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Die Oasenbewohner beobachteten uns ziemlich neugierig, wie es immer geschieht, wenn Fremde in eine Oase kommen, doch ihr Verhalten verriet keine Nervosität oder Feindseligkeit. Von Auseinandersetzungen und Überfällen schien man hier noch wenig zu wissen.

Ein Kind lief neben dem Steigbügel Hassans her. »Du hast keine Glocken an deiner Kaiila!« rief der Junge.

»Räuber haben sie uns gestohlen«, erwiderte Hassan. Das Kind lachte und rannte davon.

»Wir suchen uns eine Schänke«, sagte Hassan.

Die Schlacht am Roten Felsen fand vor gut siebzig Jahren statt, im Jahre 10051 C.A., im sechsten Jahr der Herrschaft Ba’Arub Paschas. Seit dieser Zeit sind die Tashid ein Vasallenstamm der Aretai. Obwohl es gewisse äußere Tribute gibt, beispielsweise die Befreiung von Aretai-Kaufleuten von der Karawanensteuer, ist ein verbündeter Stamm in seinem Heimatgebiet fast völlig autonom; er verfügt über eigene Anführer, Magistrate, Richter und Soldaten. Die Bindung liegt im wesentlichen auf dem militärischen Sektor. Durch Tahari-Eid, ausgesprochen über Wasser und Salz, ist der Vasallenstamm verpflichtet, den siegreichen Stamm bei seinen Militäraktionen zu unterstützen mit Vorräten, Kaiila und Soldaten. So gesehen ist ein Vasallenstamm eine Militäreinheit, die dem siegreichen Stamm unterstellt ist eine militärische Macht, die der Sieger vor weiteren Kämpfen seinen Streitkräften hinzurechnen kann. Eroberte Feinde werden auf diese Weise zu Teilen der eigenen Truppe, zu Verbündeten. Die Feinde von gestern verwandeln sich in die verschworenen Freunde von heute. Ich besitze keine näheren Informationen über die historischen Grundlagen dieser ungewöhnlichen gesellschaftlichen Einrichtung, doch sie führt in der Praxis zu einer Befriedung großer Teile der Tahari. So sind zum Beispiel kriegerische Auseinandersetzungen zwischen siegreichen Stämmen und rebellierenden Vasallenstämmen äußerst selten. Ein weiteres und vielleicht nicht ganz so positives Ergebnis ist der Umstand, daß sich die verschiedenen Stämme zu immer größeren militärischen Gruppierungen zusammenfinden. Kam es nun zwischen den führenden Stämmen zum Krieg, war nicht ausgeschlossen, daß das gesamte Wüstengebiet davon ergriffen wurde. Diese Gefahr sah ich im Augenblick, denn die Aretai und die Kavars waren die beiden mächtigsten Stämme in der Tahari. Natürlich sind nicht alle Stämme Vasallen oder Vasallenführer. Es gibt auch einige unabhängige Gruppen. Alles in allem dient die Beziehung eines Vasallenstammes zu seinem führenden Stamm mehr dem Frieden als jedes andere System. Es mag als glücklicher Umstand angesehen werden, daß es ein solches Arrangement gibt, denn die Männer der Tahari sind wie alle Goreaner äußerst stolz und leicht zu kränken. Sie fühlen sich rasch in ihrer Ehre angegriffen. Außerdem haben sie Freude am Kämpfen und bedürfen nur des geringsten Vorwands, um mit gelockerten Krummsäbeln in den Sattel zu steigen. Schon das Gerücht über eine Beleidigung kann schlimme Folgen haben. Ein guter Kampf, so habe ich manchen Mann aus der Tahari begeistert sagen hören, rechtfertigt jede Konsequenz. Abschließend sollte ich vielleicht noch sagen, daß der Grund für Hammarans Vorstoß zum Roten Felsen vor siebzig Jahren nicht mehr bekannt ist, weder bei den Aretai noch bei den Tashid. Die Ursache des Krieges ist vergessen, doch die Heldentaten der Auseinandersetzung werden noch heute an den Lagerfeuern erzählt.

»Wir übernachten hier«, sagte Hassan und zügelte seine Kaiila vor einem Wirtshaus. Wir stiegen ab und befreiten die Tiere von Sätteln und Lasten. Jungen kamen herausgeeilt und führten unsere Kaiila in die Ställe. Zwei von Hassans Männern gingen mit, um sich zu überzeugen, ob die Tiere auch wirklich gut versorgt wurden. Einer von Hassans Kämpfern half Alyena beim Absteigen. Sie machte einige schnelle Schritte und kniete neben Hassan nieder.

Wir sammelten Sättel, Vorräte, Wasserbeutel und sonstige Besitztümer ein. Jeder Mann trug seinen eigenen Sattel. Sättel haben in der Tahari einen besonderen Wert, und jeder Reiter kümmert sich um seine Kaiilaausrüstung. Die Nomaden nehmen die Sättel abends mit ins Zelt. Das Wasser, das wir mitgebracht hatten, wurde nicht etwa fortgeschüttet, sondern mußte nach dem ungeschriebenen Gesetz der Tahari in die Zisterne der Taverne entleert werden. Auf diese Weise wird das Wasser einer vernünftigen Verwendung zugeführt und erspart den Helfern der Schänke unnötige Wassertransporte von den Brunnen der Oase. Beim Verlassen der Oase füllt eine Karawane ihre Wasserbeutel natürlich nicht im Hause, sondern am öffentlichen Brunnen. Hassan trug seinen Sattel und andere Besitztümer über der Schulter und betrat das Wirtshaus. Seine Männer, Alyena und ich folgten ihm. Die Sklavin, die einen Wasserbeutel trug, wurde von einem der Schänkenjungen zur Zisterne geführt. Die Männer, die ebenfalls Wasser auf dem Rücken trugen, folgten ihr.

»Hast du in letzter Zeit von einem Stahlturm reden hören?« wandte sich Hassan an den Schänkenwirt.

Wie sich herausstellte, hatte niemand von einem so seltsamen Gebilde gehört niemand konnte sich einen Stahlturm in der Wüste vorstellen. Dieser Umstand bekümmerte Hassan natürlich, und auch ich freute mich nicht gerade, denn die Oase der Schlacht am Roten Felsen war in östlicher Richtung die letzte große Oase. Die nächste wichtige Niederlassung befand sich fast zweitausend Pasang entfernt, am Rande des gefürchteten Dünengebietes. Natürlich gibt es auch im Dünenland Oasen, die aber klein und selten sind und oft mehr als zweihundert Pasang voneinander entfernt liegen, sie sind nicht leicht zu finden; im welligen Dünengebiet kann es passieren, daß man ahnungslos in zehn Pasang Entfernung an einer Oase vorbeireitet, ohne eine Spur davon zu entdecken. Außer den Salzkarawanen wagt sich kaum jemand in das Dünenland. Die Handelskarawanen halten sich mehr an die westlichen oder an den fernen östlichen Rand der Tahari; wer keinen wichtigen Grund hat, meidet das Gebiet der gefährlichen Dünen.

Hassan und ich zweifelten eigentlich nicht daran, daß der rätselhafte Stahlturm, wenn es ihn überhaupt gab, im Dünenland zu finden sein mußte. Wenn das nicht der Fall war, hätte irgendein Nomade oder Kaufmann, irgendein Schänkenwirt oder Treiber sicher davon gehört. Stand der Turm jedoch im Dünenland, mochte er sich tausend Jahre dort befinden, ohne jemals entdeckt zu werden.

Die Kurii hatten die Sklavenflüge von der Erde nach Gor eingestellt. ›Gebt Gor auf ‹, das war das Ultimatum, das dem Sardargebirge gestellt wurde. Ein einsamer Kur war gefangengenommen worden sein Ziel lag vermutlich im Dünengebiet. Auf einem Felsen war eine Inschrift entdeckt worden: ›Vorsicht vor dem Stahlturm‹. Und bei Samos in Port Kar war ein Botenmädchen aufgetaucht: ›Vorsicht vor Abdul‹ hatte auf ihrer Kopfhaut gestanden. Nur dieser Teil des Rätsels schien bisher gelöst zu sein. Abdul das war der kleine Wasserverkäufer in Tor, ein unwichtiger Mann, der vermutlich für die Kurii gearbeitet hatte. Sie mußten ein Interesse daran haben, mich von der Tahari fernzuhalten. Doch während dieses Problem gelöst zu sein schien, wußte ich nicht, wer die Warnung geschickt hatte. Offen blieb auch die Frage nach dem unsichtbaren Kur, der in der Oase der Neun Brunnen in meine Zelle eingedrungen war, ohne mich zu töten. Das Wesen war schwer verwundet worden; Ibn Saran hatte mir mitgeteilt, er hätte das Ungeheuer anschließend getötet. Es blieben noch viele Fragen offen.

»Wir reisen morgen früh weiter«, sagte Hassan zu mir und streckte sich.