»Damit tust du mir Ehre an.«
»Du bist ein Krieger.«
»Das stimmt.« Das Scharlachrot hatte mir bisher niemand streitig gemacht. Wer wollte, konnte gern um die Zugehörigkeit zu dieser Kaste mit mir kämpfen mit dem Schwert.
»Nun«, sagte der Mann auf der Plattform. »Es ist spät, und wir sollten uns zurückziehen. Ihr müßt schon vor Beginn der Dämmerung auf den Beinen sein.«
»Wo ist Vella?« fragte ich.
»Ich habe sie in ihrem Quartier eingesperrt.«
»Muß ich dich als Abdul anreden?« fragte ich.
Der Mann senkte seinen Schleier. »Nein«, erwiderte er. »Nicht, wenn du das nicht wünschst.«
»Ich kenne dich besser unter einem anderen Namen«, sagte ich.
»Das stimmt.«
Hassan begann, sich in seinen Fesseln aufzubäumen, doch er vermochte nichts auszurichten. Die Wächter hielten ihn fest. Im nächsten Augenblick näherte sich die Klinge eines Krummsäbels seinem Hals. Daraufhin beruhigte er sich wieder.
»Will man uns im Morgengrauen töten?« wollte ich wissen.
»Nein.«
Ich sah ihn verwirrt an. Hassan schien erstaunt zu sein.
»Morgen früh beginnt für euch und viele andere eine weite Reise«, sagte der Mann. »Eine Wanderung zu Fuß. Ich hoffe, daß ihr euer Ziel sicher erreicht.«
»Was hast du mit uns vor?« fragte Hassan.
»Hiermit«, sagte Ibn Saran, »verurteile ich euch zu den Salzgruben von Klima.«
Wir richteten uns langsam auf doch jeder von uns wurde von zwei Wächtern gepackt. »Tafa, Riza«, wandte sich Ibn Saran an zwei Mädchen. »Ihr werdet die Nacht mit den Gefangenen verbringen, in den Verliesen.«
»Ibn Saran ist großzügig«, bemerkte ich.
»Ich gebe Hassan eine Frau wegen seiner Kühnheit. Dir gebe ich eine Frau für deine Männlichkeit und weil wir uns ähnlich sind - Söldner in einem Krieg, der übergeordneten Zielen dient.« Er wandte sich an eins der Mädchen. »Richte dich auf, Tafa«, sagte er. Sie gehorchte, und Ibn Saran winkte einen seiner Wächter herbei. »Das andere Mädchen, Riza, kettest du an Hassan, und Tafa gibst du diesem Krieger, dessen Name Tarl Cabot lautet.«
Metallkragen schlossen sich klickend um die Hälse der Mädchen.
»Schau dir Tafa an, Tarl Cabot«, sagte Ibn Saran. »Tafas Körper möge dir Lust bereiten, denn in Klima gibt es keine Frauen.«
Daraufhin zerrte man uns herum und führte uns aus dem Audienzsaal des Wächters der Dünen, des Salz-Ubar Abdul, den ich als Ibn Saran kennengelernt hatte.
12
Ich machte einen weiteren Schritt, woraufhin mein rechtes Bein bis zum Knie in die harte Kruste einbrach. Erneut klatschte die Peitsche auf meinen Rücken. Ich richtete mich in meiner Sklavenhaube auf. Die Kette um meinen Hals ruckte vor, und ich stolperte auf die Salzkruste. Meine Hände ballten sich in den Fesseln, die durch die Kette an meinem Körper befestigt waren. Mein linkes Bein stieß durch ein Dutzend verkrustete Salzschichten, knirschend, knisternd, unzählige winzige Kristallstrukturen vernichtend. Ich spürte Blut an meinem Bein über dem Lederschutz; eine scharfe Kante hatte mir die Haut aufgeschlitzt. Ich verlor die Balance und stürzte. Ich versuchte aufzustehen. Doch die vordere Kette zerrte mich weiter, und ich stürzte von neuem. Noch zweimal traf mich die Peitsche. Ich gewann das Gleichgewicht zurück, und wieder watete ich durch die Krusten auf Klima zu.
Wir marschierten nun schon seit zwanzig Tagen. Viele Leidensgenossen waren der Meinung, daß wir schon hundert Tage unterwegs waren; andere hatten längst die Übersicht ganz verloren. Ursprünglich waren mehr als zweihundertundfünfzig Männer an der Salzkette gewesen. Ich wußte nicht, wie viele noch unterwegs waren. Jedenfalls war die Kette viel schwerer als am Anfang obwohl man mehrere Teile davon gelöst hatte , denn sie wurde nun von weniger Männern getragen. Als Salzsklave, so hieß es, mußte man kräftig sein. Nur die Kräftigen hatten angeblich überhaupt eine Chance, Klima zu erreichen.
Die Männer an der Kette trugen Sklavenhauben. Man hatte sie uns vor der Kasbah des Salz-Ubars übergestreift. Ehe man mir die Lederhaube unter dem Kinn zusammenband, hatte ich in der Morgendämmerung die silberne Wüste gesehen. Der Himmel im Osten hatte kühl und grau geschimmert. Bei diesem Anblick hatte man sich nicht vorstellen können, daß die Oberflächentemperatur des vor uns liegenden Terrains innerhalb weniger Stunden auf gut fünfundsechzig Grad ansteigen würde. Um unsere Füße hatte man einen Lederschutz gewickelt, wußte man doch, daß wir später das verkrustete Gebiet erreichen würden. An den Mauern der Kasbah schimmerte Tau. Zwei Pasang weiter im Osten war Tarnas Kasbah sichtbar gewesen. Der Salz-Ubar hatte Tarna ein nützliches Werkzeug genannt. Sie hatte Hassan und mich nicht halten können. Der Salz-Ubar hatte angenommen, daß er in dieser Beziehung besser abschneiden würde.
Eine Ahn vor Sonnenaufgang hatte man mich geweckt. Die süße Tafa lag in meinen Armen. Fünf Männer, von denen zwei Öllampen bei sich trugen, betraten die Zelle. Sie legten mir eine Kette um den Bauch. Die Handgelenke wurden in Reifen gelegt, die dann mit einem Ring an der Kette befestigt wurden. Zwei Männer schoben sodann eine Stange hinter meinem Rücken und vor meinen Ellbogen hindurch, so daß ich praktisch hilflos war. Der fünfte Mann löste meinen Halskragen und ließ ihn samt der Kette zu Boden fallen. Man zog mich hoch.
Erschrocken kniete Tafa vor mir. Ich spürte ihr Haar auf meinen Zehen. Sie küßte mir den Fuß. In der langen, köstlichen Nacht hatte ich sie erobert.
Mit Hilfe der Stange schob man mich mühelos aus der Tür. Ich blickte nicht zurück.
Später hatten wir Salzsklaven am Fuße der gewaltigen Mauern gestanden, während wir auf den langen Marsch nach Klima vorbereitet wurden. Es war kühl in jener frühen Morgenstunde. Im Osten zeigte sich der erste graue Schimmer der Dämmerung. Hassan stand vier Plätze weiter hinten an der Kette.
Ein Kaiilareiter näherte sich uns. Der rote Sandschleier eines Wächters der Dünen verhüllte seine Züge, und eine Stoffbahn flatterte an seinem Hals, der weite Burnus wallte sich hinter ihm. Die Agal wies goldene Symbole auf. Wächter hoben Kette und Kragen an. Der Reiter verhielt seine Kaiila neben mir; im nächsten Augenblick schnappte der Kragen um meinen Hals zu. Ich spürte das Gewicht der Kette.
»Sei gegrüßt, Tarl Cabot«, sagte der Reiter.
»Du stehst früh auf, edler Ibn Saran«, erwiderte ich.
»Ich möchte doch deinen Abmarsch nicht verpassen.«
»Zweifellos erfüllt dich dieser Umstand mit einem Gefühl des Triumphs.«
»Ja«, erwiderte er. »Doch zugleich mit Bedauern, Kamerad. Erringt man einen Sieg, verliert man zugleich einen Gegner.«
Die Wächter waren nun damit beschäftigt, den Gefangenen an der Kette Sklavenhauben überzustreifen. Die Sklavenhaube ist keine besonders grausame Haube, doch sehr nützlich und im Grunde nicht unvorteilhaft. Vier Absichten werden damit verfolgt. Die Haube erleichtert die Kontrolle der Gefangenen. Ein Gefangener mit Haube ist, selbst wenn er nicht gefesselt wurde, fast völlig hilflos. Er kann sich nicht orientieren, kann keine Fluchtmöglichkeit erkennen, er kann seine Aufseher nicht angreifen, er weiß nicht einmal, wie viele Wächter in der Nähe sind oder wo sie sich befinden. Der Gefangene ist in seiner Haube allein mit sich selbst mit seiner Verwirrung, seiner Ignoranz, seinem Kummer. Zweitens soll die Haube dem Gefangenen verheimlichen, wo er sich befindet, wohin er gebracht wird. Dieser Umstand führt zu einer Desorientierung, zu einem Gefühl der Abhängigkeit vom Aufseher. Im Falle des Marsches nach Klima hatte die Haube natürlich den Zweck, den Gefangenen den genauen Weg vorzuenthalten. Selbst wenn sie den Marsch überlebten und sich später in der Wüste eine Chance ausrechneten, hatten sie doch keine Vorstellung, welche Richtung sie überhaupt einschlagen mußten. Die Chance, den Weg zur Kasbah des Salz-Ubar zu finden, und von dort den Weg zum Roten Felsen, war auch ohne Haube gering; mit der Haube war die Situation der Sklaven hoffnungslos. Diese Desorientierung führte dazu, daß die Männer in Klima blieben; die Zahl der Flüchtlinge, die in der Wüste starben, war denkbar gering. Eine weitere Funktion der Sklavenhaube bestand in dieser Gegend darin, den Sklaven vor der Sonne zu schützen; in der Wüste darf man nicht ohne Kopfbedekkung sein. Und schließlich verhinderte das Material der Haube bei Erreichen der Salzkrusten einen Schaden der Augen. Es dauert nicht lange, bis die Reflexionen der Taharisonne auf den grellweißen Flächen einen Menschen erblinden lassen.