»Vielleicht gibt es diesen Stahlturm gar nicht«, sagte ich zu Hassan.
»Wir setzen die Suche fort«, sagte er.
Ich hatte inzwischen die Tahari in den verschiedensten Stimmungen erlebt. Seit zwanzig Tagen waren wir nun schon in der Wüste unterwegs. Einmal war im Süden eine gewaltige schwarze Wolkenwand aufgestiegen, begleitet von prickelnden Staubwolken. Wir waren abgestiegen, hatten unsere Kaiila angebunden und hatten dem Sturm den Rücken zugedreht. Aus unseren Vorratsbündeln hatten wir einen Wall errichtet und uns dahinter niedergekauert, wobei wir die Burnusse enger um den Leib zogen. Hassan hatte das Mädchen unter sein Gewand gezogen. Zwei Tage lang hatte uns der Wind bestürmt, und wir hatten nach Taharimanier geduldig gewartet. Wir hatten uns kaum gerührt und nur ab und zu eine Verrhaut mit Wasser und einen Lederbeutel mit SaTarnaBrei herumgehen lassen. Der Wind legte sich so schnell er gekommen war, abrupt kehrte die Sonne an den Himmel zurück und bestrahlte uns in alter Wildheit und Schönheit das Zepter ihres Lichts und ihrer Hitze schwebte wieder über dem endlosen Land. Hassan richtete sich als erster auf. Er schüttelte sich den Sand aus dem Burnus. Alyena kroch heraus und reckte sich wie ein weiblicher Sleen. Die Mauer aus Lastbeuteln war halb vorn Sand begraben.
»Ein schrecklicher Sturm«, sagte ich.
Er lächelte. »Du stammst nicht aus der Tahari«, bemerkte er. »Du kannst dich freuen, daß jetzt im Frühling der Wind nicht von Westen geweht hat.« Und er wandte sich an Alyena. »Mach uns Tee.«
»Jawohl, Herr.«
Zwei Tage später hatte es zu regnen begonnen.
Zuerst hatte ich die dunklen Wolken willkommen geheißen und meinen Burnus zurückgestreift, damit mir der kräftige Regen das Gesicht benetzte. In wenigen Ehn fiel die Temperatur um etwa dreißig Grad. Auch Alyena freute sich zuerst. Die Taharibewohner jedoch suchten auf dem kürzesten Wege höheren Grund auf. In der Tahari gibt es wenig Regenerosion, was zur Folge hat, daß für den Transport von Wasser nur wenige natürliche Abflüsse zur Verfügung stehen. Wenn Regen fällt, dann oft in großen Mengen; die Folgen im flachen Land, im lockeren Sand, sind leicht vorstellbar.
Schon wenige Minuten nach Einsetzen des Regens mußten wir absteigen, um unsere verängstigten Kaiila auf höhergelegenes Gebiet zu führen. Die Tiere sanken bis zu den Knien in den Schlamm ein; sie mühten sich mit rollenden Augen ab, und wir mußten mit zugreifen, damit wir überhaupt weiterkamen. Schließlich fanden wir Schutz am Fuß einer Felsformation.
Hassan setzte Alyena, die er auf den Schultern getragen hatte, neben sich ab.
»Dies ist erst der vierte Regen in meinem Leben«, sagte er.
»Herrlich!« rief Alyena.
»Kann man in diesem Schlamm ertrinken?« wollte ich wissen.
»Das ist unwahrscheinlich«, sagte Hassan. »Der Schlamm ist nicht so tief, daß ein Mensch darin versinken müßte. Kleine Tiere schwimmen förmlich in der Masse. Die Hauptgefahr besteht darin, daß eine Kaiila sich zu sehr anstrengt, das Gleichgewicht verliert und sich die Beine bricht.« Ich stellte fest, daß Hassans Männer ihren Reittieren Decken über die Köpfe gelegt hatten, damit sie von dem Unwetter nichts mitbekamen, damit sie nicht vom Regen benetzt wurden, der ein unbekanntes Phänomen für sie war und sie in Panik versetzen konnte.
»Man muß es natürlich vermeiden«, fuhr Hassan fort, »sein Lager in einem ausgetrockneten Wasserlauf aufzuschlagen. Ein Unwetter, von dem man vielleicht gar nichts weiß, weil es viele Pasang entfernt niedergeht, kann so ein Flußbett urplötzlich füllen, und die Flutwelle kann das ganze Lager zerstören und die Lagernden in Lebensgefahr bringen.«
»Gibt es bei solchen Unfällen oft Tote?«
»Nein«, sagte Hassan. »Die Angehörigen der Tahari lagern nicht an solchen Orten. Wer aber so töricht ist, kann sich meistens retten durch Schwimmen.«
Viele Taharibewohner können interessanterweise schwimmen. Die Nomadenjungen lernen es im Frühling, wenn die Wasserlöcher voll sind. Den Bewohnern der größeren Oasen stehen Badeanlagen zur Verfügung. Unter einem ›Bad‹ versteht man in der Tahari weniger eine kleine Wanne als eine Mischung aus Reinigung und Schwimmsport, einen genußvollen Aufenthalt im Wasser, dem gewöhnlich eine Behandlung mit Öl und ein angenehmes Trockenrubbeln folgt. Eine der Freuden in größeren Oasen ist die Badegelegenheit. In der Oase der Neun Brunnen gibt es zum Beispiel zwei öffentliche Badeanstalten. Innerhalb einer Ahn nach dem Ende des Regens brannte die Sonne wieder gnadenlos vom Himmel, der Boden war wieder begehbar, das Wasser verlor sich im Sand. Den Tieren wurden die Hauben abgenommen, und wir stiegen auf und setzten unsere Suche fort. Einen Tag später tauchten die Fliegen auf. Zuerst hielt ich den Schwarm für ein neues Unwetter aber das war ein Irrtum. Etwa vier Ehn lang war die Sonne von gewaltigen Insektenwolken verdunkelt. Wie ein trockener Regen umschwirrten uns die winzigen Tiere. Ich spuckte sie aus, ich hörte Alyena schreien. Die Hauptschwärme waren schnell vorbei, und obwohl wir nur den Rand des Insektenzuges mitbekamen, krochen viele tausend schwarze Punkte über unsere Kleidung und über das Fell der Kaiila. Kurz darauf kamen zwitschernd und flatternd die Zadits. Wir stiegen ab, führten die Kaiila an den Zügeln und überließen es den Vögeln, die Reittiere nach Insekten abzusuchen. Die Zadits blieben gut zwei Tage bei uns, ehe sie wieder verschwanden.
Und heiß brannte die Sonne vom Himmel. Trotzdem wünschte ich mir nicht, daß der Regen so bald zurückkehrte.
Hassan wandte sich an einen anderen Nomaden, dem wir uns genähert hatten. »Wo, mein Freund, finden wir den Stahlturm?«
»Stahlturm? Davon habe ich noch nie gehört«, sagte der Mann vorsichtig. »In der Tahari gibt es doch keine Stahltürme.«
Wir setzten unseren Ritt fort.
In der Nacht zeigt sich die Tahari für meinen Geschmack von ihrer schönsten Seite. Während des Tages kann man sie kaum richtig ansehen, denn die Hitze und die Luftspiegelungen verzerren viel. Am Tage wirkt die Wüste gefährlich, grellweiß, wabernd vor Hitze, blendend, brennend; die Menschen müssen ihre Augen schützen, manche wurden schon blind; Frauen und Kinder bleiben in den Zelten. Doch wenn der Abend heranrückt, wenn die Sonne untergeht, verändert sich der Eindruck; das endlose, felsige, rauhe Terrain scheint zugänglicher und milder zu werden. In dieser Zeit pflegte Hassan, der Bandit, sein Lager aufzuschlagen. Bei Sonnenuntergang malten sich Hügel, Sand und Himmel in vielen hundert Rottönen, und mit dem Schwinden des Lichts verwandelte sich dieses Rot in tausend schimmernde Goldfärbungen, die langsam in Blau und Purpur übergingen, kurz bevor völlige Dunkelheit eintrat.
In dieser Abendstunde setzte sich Hassan manchmal vor sein Zelt. Wir störten ihn nicht. Seltsamerweise ließ er in diesen Minuten nur Alyena zu sich. Sie allein durfte neben ihm sitzen oder liegen. Manchmal streichelte er ihr Haar oder ihre Wange, als wäre sie gar keine Sklavin, sondern etwas ganz anderes. Und wenn die Sterne dann eine Zeitlang am Himmel gefunkelt hatten, fuhr er plötzlich lachend hoch, hob ihren Rock und begann sich intensiver mit ihr zu befassen.
»Nein«, sagte ein Nomade. »Ich habe keinen Stahlturm gesehen, und auch nicht von einer solchen Erscheinung gehört. Gibt es denn so etwas überhaupt?«
»Vielen Dank«, sagte Hassan und gab seinem Tier die Sporen. Die Nomadenlager wurden seltener. Die Oasen lagen weiter auseinander. Wir drangen weiter in den Osten der Tahari vor. Einige Nomaden lassen ihre Frauen verschleiert gehen, andere nicht. Manche junge Mädchen der Tahari schmücken ihre Gesichter mit kohlegezeichneten Mustern. Nomadenmädchen sind in der Regel sehr hübsch. Die Nomadenkinder tragen bis zum Alter von fünf oder sechs Jahren keine Kleidung. Am Tage verlassen sie den Schatten der Zelte nicht. Abends jedoch stürmen sie ins Freie und spielen. Ihre Mütter bringen ihnen die taharische Schrift bei, indem sie die Buchstaben in den Sand malen. Die meisten Nomaden in dieser Gegend waren Tashid, ein Stamm, der sich mit den Aretai verbündet hatte. Vielleicht ist es interessant, festzuhalten, daß die Kinder der Nomaden etwa achtzehn Monate lang gesäugt werden, erheblich länger als auf der Erde und auch länger als im übrigen Gor. Diese Kinder finden eine feste Bindung in der Familie als verläßliche, selbstsichere Menschen, die ein offenes Wort lieben. Im Kreise der Nomaden hört jeder Erwachsene auf die Kinder, die ja auch Mitglieder des Stammes sind. Die Nomadenmütter waschen ihre Kleinkinder ständig, selbst wenn sie nur eine Tasse mit Wasser zur Verfügung haben. Die Kindersterblichkeit ist bei den Nomaden sehr gering, trotz der einseitigen Ernährung und der rauhen Umgebung. Die Erwachsenen kommen dagegen monatelang ohne frische Wäsche aus. Mit der Zeit gewöhnt man sich an die schmutzige Haut und den Geruch, der zuerst abstoßend ist, aber nach kurzer Zeit nicht mehr auffällt.