»Tötet uns! Tötet uns!« rief ein Mann immer wieder.
Als wir den Kamm des Hügels erreichten, rief ein Wächter: »Halt!« Die Kette bewegte sich nicht mehr. Ich sank in die Knie. Ich war bis zu den Schenkeln in die Salzkruste eingebrochen. Das Innere der Sklavenhaube kam mir unerträglich grell vor; trotz des Lederschutzes schloß ich die Augen. Ich hielt die Hände und Hals so still wie möglich, denn die geringste Bewegung ließ den Kragen herumrutschen und verursachte Schmerzen auf dem wundgescheuerten, salzbedeckten Fleisch. Ich wollte nicht das Bewußtsein verlieren. Zu viele waren ohnmächtig geworden und nicht wieder zu sich gekommen. Die Wächter der Kette waren nicht allzu geduldig mit den Langsamen. Sie schnitten sie von der Kette los und ihnen kurzerhand die Kehle durch. Salz bedeckte meinen Körper.
Wir hatten Frühsommer in der Tahari. Die Oberflächenhitze der Kruste war unerträglich.
Wahrscheinlich gefällt es den Kurii, daß Tarl Cabot in Klima ist. Wie amüsant sie das finden müssen!
Eine Kaiila trabte an mir vorbei; ihre Hufe ließen Salzbrocken hochwirbeln.
»Tötet uns! Tötet uns!« schrie der Mann erneut.
Ich fragte mich, ob ich noch einen Tag durchhalten konnte. Doch ich mußte. Ich erwartete noch viel von meinem Leben. In meinem Kragen wartete ein Stück Sklavenseide.
»Es sind zu viele«, hörte ich einen der Wächter sagen.
»Jeden zweiten«, erwiderte eine Stimme.
»Nein!« kreischte eine Stimme. »Nein!«
Die Wächter kannten den Wasservorrat. Wir nicht.
Wir schienen sehr lange in der Kruste zu knien. Nach einigen Ehn hörte ich Schritte näher kommen. Wächter gingen die Kette ab. Ich lauschte unter meiner Haube. Plötzlich machte die Kette vor mir einen Ruck. Ein Geräusch war nicht zu hören; plötzlich wurde das Kettenstück nach unten gezogen. Ich rappelte mich auf, stemmte mich mit dem Hals gegen die Kette, doch vermochte ich nichts zu sehen. »Knie nieder«, befahl eine Stimme. Ich gehorchte und lauschte gespannt. Ich konnte nichts sehen. Ich war absolut hilflos. »Nein!« schrie eine Stimme.
»Nein!« Die Kette, die von meinem Hals nach hinten führte, spannte sich. Etwas schleifte über die Salzkruste, die Kette zuckte. Dann gingen die Männer weiter.
»Ich habe mich mit dem Wasser verschätzt«, sagte Hamid.
»Egal«, erwiderte jemand.
Wir knieten auf dem Salz. Einige Fuß von mir entfernt sang ein Mann leise vor sich hin.
Ein anderer Mann kam an der Kette näher. Ich hörte, wie er die benachbarten Halskragen öffnete.
Bald darauf vernahm ich Flügelschlag; einige große Vögel schienen in der Nähe gelandet zu sein. Vögel dieser Art - sie besitzen weite Flügel und ein schwarzweißes Gefieder - folgten den Gruppen, die nach Klima unterwegs waren; ihre gelben gekrümmten Schnäbel sind lang und scharf.
Die Vögel bewegten sich krächzend, als eine Kaiila vorbeigaloppierte. Die Vögel heißen Zads.
»Hoch mit euch, Sklaven!« befahl eine Stimme. Zweimal traf mich die Peitsche. Ich spürte die Striemen. Mein Blut pulsierte rascher durch meinen Körper. Der Schmerz war ein scharfes, durchdringendes Gefühl eine großartige Empfindung! Ich hatte nichts gegen den Schmerz, den ich zu spüren vermochte. Ich lebte! Von neuem trieb mich die Peitsche an. Ich lachte und rappelte mich auf. »Los, Sklaven!« sagte eine Stimme, und der Marsch ging weiter. Die Kette war schwerer als am Anfang des Marsches, doch ich trug meine Last mit Freuden, war ich doch noch am Leben! Ich hatte nichts mehr gegen das Salz auf meiner Haut, nichts mehr gegen die Hitze. Es genügte, daß ich lebte. Wie töricht kam mir plötzlich der Wunsch nach mehr vor! Wir konnte man weitergehende Wünsche haben? Ich marschierte weiter, drängte mich zwischen fressenden Zads hindurch unterwegs nach Klima. Ich summte ein Lied vor mich hin, eine Melodie, die ich nie vergessen hatte, ein Kriegerlied aus der nördlichen Stadt Ko-ro-ba.
Vier Tage später forderte uns eine Stimme erneut zum Halten auf; wieder befanden wir uns auf einer Anhöhe.
»Tötet uns nicht! Tötet uns nicht!« rief eine Stimme, die ich erkannte. Es war die Stimme des Mannes, der die Wächter zu Anfang des Marsches aufgefordert hatte, uns das Leben zu nehmen. Seit unserer mittäglichen Rast vor vier Tagen war er still gewesen. Ich hatte nicht gewußt, ob er noch lebte oder nicht.
Kaiila trabten an uns vorbei.
Ich hörte, daß Metallkragen geöffnet wurden. Jemand zupfte mir das Seidenstück aus dem Kragen und band es mir auf Hamids Befehl um das linke Handgelenk. Ich spürte die Seide an der entzündeten Wunde, die sich unter der Handfessel um meinen Arm zog. Im nächsten Augenblick wurde ein schwerer Schlüssel in mein Kragenschloß gesteckt, Sand und Salz waren in den Mechanismus eingedrungen, dessen Metall sich außerdem in der Hitze ausgedehnt hatte; das Schloß wollte nicht aufspringen. Im nächsten Augenblick drehte sich der gewaltsam bewegte Schlüssel, gab den Bolzen frei. Der Kragen war offen und wurde mir vom Hals gerissen und zusammen mit der Kette auf die Salzkruste geworfen. Anschließend ging der Mann zum nächsten Gefangenen.
Keiner der Männer entfernte sich aus der Gruppe.
»Vielleicht brauchen wir gar nicht bis zum Ziel zu reiten«, sagte ein Mann.
Einige Ehn lang standen wir untätig herum.
Zu meiner Überraschung wurde nun auch ein Schlüssel in den Verschluß der Sklavenhaube gesteckt. Die Haube wurde nach oben geschoben und mir vom Kopf gezerrt. Ich schrie auf - das unglaublich weiße Licht, heiß, brennend, alles durchdringend, gnadenlos, bebend in der heißen Luft der endlosen Kruste - dieses Licht brach wie mit heißen Eisen über mein Gesicht und meine Augen herein.
»Ich bin blind!« schrie ein Mann. »Ich bin blind!«
Kaiila bewegten sich an der Reihe entlang. Es würde Minuten dauern, bis wir etwas erkennen konnten.
Wir hörten, daß Ketten zusammengelegt und in Sättel gehoben wurden. Weitere Kaiila trabten an mir vorbei.
Ich fühlte mich schwach; mein ganzer Körper schmerzte. Mir war schwindlig. Ich konnte kaum stehen.
»Nimm Salz«, sagte eine Stimme. Hassan!
»Du lebst!« rief ich.
»Nimm Salz«, wiederholte er.
Er ließ sich auf die Knie sinken und drückte sein Gesicht in das Salz. Mit den Zähnen biß er in die Kruste, leckte die Kristalle ab. Ich folgte seinem Beispiel. Wir hatten seit vier Tagen kein Salz mehr gehabt.
»Schaut!« rief einer der Wächter. Wir hoben die Köpfe. Wir kamen taumelnd hoch. Wir öffneten die Lider, kniffen aber die Augen zusammen, um die Hitze, die grelle Helligkeit auszuschließen.
»Wasser!« rief eine Stimme. »Wasser!«
Es war ein Mann, der allein aus der Wüste kam. Er gehörte nicht zu unserer Gruppe. Er trug keine Fesseln.
»Wasser!« rief er und taumelte in unsere Richtung. Er trug einen ausgefransten Lendenschurz. Die Sonne hatte seine Haut zerstört. Er hatte keine Fingernägel mehr; Mund und Gesicht waren aufgeplatzt wie eine ausgetrocknete Kruste.
»Ein entflohener Sklave aus den Salzbergwerken«, sagte Hamid lachend. Er zog seinen Krummsäbel und ritt auf den Mann zu. Mühelos beugte er sich im Sattel, doch er schlug nicht zu, sondern kehrte zu den anderen Wächtern zurück.
»Erlauben wir uns ein Späßchen?« rief er.
»Der Marsch ist lang gewesen«, sagte einer der Männer grinsend, »und wir haben bisher wenig Abwechslung gehabt.«
»Das linke Ohr?« fragte einer.
»Einverstanden«, erwiderte ein anderer. Die Männer lockerten ihre Lanzen.
»Wasser!« flehte der Todgeweihte. »Wasser!«
Einer der Männer trieb seine Kaiila an und verfehlte das Ziel. Die Kaiila bewegte sich auf dem unebenen Boden nicht gleichmäßig.
Der arme Kerl stand verständnislos da, konnte es nicht fassen, weil er sich gerettet glaubte.
Dann schrie er auf, als die Lanze des zweiten Reiters ihn traf. Er taumelte und hielt sich das blutende Ohr.
Der erste Reiter fluchte und griff erneut an. Diesmal wurde der Mann, der sich taumelnd abzuwenden versuchte, oben am linken Arm getroffen, unmittelbar unter der Schulter. Obwohl die Wunde tief war, strömte nur wenig Blut hervor, was mich nur im ersten Augenblick erstaunte. Ich kniff gegen das unerträgliche Licht die Augen zusammen und verfolgte hilflos das grausame Geschehen. Zu meinem Entsetzen drückte der Verletzte den Mund auf die Wunde und saugte das wenige Blut aus. Der Mann begriff immer noch nicht, rührte sich nicht von der Stelle. Hamid trabte auf seiner Kaiila von hinten auf den Ahnungslosen zu und schwang den Säbel. Ich vermochte nicht länger hinzuschauen und wandte mich ab.