wenn es in der Wüste zum totalen Krieg kommt«, sagte Hassan, »wird die Tahari praktisch gesperrt sein. Der Handel wird unterbrochen, Bewaffnete werden sich überall herumtreiben, Fremde werden automatisch in Verdacht geraten. Man wird kein Risiko eingehen wollen und sie vermutlich sicherheitshalber töten.« Seine Worte munterten mich nicht gerade auf.
»Seltsam«, sagte Hassan, »daß diese Zuspitzung gerade jetzt eintritt.«
»Wieso seltsam?«
»Sicher ist es nur ein Zufall.«
»Ich verstehe nicht, was du meinst.«
»Ich hatte eine Expedition in das unerforschte Dünenland geplant«, sagte Hassan.
»Ich bin ebenfalls viel unterwegs«, sagte ich.
»Das hatte ich mir gedacht.«
»Was erwartest du dort zu finden?« fragte ich.
»Was für ein Mensch bist du?«
»Ein einfacher Juwelenhändler.«
»Ich habe dich in Tor gesehen«, sagte er, »mit dem Krummsäbel.«
»Oh.«
»Und zum zweitenmal sah ich dich an einer Wasserstelle auf dem Wege zur Oase der Neun Brunnen. Du hast mich nicht bemerkt.«
»Und in der Oase«, sagte ich, »hast du meine blonde blauäugige Sklavin entführt!«
Er lachte.
»Dein Überfall im Palast des Suleiman war kühn«, sagte ich. »Noch nie habe ich eine so geschickte Gefangennahme eines Mädchens mit der Peitsche gesehen.«
Er neigte den Kopf. »Wenn ich mich nicht irre, geht das Gerücht, du, Hakim aus Tor, hättest den Arm gegen Suleiman erhoben.«
»Ich war es nicht«, sagte ich.
»Warum sollte man das aber annehmen?«
»Man hält mich für einen Spion der Kavars.«
»Oh?«
»Ja.«
»Ist dir bekannt, wer das Attentat in Wirklichkeit verübt hat?«
»Ja«, erwiderte ich. »Ich kenne den Täter: Hamid, Leutnant des Shakar, Hauptmann der Aretai.«
»Ich finde es interessant, daß Hamid der Täter ist«, sagte er. »Ich habe dich kennenlernen wollen.«
»Oh?«
»Ich dachte mir, wenn ich deine hübsche kleine Sklavin stehle, würdest du mir in die Wüste folgen. Natürlich wußte ich nicht, daß Hamid den Überfall auf Suleiman verüben und dich dadurch aufhalten würde.«
»Willst du mit mir sprechen?«
»Natürlich behalte ich das Mädchen«, sagte er und sah mich an.
»Möchtest du ihretwegen mit mir kämpfen?«
»Das brauche ich nicht sofort zu entscheiden, oder?«
»Natürlich nicht. Du bist mein Gast.« Er grinste. »Natürlich kannst du sie jederzeit nehmen, wenn du willst.«
»Hassan ist sehr großzügig.« Ich lachte. »Aber was hättest du getan, wenn ich deine Spur verloren hätte?«
»Das wäre dir bestimmt nicht passiert!«
»Aber trotzdem!«
»Dann hättest du eine Information zugespielt erhalten, wo sich deine meine hübsche Alyena aufhielte. Und dann hätten wir uns getroffen.«
»Was wäre, wenn ich jetzt den Versuch machte, dich zu töten?«
»Das tust du bestimmt nicht, denn du bist mein Gast«, sagte Hassan.
»Warum hast du außerdem eine solche Sklavin in die Wüste gebracht ein blondes, hellhäutiges, blauäugiges Mädchen?«
»Warum wohl?«
»Jedenfalls nicht als einfache Sklavin«, sagte er. »Du könntest in jeder Oase Mädchen kaufen oder mieten. Du hast sie mit einer bestimmten Absicht hergebracht. Du wolltest sie verkaufen oder gegen irgend etwas eintauschen Hilfe, Information, irgend etwas.«
»Du bist klug«, sagte ich.
»Ich hoffe, daß die Sklavin unsere Beziehung nicht belastet.«
»Wie sollte das einer einfachen Sklavin möglich sein?«
»Da hast du recht.«
»Sie scheint in deinen Ketten zufrieden zu sein.«
»Sie ist ja immerhin eine Sklavin.«
»Sie scheint dich zu lieben«, sagte ich.
»Ich habe ihr keine andere Wahl gelassen«, erwiderte Hassan grinsend und fuhr fort: »Es ist fast schon wieder hell. Wir wollen die Oase verlassen.«
Ich ritt neben ihm.
»Was wolltest du mit mir besprechen?« fragte ich ihn schließlich.
»Ich glaube, wir haben ein gemeinsames Interesse.«
»Worin?«
»Im Reisen.«
»Reisende interessieren sich oft für Kuriositäten.«
»Ich gedenke, einen Ausflug in die Wüste zu unternehmen«, sagte er.
»Das ist heutzutage nicht ungefährlich.«
»Kennst du einen Stein«, fragte er, »in der Nähe der Route zwischen Tor und den Neun Brunnen, einen Stein mit einer Inschrift?«
»Ja«, sagte ich.
»Und in der Nähe dieses Steins lag ein Mann, der die Inschrift eingeritzt hatte, ehe er starb.«
»Ja«, sagte ich. »Aber als ich den Stein zu sehen bekam, war der Tote fort.«
»Ich habe die Leiche fortgeschafft«, sagte Hassan, »und in einem mächtigen Buschfeuer verbrannt. Die Asche habe ich anschließend dem Sand überantwortet.«
»Du hast ihn gekannt?«
»Er war mein Bruder«, sagte Hassan.
»Was suchst du in der Wüste?« wollte ich wissen.
»Einen Stahlturm«, erwiderte er.
9
»Ihr habt keine Glocken an eurem Kaiilageschirr!« sagte der Mann und bedrohte uns mit seiner Lanze.
»Wir kommen in friedlicher Absicht«, sagte Hassan. »Hast du einen Stahlturm gesehen oder davon gehört?«
»Das ist eine verrückte Frage!« rief der Mann.
Hassan zog seine Kaiila zur Seite und ritt weiter. Ich folgte ihm, hinter mir ritten Hassans neun Männer und das Sklavenmädchen Alyena. Der Nomade stand im Sand, die Lanze aufgestützt, und blickte uns nach. Hinter ihm drängte sich eine Herde aus elf Verr, die an dem bräunlichen Verrgras zupften. Er hätte die kleinen Tiere bis auf den letzten Blutstropfen verteidigt. Aus ihrer Milch und Wolle bezogen er und seine Familie ihr Einkommen.