»Mögen deine Wasserbeutel niemals leer sein«, erwiderte ich. »Auf daß du immer Wasser hast.«
»Wenn es dir recht ist, edler Ibn Saran«, sagte Samos, »möchte ich dich bitten, meinem Freund zu erzählen, was du in Kasra erfahren hast.«
»Es handelt sich um eine Geschichte, die von einem Jungen erzählt wurde, einem Kaiilapfleger. Seine Karawane war nur klein. Sie geriet in einen Sturm. Eine Kaiila, wild geworden durch Sturm und Sand, sprengte ihre Fußfessel und verschwand in der Dunkelheit. Törichterweise folgte der Junge dem Tier, das Wasser geladen hatte. Am nächsten Morgen war der Sturm vorbei. Der Junge grub sich einen Schutzgraben, während man vom Lager aus eine umfassende Suche organisierte.«
Ibn Saran machte eine Pause. »Gegen Mittag wurde der Junge gefunden. Er hörte die Glöckchen einer Kaiila, kam aus seinem Versteck und wurde gerettet. Natürlich erhielt er eine Tracht Prügel, weil er die Karawane verlassen hatte. Die Kaiila kehrte später zurück, weil sie hungrig war.«
»Was hatte der Junge zu berichten?« fragte ich.
»Als er die Kaiila verfolgte, fand er folgendes«, fuhr Ibn Saran fort. »Er stieß auf einen Stein, auf dem einige Worte eingekratzt waren: ›Vorsicht vor dem Stahlturm‹.«
Samos blickte mich an. Ich sah wenig Sinn in der Warnung.
»In der Nähe des Felsens lag ein Mann tot, von der Sonne geschwärzt und ausgetrocknet, kaum noch so schwer wie ein Kind. Er hatte sich die Kleidung vom Körper gerissen und Sand getrunken.«
Der arme Kerl hatte einen grausigen Tod gehabt. Zweifellos hatten sich seine Sinne verwirrt, und er war in der Hoffnung gestorben, Wasser gefunden zu haben.
»Nach den herumliegenden Gegenständen zu urteilen«, fuhr Ibn Saran fort, »hat es sich um einen Wüstenräuber gehandelt.«
»Gab es denn keine Kaiila in der Nähe?« fragte ich.
»Nein.«
»Aus welcher Gegend kam der Mann?« wollte ich wissen. »Wie lange war er in der Wüste gewesen?«
»Das weiß ich nicht«, entgegnete Ibn Saran. »Wie gut mochte er die Wüste gekannt haben? Wieviel Wasser hatte er bei sich?«
Der Mann hätte viele tausend Pasang zurücklegen können, ehe die Kaiila starb oder floh.
»Wie lange war er schon tot?« fragte ich.
Ibn Saran lächelte gepreßt. »Einen Monat?« sagte er. »Ein Jahr?«
In der Wüste geht die Zersetzung eines Körpers nur sehr langsam vor. Schon mehrfach waren guterhaltene Tote gefunden worden, die über ein Jahrhundert alt waren. In der Wüste findet man nur selten Skelette, es sei denn, Vögel oder andere Tiere haben sich an dem Toten gütlich getan.
»Vorsicht vor dem Stahlturm«, wiederholte ich.
»Diese Worte waren in den Felsen geritzt worden«, sagte Ibn Saran.
»Gab es einen Hinweis darauf, aus welcher Richtung der Mann gekommen war?«fragte ich.
»Nein.«
»Vorsicht vor dem Stahlturm«, sagte Samos und stand auf. Das Tanzmädchen wirbelte vor uns über den glatten Boden.
»Das Botenmädchen ist fertig«, sagte der Mann in der grünen Tunika des Arztes. Er wandte sich an den Mann neben sich, ließ das Rasiermesser in eine Schale fallen und griff nach einem Handtuch. Dem Mädchen standen Tränen in den Augen. Ihr Haupthaar war völlig entfernt worden. Sie hatte keine Ahnung, was auf ihre Kopfhaut geschrieben worden war, da in der Regel analphabetische Mädchen für diese Aufgabe ausgewählt werden. Die Nachricht war ihr eintätowiert worden. In den nächsten Monaten hatte man das Haar nachwachsen lassen. Außer dem Mädchen wußte niemand, daß sie eine Botschaft trug.
Ich las die Worte. »Vorsicht vor Abdul.« Das war alles. Wir wußten nicht, von wem diese Warnung ausging und wer sie uns geschickt hatte.
»Bringt das Mädchen in die Gehege«, sagte Samos ungeduldig zu den Wächtern. »Entfernt die Worte mit Nadeln von ihrer Kopfhaut.«
Als das Mädchen aus dem Raum geführt worden war, wandte ich mich an den Sklavenhändler.
»Wer ist Abdul?« fragte ich.
Samos sah mich ratlos an. »Ich weiß es nicht.« Er wandte sich ab und kehrte an seinen Platz hinter dem niedrigen Tisch zurück. Die übrigen Männer im Saal kümmerten sich nicht um uns. Sie starrten gebannt auf das Tanzmädchen.
»Die ganze Sache scheint mir nicht recht zusammenzupassen«, fuhr Samos fort. »Doch es muß eine Basis geben, eine umfassende Bedeutung.« Mit einer Eßzange turischer Herkunft deutete er auf das gefesselte amerikanische Mädchen, das einmal Blake-Allen geheißen hatte und von zwei Wächtern flankiert wurde. »Wir erfahren von dieser Sklavin, daß die Sklaventransporte von der Erde nach Gor bis auf weiteres gestoppt worden sind. Warum?«
»Haben die Flüge denn wirklich aufgehört?« fragte ich.
»Die Informationen aus dem Sardargebirge lassen darauf schließen. Seit drei Wochen hat es keine Ortung mehr gegeben, geschweige denn eine Verfolgung.«
Die goreanische Woche besteht aus fünf Tagen, jeder Monat aus fünf solchen Wochen. Nach jedem der zwölf Monate tritt eine fünftägige Passage Hand ein. Der Zwölften Passage Hand folgt die Wartende Hand, eine fünftägige Periode, vor der Frühlings Tagundnachtgleiche, dem goreanischen Neujahrstag. Wir schrieben im Augenblick den Spätwinter des Jahres 3 der Herrschaft des Kapitänsrates in Port Kar, das Jahr 10 122 C.A., Contasta Ar, seit der Gründung Ars. Ich war vor zwei Monaten aus Torvaldsland zurückgekehrt, wo ich mit meinem Schwert ein paar ganz bestimmte Entscheidungen herbeigeführt hatte.
»Außerdem«, sagte ich, »ist ein Ungeheuer in deine Gewalt geraten, eindeutig ein Kur.«
»Das Wesen scheint den Verstand verloren zu haben«, sagte Samos.
»Ich glaube, es hat seinen Verstand sehr gut beisammen«, sagte ich.
»Seine Intelligenz dürfte der unseren ebenbürtig, wenn nicht gar überlegen sein. Vielleicht ist das Ungeheuer nur nicht in der Lage, Goreanisch zu sprechen. Das können nur wenige Kurii.«
»Du hast mitbekommen, in welcher Richtung sich das Tier bewegt hat?«
fragte Samos. »Seltsam.«
Das Wesen war südöstlich von Ar gefangengenommen worden, in einer Marschrichtung, die es tief in den Süden geführt hätte. Im Grunde unglaublich.
»Vielleicht hatte das Wesen dort unten eine bestimmte Aufgabe.«
»Aber dort gibt es nichts«, sagte ich. »Und nur ein Verrückter würde sich von den gekennzeichneten Karawanenrouten entfernen, die von Oase zu Oase führen.«
»Ein junger Kaiilatreiber, der sich verirrte«, sagte Samos, »fand einen Felsen mit der Inschrift: ›Vorsicht vor dem Stahlturm‹.«
»Und das Mädchen mit der Botschaft«, sagte ich. »Offensichtlich kennen wir den Abdul nicht, vor dem wir uns in acht nehmen sollen. Und wir wissen nicht, wer uns die Warnung zugeschickt hat.«
»Nein«, sagte Samos nachdenklich.
Beiläufig beobachtete ich das tanzende Mädchen, das vor mir kniete und mir bebend die Hände entgegenstreckte. Ich riß mich von meinen Gedanken los, griff über den Tisch, packte sie und warf sie rücklings über die Tischplatte. Im nächsten Augenblick hatte ich meine Lippen auf die ihren gepreßt. Ihre Augen blitzten. Ich hob den Kopf und sah sie an. Sie versuchte mich weiter zu küssen, doch ich ließ es nicht zu, daß sie mich berührte. Statt dessen zerrte ich sie hoch, drehte sie halb herum und stieß sie wieder auf den Mosaikboden zurück. Ein Bein untergeschlagen, halb entblößt, starrte sie mich zornig an. »Tanze weiter!« sagte ich. »Hast du gehört, Sklavin?«
Wütend, doch anmutig streckte sie das Bein aus, fuhr mit einer Hand daran entlang, sah mich über die Schulter hinweg an, ehe sie sich abrollen ließ und erschauderte, als bekäme sie die Peitsche ihres Herrn zu spüren.
»Tanze!« sagte ich. »Tanze für die Gäste des Samos!«
Langsam bewegte sich das Mädchen von Mann zu Mann und bot ihm tanzend ihre Schönheit dar. Die Männer hämmerten auf die Tische und brüllten begeistert. Mancher versuchte sie anzufassen, doch sie wich immer wieder geschickt zurück.
Samos stand auf und betrat den gekennzeichneten Boden. Ich begleitete ihn.